Fanfic: Eine Geschichte / Die Sprache des Auges

Untertitel: Es passiert nie mehr als einmal im Leben und lässt uns nie wieder los

Kapitel: Die Flucht


Bald kam der Sommer und ich ging nachmittags ins Freibad, meistens alleine. (War denn wirklich jeden Tag so gutes Wetter?) Oft lag ich nur auf der Wiese, weil das Wasser doch noch etwas kalt war. (Ach so...)Ich hatte Bücher und Musik dabei und genoss die Sonne.

So verging die Zeit langsam aber sicher und ich gewann mein altes Gleichgewicht wieder.

Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu. Ich hatte alle Prüfungen geschafft. (Was für ein Weltwunder)

Für nächstes Schuljahr wollte ich die Schule wechseln. Dann müsste ich jeden Morgen zwar eine halbe Stunde fahren, aber ich müsste Yami nicht wiedersehen. (Was haste denn gegen ihn?)

Ich besuchte an einem ausgesuchten Tag die in Frage kommende Schule. Sie war groß, weiß angestrichen, sonst wie jede Schule auch. Ich ging zum Sekretariat, um mich nach den nötigen Unterlagen zu erkundigen. Mit der Schulleitung meiner jetzigen Schule hatte ich bereits gesprochen. Sie hatte meinem Schulwechsel zugestimmt.

Dann ging ich zum Pausenhof der neuen Schule und suchte mir einen Platz im Halbschatten. Hier würde ich mich in der Zukunft während der unterrichtsfreien Zeit aufhalten. Auf dieser Schule würde ich meine restliche Schulzeit verbringen. Ich müsste nicht mehr jeden Tag darauf achten, Yami aus dem Weg zu gehen und seine Blicke zu meiden.

Diese Zeiten würden für immer vorbei sein. Die Tür der Vergangenheit würde sich hinter mir schließen. Und immer verschlossen bleiben.

„Auf Wiedersehen, Yami.“

Die dunkelgrünen Blätter über mir rasselten in der warmen Sommerbrise. Ich sah die Sonnestrahlen durchscheinen. Sie erreichten meine Augen, mein Gesicht und ich spürte ihre Wärme. Es war wie ein Augenblick des Traumes in der Realität.

Ich beschloss, nie wieder das Gleiche zu fühlen.

Am letzten Schultag bekamen wir unsere Jahreszeugnisse. Ich hatte einen guten Durchschnitt, aber im Vergleich dazu was ich dafür leisten musste, verlor er für mich an Bedeutung. Mir war es bewusst, dass dies der letzte Tag darstellte, den ich zusammen mit meinen Schulfreunden in dieser Schule verbringen würde. Dieser Tag würde sich nie wiederholen. Ich fühlte die Trauer in mir. Niemandem hatte ich von meinem bevorstehenden Schulwechsel erzählt. Die meisten von ihnen würde ich nie wieder in meinem Leben sehen.

Yami saß an seinem Tisch und las in seinem Zeugnis. Er hatte bestimmt einen besseren Notenschnitt als ich. (Ist das denn das Einzige, wofür du dich interessierst?) Und er musste nicht mal halb so hart daran arbeiten.

Er würde mit jeder Situation fertig werden. Denn er besaß eine innere Stärke, die ihn nie in Stich lassen würde. Er hatte es nicht nötig, mir nachzutrauern. Ihm könnte die ganze Welt gehören, wenn er sie nur wollte.

Aus seinem Leben sollte etwas Besseres werden als aus meinem.

Mein Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben. (Was soll ich denn zu so einer Einstellung sagen...?)

Ich packte mein Zeugnis ein und folgte den anderen aus dem Klassenzimmer. Nun haben die Ferien offiziell begonnen und man wünschte sich gegenseitig viel Gutes, Angenehmes. Ich hatte das Bedürfnis, all meinen Mitschülern schöne Wünsche hinterher rufen zu müssen.

Aber ich traute mich nicht, Yami anzusprechen. Er wirkte abwesend und unnahbar.

Die Sommerferien verbrachte ich mit ein paar alten Freunden am Meer. (Doch nicht die ganzen Ferien, oder?!) Es war der übliche Spaß den man sich denken konnte. Dazu konnte man nicht viel sagen.

