Fanfic: Kai in der Krise

Untertitel: Russland ist ein schönes Land...oder doch nicht?

Kapitel: Halluzinationen

"Kai?" fragte sie vorsichtig, als sie am Ort des Geschehens angekommen war und ihren Freund erblickte, der nahe der Balkonbrüstung stand. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. "Da bist du ja endlich" sie bemerkte, dass er leicht schwankte und sich immer wieder am Geländer festhalten musste, um sein Gleichgewicht wieder zu finden. Als er sich endlich zu ihr umdrehte starrte er sie mit emotionslosen, fast schon toten, Augen ausdruckslos an. Seine Gesichtszüge regten sich nicht. Er öffnete kurz den Mund, wahrscheinlich, um etwas zu sagen, doch er brachte keinen Ton heraus. Stockend schaute er wieder in Richtung Boden. Seine Wangen waren leicht gerötet- sie wusste nicht ganz ob dies von der Menge des Alkohols kam, der von ihm, laut Hillary, in den letzten Stunden vernichtet worden war, oder ob er geweint hatte. In seiner derzeitigen Verfassung wäre letzteres gar nicht so undenkbar gewesen.
Bei seinem Anblick blieben Frankie all ihre Wörter abrupt im Hals stecken. Der sonst so kecken, selbstbewussten und wortgewandten jungen Frau verschlug es die Sprache. Auch wenn Kai es vielleicht zu verstecken versuchte - der Schmerz, der von ihm ausging, schrie sie förmlich an - betäubte sie für einen Moment lang. Immer noch hielt er mit einer Hand krampfhaft das Geländer umklammert, die andere ballte er nun langsam zu einer Faust. Unbändiges Zittern ergriff seinen Körper, als Frankie sah, wie kleine Bluttropfen seine geschlossenen Finger entlangliefen und leise zu Boden tropften.
"Kai, mach dir Hand auf" sagte sie ruhig, aber dennoch befehlend und griff nach ihm. Energisch schüttelte er den Kopf und zuckte zurück, die Hand immer noch fest umschlossen. Eine kleine, rote Pfütze hatte sich am Boden gebildet und vermischte sich mit den Tropfen des Regens, die noch immer unnachgiebig vom Himmel fielen. "Kai...bitte." je näher sie auf ihn zutrat, desto mehr wich er vor ihr zurück- bis er die Hauswand hinter sich erreicht hatte und sich verzweifelt dagegenstemmte- als würde er hoffen, dieses Hindernis mit seiner eigenen Körperkraft zum Einsturz zu zwingen.
Frankie war nur noch wenige Meter von ihm entfernt und sah, wie er sich hilfesuchend umsah- wie ein Tier das kurz davor war, eingefangen zu werden. Seine Augen wanderten fast panisch über den Boden hinweg zu der Wohnung neben ihm und blieben auf dem Balkongeländer ruhen. Mit der freien Hand, mit der er sich bis dato noch an der Brüstung festgehalten hatte, tastete er die Wand hinter sich ab. Erneutes Zittern nahm seinen Körper in Besitz, als er feststellen musste, dass er in der Falle saß.
"Was ist nur los mit dir?" fragte die Deutsche ihn sanft und nahm ihren Blick noch immer nicht von seiner blutenden, geschlossenen Hand. "Ich will dir doch nur helfen."
Langsam hob er seinen Kopf und schaute ihr das erste Mal ins Gesicht. "Helfen?!" wiederholte er erschrocken, als wenn ihm dieses Wort gänzlich fremd wäre. Frankie sah, wie er mit den Tränen kämpfte, die sich in seinen Augen gesammelt hatten und darauf brannten, ihren Weg über seine Wangen zu finden. Auch jetzt noch bemühte er sich um seine Fassung, auch jetzt noch wollte er sich und vor allem ihr keine Schwäche eingestehen. "Du...kannst mir nicht helfen" stammelte er mit bebender Stimme und drückte sich noch näher an die Wand als ohnehin schon.
Er wand sich unter ihrer Berührung, als sie seine Hand erfasste und drehte den Kopf eisern zur Seite.
"Natürlich kann ich dir helfen" widersprach sie ihm, als sie ihre Finger über die seinen gleiten lies. "Du musst es nur endlich zulassen, du alter Dickschädel"
Erleichtert stellte sie fest, dass sich seine Faust entkrampfte. Mit einem leisen Scheppern fiel die gehaltene Glasscherbe zu Boden und zersprang noch einmal in mehrere, kleine Splitter. Feine Blutfäden liefen von der Wunde aus in alle Himmelsrichtungen.
Behutsam betrachtete Frankie den Einschnitt. Er war tief, ging fast durch alle Hautschichten hindurch. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und seine Hand wäre durchbohrt gewesen.
"Wir müssen dich verarzten" bemerkte sie gelassen, um ihn nicht noch weiter aufzuregen. "Lass uns rein gehen"
Von Kai kam keine Reaktion. Er starrte hinaus auf die Moskauer Stadt, die sich unter ihm ausbreitete und deren Lichter hell und markant durch die dunkle Nacht hindurch schienen. Frankie folgte seinem Blick, der auf einmal zum Stehen kam. Als er auf einmal zu wimmern begann, wusste sie, welches Gebäude er gerade betrachtete.
Unnahbar und kalt ragten die Türme über die Dächer der Stadt hinweg- die schwarze Farbe der Steine, aus denen auch das restliche Gemäuer gebaut worden war, vermittelte den Tod, das Verderben schlechthin. Im Umkreis von gut 1 km war das Gebiet ringsherum leergefegt- nicht ein Haus war dort errichtet worden, alle Menschen mieden es. Sie erzählten sich die Schauergeschichten über Experimente und Morde, die einst vor langer Zeit geschehen waren, doch hielten sie es insgeheim für Humbug- eben Schauergeschichten.
