Fanfic: Dämonendämmerung 2
Kapitel: Dämonendämmerung 2
Dämonendämmerung 2
Das Herz von Korona
Ich hatte vorher noch nie darüber nachgedacht, Onkel Mather, denn es
hat bis jetzt für mich gar keine Rolle gespielt. Außerdem hatte mir
noch nie zuvor jemand diese Frage gestellt. Ist König Danube Brock
Ursal nicht auch Nachtvogels König?, hat mich Shamus gefragt. Das
hört sich einfach an, und doch hat mich diese Frage so überrumpelt,
dass mir keine Antwort einfiel. Ich habe irgendetwas gesagt, und doch
bin ich mir immer noch nicht wirklich darüber im Klaren.
Bin ich denn ein heimatloser Landstreicher? Meine Kindheit habe ich
in Dundalis verbracht, doch dieser Ort existiert nicht mehr, auch
wenn auf seinen Ruinen bald neue Häuser stehen werden. In Andur`Blough
Inninness bin ich zum Mann geworden, bei den Elfen, die mir ans Herz
gewachsen sind.
Aber sind sie deshalb meine Familie?
Nein, ich kann weder Belli`mar Juraviel wirklich meinen Bruder noch
Lady Dasslerond meine Königin nennen, auch wenn ich ihn wie einen
Bruder liebe und ihr Wunsch mir als Befehl gilt. Es ist einfach eine
Tatsache, dass die Elfen die Welt mit anderen Augen sehen als wir
Menschen.
Und so kann Andur`Blough Inninness nicht meine Heimat sein, so sehr
ich mir das vielleicht auch wünsche. Als ich zum Elfental zurückkehrte,
hat man mir sogar den Zugang verwehrt. Juraviel hat mich einmal als
n`Touel`alfar betitelt, und wenn ich auch mit ihm darüber gesprochen
und ihn sogar von meiner Sicht der Dinge überzeugt habe, wissen wir
doch beide, was das bedeutet: Elbryan - der Nachtvogel - der Zögling
von Caer`alfar, der das Elfenvolk liebt, ist dennoch keiner der ihren.
Und Lady Dasslerond ist nicht meine Königin. Aber macht das allein
König Danube zu meinem Herrn?
Nein, Onkel Mather, und jetzt weiß ich auch, dass sein Vater nicht
dein König war. Sind wir also alle beide heimatlos? Kaum. Denn meine
Heimat ist hier, in den Wäldern der Waldlande, in den Wilderlanden,
in den Wiesen und Feldern im Norden des Bärenreiches und an den steilen
Berghängen des südlichen Alpinador, wenn es mir so beliebt. Das ist
ein weiterer Aspekt des Lebens als Hüter, über den ich mir erst vor
kurzem klar geworden bin. Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl.
Und dieses Gefühl ist unabhängig von irgendwelchen Mauern. Ich bin
hier in den Wäldern zu Hause, weil ich mich hier immer wieder aufs
Neue zu Hause fühle.
Erzählt mir also nichts von Königen und Königreichen. Für mich ist
es ganz unwichtig, wessen Herrschaftsgebiet sich über dieses Land
erstreckt, denn Grenzen sind nur auf der Landkarte zu sehen und nicht
in Wirklichkeit. Sie sind nur ein Mittel, um zu Macht und Wohlstand
zu gelangen. Doch die Macht ist eine Falle und der Wohlstand trügerisch.
Ja, trügerisch, Onkel Mather, und lediglich dazu angetan, dass sich
einer dem andern überlegen fühlt. Avelyn hat mir einmal eine Geschichte
erzählt. Sie handelt von einem Turm am Stadtrand von Ursal. In diesen
Turm steckte man jene, die den König verunglimpft hatten, und seine
Tür öffnete sich für diese bedauernswerten Geschöpfe für gewöhnlich
nur in eine Richtung. Als Jahrzehnte später ein neues Gefängnis gebaut
wurde, brauchte man diesen Turm nicht mehr. In einer Anwandlung von
Großmut schenkte ihn der König daraufhin einem lebenslustigen Herzog.
Dieser wusste jahrelang nicht recht, was er mit dem Gebäude anfangen
sollte, denn wenn es dort auch sehr gemütlich war, nachdem man alle
Anzeichen seines früheren Gebrauchs - wie Folterwerkzeuge und Ketten
- entfernt hatte, so befand es sich doch zu weit vom Hof in Ursal
entfernt, wo der Herzog seinen Liebesabenteuern nachzugehen pflegte.
Doch er war erfinderisch, Onkel Mather, und so schwärmte er bei Hofe
immer wieder von der herrlichen Aussicht, die er von seinem Turm aus
habe. Solche Schönheit, so meinte er schließlich, müsse den Wohlhabenden
vorbehalten bleiben, und da er sich nicht oft genug dort aufhalten
könne, um den Turm instand zu halten, wolle er ihn vermieten, und
zwar zu einem Preis von fünfhundert Goldbären pro Jahr. Allein dieser
ungeheuerliche Preis brachte viele der Edelleute auf die Beine, die
den Turm besichtigen wollten, und immer wenn sie zusammenkamen, sorgte
der Herzog eifrig dafür, dass über die einzigartige Aussicht geredet
wurde.
