Fanfic: Shinyu - Die Welt im Spiegel
Kapitel: Die Reise durch den Spiegel
Minami schlich die Treppe hoch. Was war da? Ein Poltern, und Schritte waren zu hören. Ein glühendes Augenpaar starrte sie an. Sie erschrak, doch dann sammelte sie all ihren Mut zusammen und öffnete die Tür zum Dachboden. In ihrer Hand war ein Baseball-Schläger, den sie fest umklammert hielt. Sie tapste lautlos über alte Kisten und Truhen. Sie verhedderte sich in Spinnweben und schrie vor Schrecken. Sie holte tief Luft, strich sich die Spinnweben aus dem Gesicht und schlich weiter. Auf einmal streifte etwas ihr Bein, und sie fiel hin. Sie sah nur noch, wie ihre Katze Shinyu davonsprang. „Blödes Vieh!“ rief Minami ihr nach. Sie wollte sich aufrichten, doch sie war zu fasziniert, von dem, was sie sah. Die Truhe vor der sie gefallen war, war nachtschwarz, hatte goldene Verzierungen und das Faszinierenste: Sie glitzerte silbrig und strahlte ein warmes, helles Licht aus, dass sie in den Bann zog. Sie öffnete die Truhe. Sie war mit nichts gefüllt. Doch auf dem Boden der Truhe schien etwas aufgemalt zu sein. Es sah aus, als würde man von oben in eine andere Welt hineinschauen. Es waren seltsame Bäume und Sträucher zu sehen, die an einem schneeweißen Strand blühten. Das Wasser war himmlisch blau und kleine Wellen waren zu sehen. Minami starrte fasziniert in die Truhe. Sie strich mit dem Finger über die Malerei. Die Truhe war glatt und war nicht wie alles andere auf dem Dachboden uneben. Aber was war das? Der Vogel der eben noch so ruhig im Wind schwebte, hatte sich doch nicht wirklich eben auf den Baum gesetzt. Und da! Die Welle war eben noch weiter hinten, jetzt berührt sie schon die Bäume! Minami schloss die Augen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Auf einmal fühlte es sich so an, als würde er in eine warme Flüssigkeit getaucht. Dieses Gefühl kroch ihren Arm hoch, dann ging es durch ihren Arm, bis zur Schulter und dann schnell zu den Füßen herunter. Als die `Flüssigkeit´ ihren Hals hoch kroch, öffnete sie die Augen wieder. Konnte das sein? Sie wurde geradezu in diese Kiste gesogen!
Mit diesen Worten beendete Shinyu ihre Geschichte. Sie schrieb gerne Geschichten, was wohl daran lag, dass ihr Vater Autor war. Niemand wusste genau wo er war. Als er und Shinyus Mutter in die Karibik flogen, gab es zur selben Zeit einen Flugunfall. Man konnte das Flugzeug nicht mehr identifizieren und somit nicht sagen, ob sie jetzt tot waren, oder sich gemütlich sonnen ließen. Shinyu hatte keine Angst um ihre Eltern. Die hatten bis jetzt alles überlebt. Ihr Vater wurde schon angeschossen und ihre Mutter von einem Messer angegriffen. Die hatten erstaunlichen Überlebensdrang... Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Jetzt ist Shinyu sechszehn. Damals wollte sie nicht weg, weil sie manchmal ihr Privatleben brauchte. Und weil sie auf jemand bestimmtes wartete. Es war ihr Sandkastenfreund Kaosu. Natürlich war sie auch ein bisschen verknallt in ihn. Erst dachte sie, es sei nur eine Schwärmerei, doch es war mehr. Er war nicht gerade unbeliebt, was vielleicht daran lag, dass er der Gitarrist einer bekannten Band war. Doch das merkwürdigste war, dass er bereits seit zwei Jahren verschwunden war. Ihren ganzen Frust schrieb Shinyu in Mangas und Geschichten nieder. Meist gab sie auch eine der Rollen ihren Namen (wie diesmal die Katze). Shinyu hatte keine große Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Sie hatte zwar genau die gleichen blauen Augen, doch sie hatte blonde Haare, genau wie ihr Vater. Ihre Mutter hatte (natur-)rosa Haare. Auch die Statur war mehr die ihres Vaters; groß und schlank. Shinyu hatte mal zwei Jahre Wahrsageunterricht, weshalb sie Menschen gut beurteilen konnte. Ein Problem war auch, dass sie überall böse Aura wahrnahm, obwohl es manchmal gar keine waren. Sie wollte dieses, damit nicht noch ein Unglück geschieht, so wie mit Take. Die Wohnung war nicht gerade Bescheiden. Es gab eine riesige Bücherei (einige Bücher hatte Shinyu davon selbst geschrieben, die meisten aber ihr Vater). Man konnte prima Partys im Partyraum feiern oder im „Sauf – Keller“ mit Bar und Sofas. Den Namen Saufkeller hatte sich Shinyus älterer Bruder Take ausgedacht. Normalerweise würde keiner so den Keller nennen (Shinyus Vater tut es besonders oft), wenn nicht Take vor drei Jahren umgebracht wurde. Take war damals sechzehn, genau wie Shinyu jetzt. Der Fall „Take Mishimoto “ wurde zu den Akten gelegt und nie gelöst. Sie wollte diesen Fall lösen, um so Takes Tod zu rächen, doch noch hatte sie nicht eine Spur...
Am nächsten Morgen... Es war endlich der letzte Schultag gekommen, und Shinyu machte sich für die Schule fertig. Sie schlüpfte in die Schuluniform (rotbraunkarierter Rock und weißer Pulli mit rotem Kragen) und die schwarzen Schuhe. Es klingelte an der Eichentür. „Komm ja schon!“, rief Shinyu schläfrig. Sie trottete zur Tür und öffnete sie. Gut gelaunt wie nie und mit breitem Grinsen stand Monita vor der Tür. „Darf ich fragen, worüber du dich freust? Es gibt Leute die noch schlecht gelaunt sein wollen, weil sie noch halb schlafen!“ „Ist ja gut. Wir haben ab morgen sechs Wochen Ferien. Sechs Wochen!“, freute sich Monita. „Ich hab’s ja kapiert...“, murmelte Shinyu müde.
In der Schule war alles gewöhnlich, Frau Schniegelbrecht, Shinyus und Monitas Lehrerin, deren Haare schon mehr grau als schwarz waren sang wieder wie eine Katze der man zu oft auf den Schwanz getreten war. Alles war wie immer, bis... Shinyus Lehrerin sich plötzlich in eine grau-schwarz-getigerte Katze verwandelte!!!
„Shinyu, Shinyu, SHINYU!!!”, maunzte Katze Schniegelbrecht. „Äh, ja?“ „Schläfst du schon wieder im Unterricht?“ „Aber nein, Miss Schniegelbrecht!“, sagte Shinyu schlaftrunken. Frau Schniegelbrecht schien wieder “normal“ zu sein. „Mädchen, das ist schon das dritte Mal in diesem Monat! Du schläfst zu viel im Unterricht!“ „Entschuldigen sie“, entschuldigte sich Shinyu. „Du weißt doch sicher dass ich das ni-!“, Frau Schniegelbrecht konnte den Satz nicht beenden, da sie von der Schulglocke übertönt wurde. Shinyu schnappte sich ihre Schultasche und Monita und war heilfroh, endlich Ferien zu haben.
