Fanfic: Die Tielmark-Chroniken

Kapitel: Die Tielmark-Chroniken

Die Tielmark-Chroniken




An Markttagen nahm Gaultry ihr Messer nicht mit. Niemand ging bewaffnet


auf den Markt, und alle waren sich darüber einig, dass es so weniger


Auseinandersetzungen gab - oder zumindest weniger schwere Verletzungen.




Aber für Gaultry war der Verzicht auf ihre Waffe nur ein kleiner Teil


einer Nervenprobe, die sich über den ganzen Tag hinzog. Markttag in


Paddleways, das hieß für sie, dass sie ihre Jagdhosen gegen lange


Röcke vertauschen musste und den Messergürtel gegen die feine rote


Schärpe ihrer Tante Tamsanne. Und was noch schlimmer war, es hieß,


dass sie versuchen musste, überzeugend zu wirken, wenn sie mit den


Dorfbewohnern herumfeilschte.




Dabei fühlte sie sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Wenn die Leute


sie anblickten, kam es ihr immer so vor, als sähen sie im Geiste doch


nur ihre resolute, kluge Tante oder ihre anmutige, gescheite Schwester


vor sich. Gaultry wurde den Verdacht nicht los, dass sie über keine


dieser Tugenden verfügte, denn irgendwie hielten die Marktleute es


bei Gaultry offenbar nicht für nötig, auch nur um einen Deut von ihrem


Preis abzuweichen.




Heute aber war es zu ihrer großen Überraschung einmal anders gewesen.


Heute, mit Anbruch des neuen Frühjahrs, hatte sie ihre Krämerseele


entdeckt. Mutter Liese, die Bäckersfrau, hatte ihr widerspruchslos


einen Laib Brot mehr gegeben, und von Coln, dem Dorfschmied, hatte


sie für ein Dutzend Nägel nur halb so viel bezahlt wie erwartet. Was


machte es da, dass er sie aufzog, indem er erklärte, ihr dummes Gesicht


mache den Verlust glatt wieder wett. »Du schaust aus der Wäsche wie


ein gefangenes Kaninchen, das man wieder laufen lässt!«, hatte er


lachend gesagt. Aber gleichviel, sie hatte Glück gehabt. Ihre schlaue


große Schwester hätte selbst nach einer geschlagenen Stunde zähen


Feilschens nicht mehr erreicht.




Tamsanne würde hocherfreut sein. Sie hatte ihrer Nichte immer wieder


gut zugeredet und ihr versichert, sie würde es schon noch lernen,


aber Gaultry hatte nie so recht daran glauben wollen.




Doch heute war alles anders gewesen, und am frühen Nachmittag hatte


sie all ihre Geschäfte erledigt. Zu ihrer Überraschung hatten der


nette Dorfschmied und seine Frau sie auch noch zum Tee eingeladen.




»Tamsanne wartet auf mich«, hatte sie dankend abgelehnt.




»Dann richte dich beim nächsten Mal darauf ein«, beharrte Coln. »Das


ist die Prinzennacht. Annie kann dir ein Bett beziehen, wenn du gern


das Feuerwerk sehen möchtest.«




»Ich komme nicht vor dem Maimond wieder. Tamsanne will, dass ich in


der Prinzennacht zu Hause bleibe.«




»So dass du die Hochzeitsfeierlichkeiten hier in der Stadt verpasst?


Das ist aber gar nicht nett von ihr.«




Gaultry zuckte gleichgültig die Achseln. »Für meinen Geschmack wird


es dann in Paddleways sowieso viel zu voll sein. Ich hätte gar keine


Lust zu kommen.«




Der stämmige Schmied, der keineswegs schüchtern war und nur zu gern


einen Feiertag lang im Wirtshaus saß, konnte das nicht glauben. »Sag


Tamsanne, wir haben Platz für euch beide, falls sie es sich doch noch


anders überlegt.«




»Mach ich«, antwortete Gaultry und hoffte, er hielte sie nicht für


unhöflich. »Vielen Dank für das freundliche Angebot!«




Dann machte sie sich auf den Heimweg, viel schwerer beladen, als sie


es vorgehabt hatte.




Es waren gut drei Meilen von der Stadt bis zu Tante Tamsannes Bauernhaus.


Die Befriedigung über ihre guten Geschäfte beflügelten ihren Schritt,


und es war ein schöner, sonniger Tag für einen Spaziergang.




Das erste Drittel ihres Weges führte durch Felder, die heute nur von


wilden Vögeln bevölkert waren. Dann kam eine seichte Furt mit alten


Trittsteinen, die jedoch im Laufe der Zeit von den reißenden Fluten


im Winter zu weit auseinander gedrückt worden waren, als dass man


sie noch hätte bemerken können. Dahinter kam der ausgedehnte Wald


von Arleon. Jenseits der Furt verengte sich der Weg zu einem schmalen


Pfad, der auf beiden Seiten von zarten Frühlingstrieben gesäumt wurde.


Gaultry raffte ihre Röcke und stopfte den Saum unter die Schärpe,


um schneller gehen zu können. Sie konnte es kaum abwarten, zu Hause


ihre Kostümierung wieder abzulegen.




Der Pfad wand sich tief in den Wald hinein, zuerst über eine weite


sumpfige Niederung und dann einen dichtbewaldeten Berghang hinauf.


