Fanfic: Eine Geschichte / Die Sprache des Auges
Untertitel: Es passiert nie mehr als einmal im Leben und lässt uns nie wieder los
Kapitel: Unsere Erinnerungen
Meine Großmutter hatte mir immer so leid getan, wenn ich an das Leben eines Menschen dachte. Sie konnte kaum lesen und schreiben. In jungen Jahren wurde sie von ihrem Vater mit meinem Großvater verheiratet. Ein Mann, den sie nie gesehen hatte, der sie nicht liebte.
Beide waren Opfer von alten Traditionen, aber der schwächere und unbeholfenere Teil musste dabei eben noch mehr Leid ertragen. So weit ich mich zurück erinnern konnte, ging sie fast nie aus dem Haus. Ihr Rücken war so stark gekrümmt, dass sie nur mit Hilfe von Krücken gehen konnte. Sie kochte, nähte, wusch die Kleider. Ihr einziger Sohn war mein Vater, der sie anbrüllte, als sie das Wasser zu sparsam verwendete. Dann starb sie im Krankenbett, als sie einmal hinfiel und ihren Arm gebrochen hatte. Ich konnte nicht bei ihr sein. Aber zu dieser Zeit in meiner Kindheit war sie der einzigste Mensch, der mich nicht anschrie, der sanft meine Haare kämmte und mit mir zu Hause spielte. Sie hatte so vieles ertragen, und was hatte sie in ihrem Leben bekommen? Damals verstand ich das alles nicht. Ich verstand auch nicht, warum mein Großvater und vor allem mein Vater mich so anschrieen, mir Schläge androhten und es manchmal auch tatsächlich taten. Warum meine Großmutter und Mutter mir dabei nicht zur Hilfe kamen, obwohl ich solche Angst hatte, mich so hilflos und verzweifelt gefühlt hatte.
Ich hasste meinen Vater und Großvater, weil sie sich als die Stärkeren ihren Willen sogar mit Gewalt durchsetzten konnten. In ihrem Machtrausch duldeten sie keine Widerrede, keine eigene Gedanken. Ich hasste aber auch meine Mutter und meine Großmutter, da sie zu schwach waren, um sich gegen Unrecht zu wehren oder andere Menschen, die sie angeblich liebten, zu beschützen.
Schon ziemlich früh erkannte ich, dass ich alleine auf dieser Welt war und kämpfen musste, um zu überleben. Ich konnte mir keine fremde Hilfe erhoffen, nicht einmal von meinen engsten Verwandten. Sie wurden einst gezwungen, anders zu sein als sie tatsächlich waren, sich den Mächtigeren zu beugen und ihren eigenen Willen aufzugeben. Deshalb versuchten sie jetzt das Gleich mit mir. Aber damit sollten sie keinen Erfolg haben. Nicht bei mir. In meinem Inneren spürte ich diesen ungeheuren Wut, der mich dazu treiben konnte, mein eigenes Leben zu riskieren, um Widerstand zu leisten.
Ich galt schon immer als ein sehr schwieriges Kind. Zu Hause wurde ich angeschrieen, weil ich Radiokrimis hörte statt zu lernen, unerlaubt malte (meine Schulbücher waren voll von meinen Zeichnungen), beim Essen ungeniert aussah und ständig gegen die strengen Hausregeln verstieß. In der Schule bestraften mich die Lehrer, weil ich Kleinigkeiten vergaß, mit meinen Sitznachbarn sprach und einmal in drei Jahren zu spät kam. Dann gab es noch diese Jungen, die mich jeden Tag auf unterschiedlichsten Weisen ärgerten. Ich gab meinen Ärger weiter, in den ich eine arme hilflose Mitschülerin von mir quälte. Später hörte ich, dass sie sich an mir rächen wollte, aber zum Glück war ich da schon in eine andere Stadt umgezogen...
In meiner Kindheit gab es nur eine sehr überschaubare Anzahl von Dingen, die mir Trost spendeten. Jede kleine menschliche Zuwendung hatte ich mir ins Gedächtnis gebrannt. Solche Kleinigkeiten wäre den meisten nicht einmal aufgefallen. Ich zeichnete und malte mir meine eigene Welt aus. Die Welt, in der ich gerne gelebt hätte. Ich hörte gerne Geschichten und las für mein Leben gern. In der Welt der Erzählung eingetaucht, nahm ich dann nichts mehr von der Welt wahr, die mich tatsächlich umgab. Leider bekam ich nur wenig Lesbarem in die Hände. Deshalb empfand ein altes Universallexikon für Erwachsene, das ich kaum verstand, bereits als spannend. Das Unbekannte darin faszinierte mich geradezu.
Auf einer anderen Grundschule prügelte ich mich mit den Jungs und konnte mich meistens noch erfolgreich durchsetzen, obwohl mir die Tritte ins Schienbein dicke blaue Flecken brachten, die dann für ziemlich lange Zeit schmerzten.
In der Klasse wurde ich meistens ausgegrenzt. Ich galt als sonderbar und als ich mich auf meine Noten konzentrierte, verkörperte ich die abstoßende Streberin in Person überhaupt. Für einige Zeit lang versuchte ich mein Image zu bessern, in dem ich kaum noch Ausdrücke benutzte (obwohl ich es bitter nötig hatte), mich freundlich und gekünstelt statt aggressiv und natürlich verhielt und die Schlägereien ganz aufgab (Ich verhaute stattdessen lieber meinen Kopfkissen). Außerdem rannte ich noch dem letzten Idioten hinterher, um ein Stück Freundschaft zu erbetteln. Dieses Wort (Freundschaft) kannte ich bis dahin nicht und weil alle es so hoch angepriesen hatten, dachte ich, es müsste sich dabei doch um etwas wirklich Tolles handeln und wollte es mir auch natürlich nicht entgehen lassen.
