Fanfic: Eine Geschichte / Die Sprache des Auges
Untertitel: Es passiert nie mehr als einmal im Leben und lässt uns nie wieder los
Kapitel: Yamis Geschichte
DAS HIER IST NUR EIN KLEINER ZUSATZ
Nachdem ich die Geschichte von Mariko aufgeschrieben hatte, traf ich zufällig auf Yami. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, um etwas aus seiner Sicht zu erfahren.
Mariko war das eigenartigste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Ihre Stimmung schwank von einem Moment zum anderen. Manchmal kam sie so blass, müde und mit tiefen Schatten um den Augen in die Schule, dass man sich fragte, was mit ihr passiert war. An einigen Tagen verhielt sie sich so ausweichend und unnahbar, obwohl mir der Grund dazu nicht einleuchtete. An ihrem Geburtstag lud sie mich ein. Sie tanzte und strahlte dabei eine unglaubliche Energie und Fröhlichkeit aus. Aber trotzdem wusste ich, dass irgendetwas sie tief unglücklich machte. Denn in ihren Augen erkannte ich die abgründige Verzweifelung und ich fühlte eine seltsame traurige Resonanz in meinem Herzen.
Manchmal trafen wir uns auch außerhalb des Unterrichts. Sie konnte sehr lustig und unterhaltsam sein, wenn sie sich dazu in der richtigen Stimmung befand. Wir planten eine Reise ans Meer und ich war mir sicher, dass es eine lustige Zeit werden würde. Am Anfang waren wir beide fröhlich und aufgeregt, spielten sogar Kartenduelle und sie schlug sich nicht schlecht. Dann kam dieser eigenartige Augenblick, als wir und auf dem Weg zum Strand machten. Mit einem unergründlichen Blick sah sie mich plötzlich von der Seite an. Ihr fröhliches Lächeln und die lustigen Worte erstarrten zu einem fast unerträglichen Schweigen.
Wie ich mich auch anstrengte, ich verstand dieses Mädchen nicht. Sie war wie ein Labyrinth mit vielen Irrwegen, das jeglichen Zugang zu ihrem Herzen verwehrte.
Warum konnte ich nie ihre Welt erreichen?
Ich verstand nichts was sie tat, fühlte mich ohnmächtig und traurig. Mein Herz empfand mehr Gefühle für sie als es mir angemessen und gut erschien. Ihre Eigenwilligkeit, ihr Temperament, ihre verborgene Herzensgüte und Empfindsamkeit, die sie selbst wohl nie freiwillig zugeben würde. Aber ich konnte ihr in ihren schwersten Stunden nie helfen. Das konnte mich zum Wahnsinn treiben.
Ich hatte fast vergessen zu erwähnen, dass ich sie nur ein einziges Mal in ihrer Verzweifelung angetroffen hatte. Es war Winter und es schneite stark. Aber ich liebte dieses Wetter, da man draußen entlang gehen konnte, ohne jemandem zu begegnen und die Welt um sich so deutlich vor Augen führen zu müssen. Ich war im Park und wollte mich an einem schönen Plätzchen eine Weile lang hinsetzen, da sah ich sie. Bewusstlos, auf ihren Kleidern lag bereits eine dicke Schicht Schnee. Wie ein Verrückter schüttelte ich sie und schrie sie an. In dem Moment umklammerte mich eine solche Angst. Ich stützte sie ab und brachte sie nach Hause. Ich glaube wenn sie sich nicht in einem so schwachen Zustand befände, würde sie mich glatt aus der Wohnung schmeißen.
Es gibt Menschen, die nicht nur genusssüchtig, sondern auch leidenssüchtig sind. Das traf auf Mariko genau zu. Manchmal bekam ich das Gefühl, dass sie sich selbst in ihre Welt voller unerklärlicher Schmerzen und Trauer hineinsteigerte und allen Menschen den Zugang zu ihr verweigerte, mich inklusive. Sie erschien so geübt darin, Enttäuschungen und Verzweiflungen hinzunehmen, dass es ihr beinahe unmöglich erschien, jemandem ungetrübt Liebe und Vertrauen zu schenken. Stets bestand sie darauf, in den Stunden ihres größten Leidens sich in ihr inneres zurückzuziehen und alleine sich den unvorstellbaren Mächten zu stellen. Vielleicht musste sie jedes Mal Todesängste überwinden, um wieder in unsere wahrnehmbare und gemeinsame Welt zurückzukehren. Wie sehr wünschte ich mir, dass ich ihr doch auf irgend einer Weise helfen konnte, aber sie stieß meine Hilfe energisch zurück. Wer war ich denn wirklich für sie, welchen Platz hatte ich überhaupt in ihrem Herzen?