Gaultry konzentrierte sich auf das ansteigende Gelände, während sie


sich mit sicherem Schritt zwischen den Felsen hindurchschlängelte,


dabei balancierte sie den großen Henkelkorb auf der einen Hüfte und


ein Bündel Einkaufsnetze auf der anderen. Die junge Jägerin war kräftig


gebaut, mit langen Beinen und der perfekten Behändigkeit, die sie


sich in ihren jahrelangen Streifzügen durch die Wälder angeeignet


hatte. Sie war schon als kleines Kind auf diesem Wege zum Markt gegangen.


Damals hatte Tamsanne sie noch bei der Hand gehalten, und der Aufstieg


war ihr, auch ohne dass sie etwas zu tragen hatte, nicht so leicht


gefallen. Bei der Erinnerung daran musste Gaultry schmunzeln.




Sie verfiel in eine gleichmäßige Gangart und begann, fröhlich vor sich


hin zu pfeifen.




Sie nahm eine Wegbiegung, schlüpfte zwischen zwei uralten, moosbedeckten


Eichen hindurch und trat auf die grasbewachsene Lichtung hinaus, die


den Anfang des Kiefernplateaus bildete. Ganz vertieft in den Weg unter


ihren Füßen, in die Wärme der frühen Nachmittagssonne, die durch die


Äste auf ihren Rücken fiel, merkte sie nicht sofort, dass sie bereits


erwartet wurde.




Auf der Lichtung hatten acht Männer auf schlanken graubraunen Soldatenpferden


Posten bezogen. Doch diese Männer trugen schmutzige Lederhosen und


dunkle Umhänge anstelle von Uniform und Rüstung, und die Wappen oder


Rangabzeichen an ihren Schultern waren offensichtlich entfernt worden.


Hinter ihnen, zwischen den dürren Kiefernstämmen, lungerte ein halbes


Dutzend grauer Jagdhunde herum, grobschlächtige Arbeitstiere mit struppigem


Fell und gelblichbraunen Raubtieraugen. Sie hatten allesamt so lautlos


auf sie gewartet, dass sich Gaultry bereits mitten unter ihnen befand,


bevor sie überhaupt wusste, wie ihr geschah.




Die Hunde sahen sie lauernd an und musterten sie argwöhnisch mit angelegten


Ohren und eingeklemmten Schwänzen. Sie wusste sofort, dass sie auf


sie angesetzt waren. Zwei Männer rührten sich und riegelten den Weg


hinter ihr ab.




Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Gürtel, aber, natürlich, es


war ja Markttag. Kein Messer da.




»Guten Tag, Gaultry Blas!« Das war der Anführer, ein bulliger Mann


mit strähnigem, strohfarbenem Haar und Bartstoppeln, der sich eine


provisorische Hauptmannsschärpe aus rotem Leinen über eine Schulter


geschlungen hatte. Er ritt ihr ein paar Schritte entgegen, nahe genug,


dass der nach Hafer riechende Atem des Pferdes Gaultry ins Gesicht


blies. »Gar nicht so einfach, dich zu finden.«




Gaultry kannte weder ihn noch die anderen. Sie konnte sich überhaupt


nicht vorstellen, warum ihr diese Männer aufgelauert hatten, und so


war sie einen Augenblick lang eher verblüfft als erschrocken. Um ihre


erfolgreichen Tageseinkäufe konnte es ihnen ja wohl nicht gehen.




»Was wollt Ihr?«, fragte sie, aber selbst in ihren eigenen Ohren klang


das nicht sehr überzeugend. Es war das Dümmste, was sie hätte sagen


können, denn damit gestand sie gleichzeitig ihre Identität und ihre


Angst ein. »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?« Sie biss sich auf


die Lippen, damit sie es nicht noch ein drittes Mal sagte, und hielt


sich den Korb vor den Bauch.




Die Männer ergötzten sich sichtlich an ihrer Angst. Sie schaute von


einem Gesicht zum nächsten und versuchte, sich vorzustellen, worauf


sie es abgesehen hatten. Dies war ein geplanter Überfall. Hätte es


sich um einen Zufall gehandelt, hätte sie es ja vielleicht noch verstanden,


aber so?




Der Anführer grinste über ihre offensichtliche Verlegenheit, stieg


ab und ging auf sie zu. Er war größer als Gaultry und muskelbepackt.


Seine Gestalt wirkte bullig. »Wer wir sind? Na, wir sind hergeschickt


worden als Retter, Gaultry Blas. Wir sind den ganzen weiten Weg hierher


gekommen, um dich in Sicherheit zu bringen.« Er grinste boshaft. »Hättest


du gedacht, dass ein so harmloses, unschuldiges Ding wie du solchen


Schrecken verbreiten könnte?«




Gaultry wich einen Schritt zurück, dann noch einen. Sie wünschte sich


verzweifelt, ihr Messer bei sich zu haben und nicht mit all den Einkäufen


beladen zu sein. Vergeblich zerbrach sie sich den Kopf, worauf bei


den allmächtigen Göttern der Mann wohl hinauswollte. Es konnten keine


Wegelagerer sein - ihre Tante hatte ein Abkommen mit den Bandenführern


der Gegend. Wahrhaftig, keiner aus der Umgebung, nicht einmal irgendein


Abtrünniger, wäre so dumm gewesen, eine von Tamsannes Nichten anzugreifen.


An jedem anderen Tage wäre Gaultry bewaffnet gewesen und hätte sich
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