Fanfic: Der Traum
Kapitel: Ich
Japan. Land der aufgehenden Sonne. Ich hielt mein Gesicht in die warmen Strahlen, die vom strahlendblauen Himmel auf die Erde fielen. Während ich über die Hauptstraße unseres kleinen Städtchens, gar nicht so weit entfernt von Tokio, lief, folgten mir viele Blicke und blieben besonders oft auf meinem Haar hängen. Ich lächelte in mich hinein. Rotgoldene Haare waren in einem Land, in dem fast nur schwarzhaarige Menschen lebten, einfach eine Attraktion und ich bekam aufgrund dessen allein schon jede Menge eindeutig/-zweideutige Angebote, die ich jedoch allesamt abgelehnt habe. Wie schon erwähnt, war mir meine Freiheit sehr wichtig.
Ich war auf dem Weg von der Arztpraxis zur Schule. Meine Eltern waren heute Morgen in mein Zimmer gestürmt, als sie mich schreien hörten und meinten, ich hätte mich gewehrt wie eine Verrückte. An all dies konnte ich mich ehrlich gesagt nicht erinnern. Es schien, dass all meine Erinnerungen an diesen erschreckenden Moment heute Morgen verschwommen und teilweise sogar verschwunden waren. An die Bilder, die ich wie im Fieber gesehen hatte, konnte ich mich gar nicht mehr entsinnen, gleichwohl wusste ich noch genau, wie schrecklich sie gewesen waren, und welche Gefühle sie in mir ausgelöst hatten.
Das ganze Ereignis kam mir wie weit entfernt vor und in der strahlenden Sonne, in der ich mich momentan befand, sehr unwirklich. Wahrscheinlich war ich noch zu sehr in meinem ständig wiederkehrenden Traum vertieft und hatte, als ich dieses Kästchen geöffnet hatte, ihn quasi fortgesetzt. Ich glaubte nicht an so einen Schnickschnack von wegen Hexen, Teufeln und Wiedergeburten, das alles war wohl nur eine Ausgeburt meiner blühenden Phantasie. Dennoch fröstelte ich trotz des warmen Wetters. Also verdrängte ich die Gedanken.
Ich rümpfte die Nase. Dieser Heinz von einem Doktor hatte mich nicht gehen lassen wollen… Meinte ständig, das wäre ja „höchstinteressant“ und war die ganze Zeit nur um mich herumgewuselt. Vielleicht muss man hinzufügen, dass ich eine starke Abneigung gegen Ärzte entwickelt habe, und je älter ich werde, desto schlimmer scheint es zu werden. Nicht gegen die Menschen selbst, im Gegenteil, ich kannte einige sehr nette Ärzte von angenehmen Wesen, aber ich hasse es einfach, wenn mich jemand anfasst. Seit ich mich erinnern konnte, mochte ich es überhaupt nicht, wenn jemand meinen Körper untersucht. Nun ist es nicht so, dass ich körperlichen Berührungen abgeneigt bin, ganz und gar nicht, aber die Unruhe, die mich befiel, wenn ein Arzt meinen Leib wie fast schon einen Gegenstand betrachtete, behagte mir ganz und gar nicht. Und heute war es ein ganz besonders unangenehmes Spektakel gewesen. Meine Eltern hatten mich – immer noch schreiend übrigens – in das verdammte Krankenhaus eingeliefert, wo ich mich dann irgendwann beruhigt haben musste. Jedenfalls erschien dieser Stationsarzt und wollte mich fast gar nicht mehr gehen lassen. Er war jung, und von recht ansprechendem und angenehmem Äußeren, aber er war so über die Hintergründe meines Zusammenbruchs – an dessen Einzelheiten ich mich ja nicht einmal erinnern konnte – fasziniert, dass er mich fast wie ein Forschungsobjekt betrachtete. Für ihn sprach jedoch seine Begeisterung, die wahre Liebe zu seinem Beruf verrieten, und dass er endlich von mir abließ, als er merkte, wie angespannt ich vor ihm stand. Also entschuldigte er sich lieb – er war fast schon süß zu nennen – und entließ mich mit der Anmerkung, dass ich körperlich topfit war und anscheinend nur einen Schock bekommen hatte, außerdem bräuchte ich keinerlei weitere Untersuchungen „über mich ergehen zu lassen“. Ich war leicht beschämt, dass er mich so leicht durchschauen konnte, und ich meinen Unwillen so deutlich gezeigt hatte, also lächelte ich zurück und dankte ihm sogar (was allerdings eher symbolischen Wert hatte). Er strahlte mich an und meinte nur, wenn ich mal wieder Probleme hätte, solle ich nur bei ihm vorbeikommen…
Ich verdrehte bei der Erinnerung daran belustigt die Augen. Männer sind ja doch alle gleich.
