Fanfic: Eine Geschichte / Die Sprache des Auges

Untertitel: Es passiert nie mehr als einmal im Leben und lässt uns nie wieder los

Kapitel: Der Regen

Der Sommer ging vorbei. Ich schaute nahezu trostlos aus dem Fenster, während der schwere Regen vom trübgrauem Himmel niederprasselte. Mein Zimmer war klein und bestand hauptsächlich nur aus einem schmalen Holzbett, einem kleinen Kleiderschrank und einem alten Schreibtisch. Ich hatte mintgrüne Gardinen, die mich an den Frühling erinnern sollten. Die Wände hatte ich in einem weißlichen Hellgrün angestrichen, der Teppich war tannengrün. Trotzdem fühlte ich den schweren Herbst und hatte auch keine Lust, Hausaufgaben zu machen. Ich nahm einen roten Regenschirm und ging nach draußen.

Im Park war bei diesem Wetter kaum ein Mensch zu sehen. Ich spazierte ziellos herum und trauerte um das Vergängliche im Leben. An einer Holzbank entdeckte ich eine verschwommene Gestalt.

„Wer das wohl ist?“, fragte ich mich und wurde misstrauisch. Es war gegen Abend und bereits etwas dunkel, was dieser Jahreszeit zu verdanken hatte. Deshalb hielt ich Abstand und ging möglichst eilig daran vorbei. Heimlich warf ich einen möglichst unauffälligen Blick auf diese Person im Halbdunkeln.

Große Augen, von dichten Wimpern umrandet, schauten mich durch den Regenschleier an. Ich erkannte eine durchnässte, erschöpfte Gestalt. Es war Yami.

„Was machst du denn hier?“

Statt zu antworten, sagte er einfach nur:

„Hallo. Mariko.“

Mir wurde die Sache etwas unheimlich. Wenn er weiter hier sitzen so würde, würde er nicht nur mit einer kleinen Erkältung davonkommen. Aber ich kannte ihn doch kaum. Wie konnte ich ihm denn helfen? Vor allem: Braucht er überhaupt meine Hilfe?

„Du bist ja ganz nass. Warum gehst du nicht nach Hause?“

„Lass mich bitte alleine. Das Wasser schadet mir nichts.“

Seine Stimme klang düster und unnahbar. Ich überlegte ob ich jetzt lieber weggehen sollte, denn schließlich geht mich sein Zustand ja auch nicht direkt etwas an. Aber wäre es dann nicht unterlassene Hilfeleistung, wenn er wirklich hier...?

„Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Du verstehst das nicht. Kümmere dich nicht um mich.“

Langsam stieg in mir eine Wut auf. Was sollte das Ganze? Ich sollte einfach weggehen und mich dann mit meinem schlechten Gewissen plagen?

„Vergiss es!“, sagte ich zu mir selbst. „Ich muss ihn an einem warmen, trockenen Ort bringen! Er scheint nicht mehr bei vollem Verstand zu sein!“

Ich packte ihn am Arm und zerrte ihn hoch. Überraschenderweise wehrte er sich kaum dagegen.

„Wo wohnst du?“, fragte ich ihn.

Aber er schüttelte nur seinen Kopf. Ich überlegte, ob ich einen Krankenwagen (?!) rufen sollte und wollte zu der Telefonzelle gehen, die ein paar Schritte von der Bank entfernt ist. Aber Yami hielt mich fest:

„Bitte...lass es niemand wissen...“

Ich war ratlos. So eine Situation war mir völlig fremd. Was sollte ich machen? Yami schien sich kaum auf die Beine halten zu können, aber er will keine Hilfe! Warum bin ich ihm nur über den Weg gelaufen...Aber jetzt kann ich ihn unmöglich alleine hier lassen!

Ich traf eine Entscheidung, auch wenn ich an ihre Folgen nicht zu denken wagte. Dafür hatte ich auch keine Zeit.

Ich brachte Yami zu mir nach Hause.

Zuerst wickelte ich ihn in eine Wolldecke ein und ließ heißes Badewasser einlaufen. Als es fertig war, schickte ich ihn mit einem großen Handtuch und ein paar Sachen von meinem älteren Bruder ins Bad.

„Du weißt wohl was du nun tun musst!“, rief ich ihm hinterher und machte die Tür hinter mir zu. Irgendwie war es mir peinlich, mich so um einen fremden Jungen kümmern zu müssen. Aber hatte ich eine andere Wahl? Als halbwegs hilfsbereiter Mensch?!

Yami hatte während des ganzen Weges kein Wort gesagt und ließ sich von mir in die Wohnung bringen. Mir wäre es viel lieber, wenn er mir doch wenigstens seinen Wohnort verraten hätte. Aber nun war es sowieso zu spät.

Zum Glück kamen meine Eltern immer erst spät nach Hause und mein Bruder war bereits seit einiger Zeit von Zuhause aus weggezogen.

Nach etwa 15 Minuten klopfte ich an der Badezimmertür.

„Bist du nun fertig?“

„Wehe er antwortet nicht oder ist sogar ohnmächtig geworden! Dann hätte ich noch mehr Probleme!“, dachte ich währenddessen, wahrscheinlich ziemlich egoistisch.

Zum Glück hörte ich seine ruhige Stimme:

„Ich bin gleich fertig.“

In der Küche machte ich einen heißen Zitronentee und ein paar heiße Waffeln. Als Yami herauskam, setzte ich ihm alles vor:

„Du musst auch etwas essen!“

Er hat die trockenen Kleider angezogen und sich wieder in die Wolldecke eingewickelt. Ohne ein Wort zu sagen nahm er die Waffeln und aß. Dazu trank er den heißen Tee.

Ich war beruhigt zu sehen, dass ihm jetzt sichtlich viel besser ging.

„Also keine Lebensgefahr mehr...“, dachte ich. „Meine Pflicht wäre jetzt getan und mein Gewissen erleichtert...“

Als er fertig gegessen hatte, fragte er:

„Wohnst du alleine?“

Ich schaute ihn an und konnte meinen eigentlich unbegründeten Ärger wohl nicht so gut verbergen:

„Nein. Meine Eltern kommen in zwei Stunden.“

„Tut mir leid, dass ich dir so viele Schwierigkeiten bereitet habe.“

„Ach dir tut es leid?!“, dachte ich und: „Ich muss ihn irgendwie hier weg schaffen!“

„Nun schaffst du es doch alleine nach Hause, oder?“

Aber dann schaute er mich wieder finster an und sagte schließlich:

„Ich kann nicht mehr nach Hause. “

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