Über das Ergebnis will ich lieber nicht reden. Zusammenfassend konnte man sagen, dass ich bei den Schlägereien vielleicht doch mehr Spaß hatte als mir tagtäglich die gleichen Mädchensprüche anzuhören und sogar mitzumachen. (Welche denn?!) Enttäuschenderweise war bei mir wenig von dem angekommen, was ich mir dabei vorher erhofft hatte.
War soll's...Ich machte ein Kompromiss mit mir selbst und distanzierte mich von den Mitmenschen.
Yami, ich konnte die Menschen um mich herum nicht verstehen. Genau so wenig wie sie mich verstanden. Warum empfinde und sehe ich die Dinge anders? Warum waren meine Handlungen einfach unberechenbar? Warum hatte ich dauernd das Gefühl, zwischen zwei scharfen Klingen zu stehen und mich weder vor noch rückwärts bewegen zu können?
Als ich bei meiner Tante wohnte, teilte ich anfangs das Zimmer mit meinem älteren Cousin. Manchmal riss er die Badezimmertür auf, als ich mich darin wusch. Ich beklagte ich, aber meine Tante und die anderen lachten nur darüber. Ich sollte mir nicht darauf einbilden, etwas Besonderes zu sein und das Recht auf Geheimtuerei haben. Damals spielte mein Cousin mit mir ein Spiel, das ich nicht verstand. Ich war ein Hähnchen, das er aufaß. Deshalb musste ich mich ausziehen und mich auf dem Bauch legen. Dabei gab er mir sogar ein Comic zu lesen. An so einer rührenden Freundlichkeit und Großzügigkeit seinerseits war ich überhaupt nicht gewöhnt. Er begutachtete mich und berührte mich von allen Seiten während ich abgelenkt war. In einer Vollmondnacht holte er mich sogar in sein Bett. Ich weiß bis jetzt nicht was dann passiert war, denn ich schlief ziemlich schnell ein.
Am darauf folgenden Tag bemerkte uns meine Tante und ich wurde in ein kleines Zimmerchen (ehemalige Küche) untergebracht. Wenn ich mich an die Geschehnisse von damals erinnerte, sträubten mir die Haare. Denn mir wurde nach der langen Zeit vieles klarer.
Jedes Mal, wenn ich in eine andere Stadt zog, zu einer anderen Person, wurde meine bisherige Vergangenheit begraben. In einem neuen Ort angekommen, kannte niemand meine Vorgeschichte. Ich konnte dann ein neues Leben anfangen, wenn ich es wollte. Jedes Mal hatte ich es mir auf unterschiedlicher Weise vorgenommen, die schmerzhaften Erinnerungen nie mehr zu wiederholen. Aber wie ich mich auch anstrengte und verstellte, die Vergangenheit konnte ich nicht auslöschen. Sie blieben für immer in meiner Erinnerung eingeschweißt. Sie waren zu einem Teil meines Lebens geworden.
Dann versuchte ich, mit meiner Vergangenheit Frieden zu schließen. Ich bemühte mich, die Geschehnisse in einem anderen Lichte zu betrachten und das Schöne und nicht Wiederkehrende zu betonen. Aber es machte mich dadurch nur traurig. Auf schmerzlicher Weise wurde mir bewusst, dass ich so viele Gelegenheiten in meinem Leben verpasst hatte, um den Moment des kurzen Glücks zu genießen. Mir taten meine Blindheit und Unwissenheit leid. Ich beneidete die Menschen, die all meine Probleme nicht hatten und anscheinend das ganze Leben über schon viel mehr Glück und Zufriedenheit genossen hatten. Ich zweifelte an meinem Schicksal und suchte nach Antworten. Warum musste ich so viele Irrwege durchlaufen, um endlich zu so einfachen Erkenntnissen des Lebens zu gelangen?
Yami, ich bin zu weit gekommen, um jetzt noch zurückzukehren.
Vielleicht klingt es dämlich und lächerlich, aber ich verspüre das Gefühl, dich beschützen zu wollen, Yami. Wenn du traurig und verbittert aussahst, fühlte ich nicht mehr mein eigenes Leid, sondern nur den inneren Drang, dich in die Arme zu schließen und zu trösten. Ich will dein Leid ertragen und dich lächeln sehen, Yami. Auch wenn ich unter der Last der Schmerzen zusammenbreche, will ich für dich meine lange Reise fortsetzten.
...
„Deine Augen, sie sind die Toren für eine geheimnisvolle Welt der Dunkelheit.“
„Und wir sind die gefallenen Engel, die darin leben.“
„Ob die Menschen jemals von unserer Existenz erfahren werden?“
„Das glaube ich nicht. Sie werden uns nicht sehen... Sie sehen nur sich selbst und die anderen, die ihnen gleichen.“
„Du hast ja Recht... Aber wohin werden wir gehen?“
„Wir fliegen durch die unendliche Weite des Universums. Wenn wir eines Tages das andere Ende erreicht haben, dann würden wir unsere ursprüngliche Gestalten wieder annehmen.“
„Du meinst... Wir werden dann wiedergeboren?“
„Ja... Wir werden dann wiedergeboren und unsere Vergangenheit endlich vergessen können.“
"Danke, dass du mir bei dieser Reise begleitest."
"Ja, wir werden für immer zusammen bleiben und uns vor der Dunkelheit nicht mehr fürchten."
ENDE
---
Liebe Leute, die bis hierher gekommen sind: Ich hoffe meine erste Geschichte hier hat euch gefallen. Lasst mich wissen, ob ihr etwas gut oder schlecht fandet. Würde mich echt freuen.
Mach's gut & bis bald
by LoveYami