Nur wenige, die, die aus der Hölle entkommen waren, kannten die schmerzliche Wahrheit. Sie kannten die wahre Geschichte der Abtei.
Auch Frankie musste schwer schlucken, als sie ihre alte Heimat wieder ins Blickfeld nahm, doch sie riss sich schnell wieder los. Ihre Vergangenheit sollte sie nicht noch einmal in Besitz nehmen.
Sie schaute zu Kai herüber und bemerkte, wie sich sein Zustand wieder drastisch verschlechterte. Man musste geradezu blind sein, um nicht erkennen zu können, wie sehr er litt, was für ein Schockzustand ihn gepackt hatte und nun nicht mehr los ließ. Seine Hände klammerten sich wieder eisern um die Balkonbrüstung, das Zittern wurde heftiger- fast wie unter Strom stand er da. Tiefe violett-graue Schatten gruben sich unter seine Augen in die totenblasse Haut, die einen grauenerregenden Kontrast zu seinen blau-grauen Haaren bildete. Gesund hatte er ja noch nie ausgesehen, doch nun glich sein Ebenbild dem eines Todkranken.
Und krank war er auch, das wusste Frankie nur zu genau. Anders, als sie, hatte er es noch immer nicht geschafft, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Seit er von Mr. Dickenson erfahren hatte, dass eine Reise nach Moskau anstand, hatte sie ihn wieder eingeholt. Ab dem Zeitpunkt an war er wieder zu einem der weltgrößten Arschlöcher geworden, hatte seine Wut und den Hass in den Vordergrund gestellt, sodass niemand seine wahren Gedanken und Gefühle, die Angst und den Schmerz, sehen konnte, die ihn erfüllt hatte.
"Schau da nicht hin Kai" sagte sie schließlich und rüttelte ihn kurz an der Schulter. Er reagierte nicht. Frankie seufzte schwer, bevor sie ihn mit aller Kraft zu sich herumriss und seinen Kopf fest in ihren Händen hielt, damit seine Blicke nicht mehr abschweifen konnten. "Hör endlich auf damit. Merkst du denn nicht, dass du dir mit dieser Scheiße selbst das Leben zur Hölle machst?"
Der Russe kniff die Augen zusammen. Sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzvollen Grimasse und dann riss er sich wieder los. "Lass mich..." schrie er "Du hast doch keine..." seine Stimme versagte und er starrte wieder hinaus auf die Stadt.
"Ich hab gesagt, du sollst damit aufhören, Kai" - es dauerte keine 3 Minuten, da hatte Frankie ihn wieder am Handgelenk gepackt und zu sich gezogen. Dieses Mal duldete sie keinen Widerstand. So sehr er sich auch wehrte, so sehr er auch riss, zappelte und schrie- sie hielt ihn eisern fest.
"Lass mich in Ruhe" brüllte er und funkelte sie aus wütenden Augen heraus an "Das geht dich alles gar nichts an. Kümmer' dich um deinen eigenen Scheiß" wieder versuchte er, sich zu befreien- wieder ohne Erfolg. "Frankie. Lass los. Ich..." wieder schwand ihm die Stimme und die Kraft, sich lautstark zu verteidigen. Als er sie dieses Mal ansah, war die Wut verschwunden. Er wirkte müde und ausgelaugt. "Bitte...lass mich los" er fiel auf die Knie, senkte den Kopf gen Boden. Frankie folgte ihm und hockte sich vor ihn. Eine Weile des Schweigens verging, als er sie noch einmal ansah. Er weinte.
"Ich will nicht wieder zurück. Sag ihnen, dass ich nicht mehr zurück will."
Langsam schloss sie ihre Arme um ihn. Wie ein Häufchen Elend saß er vor ihr und ließ sich umarmen. Ab und zu schluchzte er kurz auf- ein Zeichen dafür, dass er noch immer weinte. Als sie ihm sachte über den Rücken fuhr, krallte er sich plötzlich an ihr fest und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. Seine Hand blutete noch immer und bedeckte ihr weißes T-Shirt sofort mit Flecken.
"Wem soll ich das sagen?" fragte sie "Wohin willst du nicht mehr zurück?" innerlich konnte sie sich die Antwort schon selbst geben, doch sie wartete ab, bis er sprach- in seiner Verfassung konnte er alles Mögliche meinen.
"Die Abtei" - sie hatte also Recht mit ihren Vermutungen gehabt "Boris, mein Großvater...ich will nicht wieder zu ihnen zurück. Bitte sag ihnen das" Kai flüsterte und Frankie musste sich große Mühe geben um ihn verstehen zu können. Seine Stimme schwankte leicht und klang schwer und matt. Ab und zu lallte er etwas, hatte sich dann aber schnell wieder unter Kontrolle. Sie wollte gar nicht erst wissen, was er schon alles in sich hineingekippt hatte - die Wirkung, die er sich anscheinend davon erhofft hatte - vergessen - war augenscheinlich ausgeblieben und hatte seine Stimmung nur ins Gegenteil ausschlagen lassen.
Sie wusste, was Alkohol mit einem Menschen anstellen konnte und hoffte daher, ihn schnell ins Bett zu bekommen, schnell von der Gefahrenzone Balkon zu entfernen. 3 Stockwerke tief zu fallen würde selbst er, der in der Abtei genug ausgehalten hatte, nicht überleben.
Noch immer kauerte er bei ihr und sie drückte ihn so fest sie konnte an sich.
"Boris und Voltaire sind längst hinter Schloss und
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