So spielte er sie in ihrer Eitelkeit gegeneinander aus, und nach Avelyns
Worten entspannen sich über der Frage, wer den Turm bekommen sollte,
blutige Duelle, und fast wäre es sogar zu einem kleineren Krieg zwischen
drei verschiedenen Provinzen gekommen. Edelfrauen lagen ihren Männern
in den Ohren, und einzelne Höflinge wollten den Turm für ihre Liebesabenteuer
benutzen.
Schließlich verlangte die Königin von ihrem Gemahl, die Schenkung wieder
rückgängig zu machen, doch der König wollte als Ehrenmann nicht sein
Wort brechen, und so mietete er am Ende den Turm für sage und schreibe
tausend Goldbären pro Jahr.
Nun bekam die Königin also ihre herrliche Aussicht, die man den Gefangenen
jahrzehntelang gratis hatte zuteil werden lassen.
Wohlstand ist lediglich eine Frage des Blickwinkels, Onkel Mather.
Und das Bedürfnis, besser zu sein als alle anderen, zeigt nur die
eigene Schwäche. Der König sitzt in der Falle seines Staatsapparates,
denn Neid und Missgunst seiner Untergebenen lauern überall.
Ich werde mir meine Freiheit bewahren, Onkel Mather, ebenso wie meine
Liebste, Jilseponie, und gemeinsam werden wir dort zu Hause sein,
wo wir unsere Zelte aufschlagen, und wir werden reicher sein in unseren
Herzen und Seelen als jeder andere.
Und diese beiden Schätze sind der einzige Reichtum, der für mich wirklich
zählt.
Sie nannten es »Tauwetter«, und obgleich sich dieses Ereignis bei jedem
Jahreswechsel zu wiederholen schien, gerieten die Leute jedes Mal
wieder ganz aus dem Häuschen und schüttelten verdutzt die Köpfe. Und
diesmal gab es tatsächlich etwas, worüber sie sich wundern konnten,
denn der Frühling brach ganz plötzlich über Palmaris herein, mit mehreren
aufeinander folgenden Stürmen, die mit bedrohlichen Schneemengen anfingen,
die jedoch in Regen übergingen, ehe noch der zweite Monat begonnen
hatte.
Der Winter, einer der mildesten, an die sich selbst die ältesten Leute
erinnern konnten, war schnell vorüber, und Ponys Bauch war allmählich
nicht mehr zu übersehen. Und so band sie ihre Schürze vorsichtshalber
gar nicht mehr ab, auch wenn sie gerade nicht im Gasthaus arbeitete,
sondern bei Nacht ausging, um sich, so wie heute Abend, mit dem einen
oder andern ihrer Verbindungsleute zu treffen.
Das Fundament ihres Widerstands wurde immer fester, sagte sie sich
zuversichtlich, während sie an Belster vorbei- und zur Tür hinausschlüpfte.
Mit Hilfe von Colleens Berichten aus dem feindlichen Lager und Al`u`mets
wachsamen Behreneser-Freunden nahmen die Gegner von Bischof De`Unnero
zunehmend Einfluss auf den Klatsch und Tratsch in den Straßen des
Hafenviertels. Nicht, dass sie ihre Überzeugungen offen ausgesprochen
hätten - soweit war es bis jetzt nicht gekommen.
Noch nicht. Vorläufig streuten sie nur die Saat des Aufruhrs aus, indem
sie dem Unmut über die Schreckensherrschaft der Kirche Nahrung gaben
und so das Aufbegehren schürten. Wenn es jemals zum offenen Kampf
kam - und ein großer Teil in Pony wünschte sich das sehnlichst -,
dann würden sich der Bischof und seine Anhänger über das Ausmaß des
Widerstandes wundern.
Diese Vorstellung beschleunigte Ponys Schritt, als sie sich auf den
Weg zu ihrer Verabredung mit Colleen Kilronney machte. Der brennende
Wunsch nach Vergeltung loderte unvermindert in ihrem Herzen, und sie
war entschlossen, wenn es zum Äußersten käme, all ihre Zauberkräfte,
Avelyns Kräfte, zur Vernichtung dieser verfluchten Kirchenfürsten
aufzubieten, die ihre Eltern und Freunde umgebracht hatten.
Als sie in die Gasse einbog, sah sie erstaunt, dass Colleen nicht allein
war, und ihre Überraschung wuchs noch beim Anblick des anderen. Ein
Mönch! Der Mann trug die Gewänder von St. Precious!
Vorsichtig kam sie näher.
Mit einem Satz war er bei ihr, und seine Hände umklammerten ihren Hals.
Wie alle Abellikaner war er ein geübter Kämpfer, und so traf sie sein
Angriff blitzschnell und zielsicher.
Sein Gewicht warf sie zurück. Sie packte seine Handgelenke und versuchte,
den eisernen Griff zu lösen. Dabei verfiel sie automatisch in ihren
gewohnten Kampfstil und im selben Augenblick, als Colleen von hinten
herbeieilte, hakte sie die Daumen unter die des Mönches und ließ sich
dann unvermittelt auf die Knie fallen, sodass sie den Angreifer mit
sich zog. Nun ließ sie die Hebelwirkung für sich arbeiten, und eine
einfache Drehung sprengte den Griff des Mönchs. Sie hätte diesem dabei
mit Leichtigkeit die Daumenknochen zerquetschen können.
Doch soweit ging sie nicht - aus Respekt vor Colleen, die den Mann
zu ihr gebracht