Autos hupten, die Ampel wechselte auf Grün und ich die Straßenseite. Meine Schule war schon in Sichtweite. Obgleich meine Eltern darauf bestanden hatten, nach meinem kleinen Psycho-Trip heute mich zu bringen, wollte ich lieber unabhängig sein und die zwei Kilometer zur Schule laufen. Ich ging relativ gern zur Schule, hier in Japan lehrten nur hervorragend ausgebildete Lehrkörper, das Niveau war hoch und der Unterricht erstklassig. Wahrscheinlich klingt es unglaublich angeberisch, aber mir fiel das Lernen schon immer leicht. Ich musste nie viel pauken, konnte mir meist alles sofort merken, wenn ich es verstand. Außerdem war ich es seid meiner Kindheit gewohnt, mich schnell umstellen und anpassen zu müssen. Wie schon mal erwähnt, reisten meine Eltern unglaublich viel durch die Weltgeschichte, sodass wir nie lange an einem Ort blieben. So etwas wie ein Zuhause gab es nie wirklich. Aber das störte mich nie. Ich war – im Gegenteil – begeistert und aufgrund dieser Tatsache so was wie ein kleines Sprachenwunder. Tatsächlich beherrschte ich wegen der Reisen und meiner Eltern, die über ein noch größeres Repertoire verfügten, über 6 Sprachen fließend – Englisch, Französisch, Griechisch, Japanisch, Spanisch und Altlatein. Außerdem kann ich nicht gerade wenig Italienisch, ein paar Wörter Russisch und Deutsch. Von anderen Sprachen leider noch nicht soviel, allerdings überlegte ich, ob ich nicht einen Kurs für Türkisch oder Arabisch belegen sollte. Leider hielten mich meine geschichtlichen Forschungen im Moment noch ab, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.
Wir – meine Familie – hielten uns ein bisschen für Multikulturell, da wir zu keiner Nation richtig dazugehörten. Mein Vater war ursprünglich Kanadier und meine Mutter Irländerin, von ihr habe ich auch die roten Haare und die grünen Augen geerbt. Meine Familie väterlicherseits stammt allerdings aus Japan, das mein Urgroßvater wegen irgendeiner Familienangelegenheit vor vielen Jahrzehnten leider verlassen musste. Seine große Liebe zu seinem Vaterland hatte er aber nie vergessen, und er übermittelte sie ebenfalls seinen Nachfahren, was der Grund ist, dass ich auch Japanisch fließend lesen und schreiben konnte. Diese Kultur ist tatsächlich sehr faszinierend und ich verbrachte Stunden damit, sie zu erforschen und zu studieren.
Nun sind wir in das Ursprungsland zurückgekehrt, in ein Land, dessen Menschen so freundlich, aber gleichzeitig auch so traditionell geblieben sind. Was mich immer wieder ein wenig zum Schmunzeln bringt, ist die Tatsache, dass die Japaner so gerne so viele Sachen aus anderen Kulturen übernehmen, ganz gleich, ob das überhaupt mit ihrer eigenen zusammenpasst. Ein gutes Beispiel: Weihnachten, ein Fest, das in vielen Familien auch in Japan gefeiert wird, obwohl es weder mit ihrer Geschichte, Tradition, noch etwas mit ihrer Religion zu tun hat. Außerdem können die Japaner absolut fanatisch nach unsinnigen Dingen sein… ein sehr liebenswürdiger Zug, den ich aber nie verstanden habe und wohl nie ganz verstehen werde.
Nun ja, jetzt waren wir hier. Meine Mutter war Professorin für mittelalterliche Geschichte an einer Elite-Uni in Tokio, das gar nicht weit entfernt lag, und mein Vater war Archäologe und buddelte begeistert Ruinen aus, von denen er dann abends immer ganz begeistert schwärmte. Wir sind nämlich nicht nur eine Sprachen-, sondern auch eine Geschichtsliebende Familie, und auch ich werde eines Tages eine ähnliche Richtung einschlagen, denk ich mal.
Wir würden jetzt eine Weile hier bleiben, das wusste ich. Mein Vater war begeistert, in seinem eigentlichen Heimatland (obwohl er äußerlich nicht einmal mehr sehr einem Japaner ähnelte) zu leben und wollte gerne einige Jahre hier verbringen. Dass die Reiselust dann doch meine Eltern wieder packen würde, war jetzt schon abzusehen, allerdings wusste ich nicht, ob ich dann mit ihnen kommen würde… Ich war alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen und außerdem sollten die Zwei ruhig mal einige Zeit ohne mich verbringen.
An der Schule angekommen, begegnete ich unserem recht grimmig blickendem Platzwächter, der mich ansah, als wolle er mich gleich persönlich zu Rechenschaft ziehen, warum ich denn so spät sei. Unschuldig lächelnd zeigte ich ihm die Entschuldigung vor, die der Arzt und meine Eltern unterzeichnet hatten. Grummelnd wandte er sich ab. Es war weithin an unserer Schule bekannt, dass er nichts lieber tat, als kleine Schüler zu maßregeln. Bei mir hatte er bisher immer den Kürzeren gezogen. Ich ging weiter ins Schulgebäude. Zum Glück klingelte es gerade zur dritten Schulstunde und ich musste nicht mitten in den Unterricht platzen.
Mein „kleines Erlebnis“ von heute morgen war schon fast vergessen, auch wenn ich nicht der Typ war, der schnell über alle Sachen hinweggeht. Dennoch, da war dieser Stich in meinem Innern… Was hatte dies alles nur zu bedeuten?