Wieder zu Hause machten Shinyu und Monita die Hausaufgaben, die sie über die Ferien aufgekriegt hatten. „Ich kapier diese Quantenphysik einfach nicht!“, maulte Monita. Shinyu erwiderte nichts. „Hallo? Bist du noch da? SHINYU!“ „Äh, ja?” „Lass mich raten, du hast wieder an Kaosu gedacht?“ „G- g- Gar nicht wahr!“ „Das kann man dir aber an der Nasenspitze ansehen!“ „Okay, okay. Es gibt da etwas, was mich beschäftigt... Es wurde doch erzählt, dass das Einzige was man von ihm fand, sein linker Schuh war! Und dass ihm Badezimmer“ „Ja, und?“, fragte Monita. Shinyu antwortete: „Na, findest du das nicht auch komisch? Wäre er von zu Hause geflüchtet, dann doch sicher nicht ohne seinen Lieblingsschuh! Und auch den Kampf schließe ich aus, denn dann gäbe es meistens noch Blutspuren oder Zeichen eines Kampfes. Doch alles was da war, war ein sauberes Badezimmer. Und außerdem: Niemand flüchtet zwei Jahre von zu Hause. Obwohl, er würde das bringen...“, erklärte Shinyu und Monita konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Woher weißt du denn so genau, dass das sein Lieblingsschuh war? Und die Details scheinen auch wie in deinem Kopf mit Heißluftkleber festgeklebt worden sein.“ Shinyu sagte verlegen: „Ähm, nun ja, also, das ist doch wohl klar, ich kenne ihn doch schon seit dem Sandkasten...“ „Wie auch immer, ich muss los. Ich will noch Packen. Schließlich sitze ich ab morgen in einem Flugzeug in die Karibik und dann heißt es nur noch Sommer, Sonne, Strand und Meer!“, erwiderte Shinyu und machte eine Bewegung mit der Hand, als wollte sie das Thema wegwischen.. „Geht klar, grüß meine Eltern wenn du die siehst, die müssten da auch noch irgendwo rumlungern. Dann noch gute Reise“, verabschiedete sich Shinyu. Monita winkte mit der Hand beim Rausgehen, als Zeichen dafür, dass sie verstanden hatte. Shinyu saß noch zwei Stunden an den Hausaufgaben, bei denen sie noch drei Beistifte zerbiss, bis sie sich wieder ihrem Manga zuwandte.
Sie posierte vor dem Spiegel, da sie eine bestimmte Pose malen musste. Sie presste die Hände an den Spiegel und versuchte möglichst mitleidserregend dreinzuschauen. Ihre Hände glühten förmlich auf dem Spiegel, doch Shinyu bemerkte es zu spät. Schon wurden ihre Finger zur Hälfte in den Spiegel gesogen. Ihr Spiegelbild schien langsam zu verblassen... Von ihren Händen waren nur noch ein paar abgehackte Stummel über, die an ihren Armen hingen. Erst war Shinyu zu erstaunt um zu Schreien. Doch dann fing sie laut an zu kreischen: „Aah! Was ist das, Hilfe, Hilfe!!! Lass das, du dämlicher Spiegel! Was, was ist das?!!! Uaaaah!!!!!“ Ihre Arme wurden schon bis zu den Schultern eingesogen. Sie versuchte ihre Arme zurückzuziehen, doch es war bereits zu spät. Ihr (vorderer) Oberkörper wurde eingesogen, genau wie ihr Vorderkopf. Sie konnte (ihre Augen waren schließlich jetzt auch “im Spiegel“) in eine andere Welt sehen. Vielmehr in zwei lange Tunnel die parallel zu einander verliefen. Sie sahen aus wie viele rauchige Ringe die aneinander gekettet waren. Der rechte Tunnel war zitronengelb, der Linke war dunkellila. Sie starrte einen Moment mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf diesen herrlichen, faszinierenden und zugleich schaurig-mysteriösen Anblick. Sie vergaß alles um sie herum, sie vergaß all ihre Sorgen. Sie vergaß, dass sie Kaosu wiederfinden wollte, vergaß, dass sie ihren Bruder Take rächen wollte und vergaß sogar, dass sie gerade in den Spiegel ihres Badezimmers gesogen wurde. Doch als sie wieder klar im Kopf wurde und sich wieder dagegen wehrte, in den Spiegel gesogen zu werden, war sie schon so weit in den Spiegel gesogen worden, dass nur noch ihre Beine fehlten. Sie drehte ihren Kopf (der inzwischen ganz im Spiegel versunken war) und konnte noch den