Sie war kein Mensch mit vielen Worten und was sie sprach oder tat, konnte man selten eindeutig interpretieren. In den Stunden der Leidenschaft verstand sie mich von ihrer Liebe zu überzeugen und ich glaubte, sie mit meiner Zärtlichkeit glücklich machen zu können. In anderen Momenten, als sie plötzlich mir und der Welt den Rücken zukehrte und in ihrer einsamen Verzweifelung versank, konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, ob sie mich nur aus körperlichem Verlangen liebte. Manchmal wollte ich wissen was sie alleine tat, aber sie ging weder ans Telefon noch an die Tür, obwohl ich das Licht durch ihr Fenster durchschimmern sah. Ich versuchte manchmal stundenlang oder sogar tagelang sie zu erreichen. Irgendwann kam sie fröhlich und unbeschwert zu mir, tat so als wäre nichts geschehen, während ich mir die ganze Zeit Sorgen machte und mir so gut wie sicher war, dass sie vor hatte mich zu verlassen.
Nein, bei ihr hatte ich mich nie sicher gefühlt. In unseren freudeerfüllten Stunden genossen wir unser Glück so gut wie nur möglich, denn jedes Mal hatte die Zeit etwas Endgültiges an sich und jedes Wiedersehen beinhaltete auch ein Abschied. Die ganze Zeit über versuchte ich, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass sie sich in einer selbstverständlichen Weise auf mich verlassen konnte. Ich wollte, dass sie sich sicher fühlte, nicht mehr allein und verloren. Ich wollte, dass ich ihr beistehen konnte. Aber nun scheint alles etwas zu spät zu sein.
Eigentlich hatte ich es mir vorgestellt, mit ihr gemeinsam durchs Leben zu gehen, in all unseren guten und schlechten Zeiten. Aber nun ist sie mir abhanden gekommen, ich habe sie verloren und stehe alleine auf dem langen Weg. Ihre Vergangenheit, ihre Trauer, ihr Kampf und ihre Verzweiflung – ich verstand so vieles wortlos und hatte mir vorgenommen, ihr nie weh zu tun und sie für das Geschehene zu entschädigen, sie zu beschützen, verwöhnen und zum Lachen zu bringen, damit sie nie wieder zurückblickt und darin versinkt.
Mariko, ich hätte für dich so vieles wieder gut machen wollen, nur um sich glücklich und nicht mehr so mitgenommen zu sehen.
Dann bist du doch gegangen, wie ein Felsbrocken, der aus eigenem Antrieb in den Abgrund rollte, ohne mir auch eine Nachricht oder die geringste Erklärung zu hinterlassen. Meine ganze Bemühungen, meine Gefühle, die ich dir die ganzen Jahre über wie ein freies Büffet angeboten hatte, ließest du einfach zur Müllablage hindeponieren. Ich schätze mich nicht als einen besonders aggressiven Menschen ein, aber damals in der Nacht überkam mich dieses überdeutliche Verlangen (lag vielleicht an den Filmen heutzutage), meine Hände in dein warmes Blut zu tauchen und so herauszufinden, wie viel Kaltherzigkeit, Ignoranz, Gleichgültigkeit, Arroganz und Blödheit eigentlich in dieser roten Flüssigkeit steckte, die deinen Körper und Denkorgane versorgte. Aber ich konnte dich nicht hassen, so sehr ich mir es auch wünschte. Denn dafür fühlte ich zu sehr mit dir. Du warst du einem Teil meiner Seele geworden.
Ich bin immer noch der Meinung, dass man jede Liebe nur einmal im Leben erleben kann und die stärkste davon unser ganzes Leben prägen wird. Zwei Menschen, die von Natur aus eigentlich zusammen gehören und aus den verschiedensten menschlichen Gründen nicht zusammen bleiben können, ähneln zwei Leuchttürme in der Dunkelheit, die sich trotz der Entfernung immer noch kaum wahrnehmbare Lichtsignale zusenden.
In der Dunkelheit sehe ich dein Lächeln und wie sehr ich mich auch anstrenge, die Gedanken an dich wollen mir nicht aus dem Kopf gehen.
Man kann mit so vielen Worten so erstaunlich wenig sagen.