Die Tagen danach setzte ich an meiner neuen Schule fort. Keine Überraschungen, nichts Besonderes, wie immer.

Ich fühlte mich selbst immer weniger und das war vielleicht am besten so.

Yami und die anderen verschwanden einfach aus meinem Leben. Und ich vergaß mit der Zeit, dass ich jemals ein anderes Leben geführt hatte.

Ich spürte nichts Glückliches aber auch nichts besonders Trauriges in mir. Meine Erinnerungen an heftigen Gefühlsausbrüchen verblassten allmählich. Meine Bilder und Gedichte hatte ich weggepackt, irgendwo in einer dicken Mappe unter dem Bett verstaut, zusammen mit den vielen Romanen, die ich einst besaß.

Für die Nachmittage hatte ich einen kleinen Nebenjob in einem Büro gefunden. Ich musste Sachen abtippen, Informationen recherchieren und mich um nebensächliche Organisationstätigkeiten kümmern. (Kaffee kochen...)

Dabei konnte ich mein ganzes Leben hier an diesem kleinen Schreibtisch in der Ecke vorstellen. (O mein Gott)

Ich hielt Abstand von den anderen Menschen und bemühte mich nicht einmal, ihre Namen richtig zu merken. Für alles, was mich nicht direkt anging, interessierte ich mich recht wenig.

Tag ein, Tag aus fuhr ich zur Schule, saß im Unterricht, ging einkaufen bevor ich nach Hause kam, ging zur Arbeit und kehrte am Abend wieder zurück, machte Hausaufgaben und sah fern. Keine Bilder, keine Gedichte, keine Musik und keine Bücher.

Die Zeit verlief so ruhig als könnte sie stehen bleiben.

Ich ließ meine ursprünglich kurze Haare ziemlich lang wachsen und band sie hinten zu einem einfachen Zopf zusammen. Sonst trug ich kaum Schmuck und machte mir auch nicht viel aus Schminke.

Mein Geld gab ich für Reisen und gelegentlich Kleider aus.

Außerdem sammelte ich bunte Seifen, Parfüms in kleinen Flaschen und Duftkerzen. Davon hatte ich einen ganzen Schrank voll und konnte immer noch nicht genug bekommen.

Ich schmückte meine kahle Wände mit Bildern von Vulkanlandschaften und dämpfenden Seen, versunkenen Städten im tiefen Meer, dem Lebenszyklus eines Sterns usw.

Royaka, mein damaliger Retter, fragte mich gelegentlich, ob ich ihn auf Tanzpartys begleiten konnte. Ich hatte ihm meistes zugesagt. (Kein Wunder, wenn du ein so langweiliges Leben führst...)

Er konnte gut tanzen und wir harmonierten miteinander als Tanzpaar. Aber trotzdem machte es mir nichts aus, ob er bei mir war oder nicht. Gelegentlich erzählte er von sich selbst und seinem schwierigen Studium, ich hörte ihm meistens nur oberflächlich zu. Dann fragte er auch einiges über mich und ich antwortete ihm was mir gerade so einfiel.

Eines Tages wollte er auch wissen, wie ich ihn fand. Ich benutzte dann diese üblichen Wörter wie „nett“, „freundlich“, „hilfsbereit“, „sympathisch“... Er wollte es noch genauer wissen, aber mir fiel nichts mehr ein.

Er sagte mir, dass er mich anziehend und schön fand, mich aber nicht verstehen konnte und wünschte mehr von meiner Welt zu wissen. Da hatte ich innerlich abgewinkt und redete allen möglichen Unsinn, um ihn zufrieden und endlich ruhig zu stellen.

Irgendwie strengte er mich an, dieser Royaka. Deshalb sagte ich ab, als er sich wieder mit mir treffen wollte. (Willste für immer alleine bleiben?!)

In der neuen Schule machte ich mit der Zeit manche netten Bekanntschaften. Manchmal trafen wir uns, um uns auf Klausuren vorzubereiten oder einfach so zum Spaß. Ich fühlte mich weder einsam, noch unter Freunden aufgehoben. Weder besonders fröhlich, noch besonders melancholisch. Weder tot, noch lebendig.

Ich spürte mein Leben nicht mehr.

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