Wölfin der Istari
Durch unbekanntes Land
Durch unbekanntes Land
Die Dämmerung, die lautlos und geheimnisvoll einzog, tauchte das Land in die typischen Farben des Lebens.
Amaya und Miyako nahmen diese Farben, die Bäume, schlicht die Landschaft, durch die sie liefen und die nun vollends in ihrer Pracht erblühte, aufgrund ihrer Geschwindigkeit nur verschwommen wahr. Sämtliche Schattierungen der Bäume und Gräser liefen ineinander über und bildeten ein ungewöhnliches Farbenmuster.
Amaya, die weiße Wölfin, lief ein Stück voraus und die Schnauze in die Luft. Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr, selbst, wenn sie es gewollt hätte. Doch ihr ganzes Denken, Tun und Fühlen konzentrierte sich auf den letzten Willen ihrer Mutter: Die Kaze Wolfsdämonen zu finden. Amaya wusste nur, dass diese im Südwesten lebten und daher nur dort zu finden waren.
Plötzlich hielt Amaya schlitternd an, die Ohren aufgerichtet um jeden Laut in sich aufnehmen zu können. Völlig überrascht von der plötzlichen Vollbremsung lief Miyako zunächst an Amaya vorbei. Sie drehte um und rannte zu ihrer Schwester zurück, ein fragendes Gesicht aufgesetzt. Amaya reagierte nicht. Jeder Nerv und jede Faser ihres Körpers war zum zerreißen gespannt. Ihre Ohren bewegten sich in jede Richtung um jedes noch so leise, verschwommene Geräusch in sich aufzunehmen.
Plötzlich kam aus dem Waldstück, das sie eben zu einer etwas größeren Lichtung hin verlassen hatten, ein Geräusch. Sofort schnellte Amaya herum, beriet jeden zu attackieren, der ihnen zu nahe kam. Nun hatte sich Miyako ebenfalls zusammengekauert, um im Notfall lossprinten zu können. Erst jetzt fiel Amaya mir Erschrecken auf, dass sie und Miyako einem Angriff hilflos ausgeliefert waren. Sie befanden sich auf einer ovalförmigen Lichtung inmitten des dichten Waldes. Amaya und Miyako stellten gleichzeitig fest, dass sie im Falle des Falles nicht blind in das nächste Waldstück laufen konnten, da sie dort möglicherweise geradewegs in einen Hinterhalt liefen.
Miyako verlor bereits die Nerven und trat unruhig auf der Stelle. Sie wollte nur noch eins: So schnell wie möglich von hier weg.
Ein erneutes Geräusch entlockte Amaya ein bedrohliches Knurren. Sie musste etwas tun. Sollte sie sich zusammen mit Miyako dem Feind stellen oder sollten sie fliehen? Wenn sie doch nur wüsste, ob es irgendein beliebiger oder einer von Narakus Dämonen war! Wenn Naraku hinter ihnen her war, bestand nur eine geringe Chance, den Kampf zu überleben.
Plötzlich wandte sich Amaya ihrem ursprünglichen Weg zu. Leise sagte sie zu Miyako: „Lauf’!“ und schoss davon, ihre Schwester dicht an den Fersen. Kurz, bevor sie in die Dunkelheit des nächsten Waldstücks eintauchten, blickte Amaya über ihre Schulter zurück. Ein riesiger Tausendfüßler brach mit lautem Getöse aus dem Unterholz und wurde auf der Lichtung von der Sonne beschienen. Es war ein unvergleichbar riesiges Insekt, doch schlimmer als das war die Tatsache, dass es schneller lief als Amaya und Miyako.
„Lauf’ schneller!“, rief Amaya und schoss wendig wie eine Katze durch das Unterholz. Trotz ihrer Wendigkeit konnte Amaya nicht sämtlichen Ästen aus dem Wege gehen und wurde von einigen scharfen gekratzt, was sie allerdings kaum zur Kenntnis nahm. Miyako hatte Probleme mitzuhalten, hielt sich jedoch tapfer.
„Lange hält sie das nicht mehr durch.“, dachte Amaya besorgt. Auf einmal tauchte groß vor ihnen ein breiter Fluss auf, der einen schlangenartigen Mäander bildete. Der Wald lichtete sich widerwillig und öffnete sich einer überschaubaren Steppe. Ein Blick nach Westen zeigte Amaya ein hohes Bergmassiv mit einem tosenden Wasserfall, dessen unbändige Wassermassen sich in die Tiefe stürzten und sich schäumend zu dem Mäander ergossen. Im Süden des Wasserfalls war selbst von der Ebene aus ein großer Sims zu erkennen, der in eine große Höhle führte. Die Landschaft war einmalig und zeugte von großer Fruchtbarkeit. Überall auf der Steppe schossen Bäume und Sträucher in die Höhe und trugen saftige Früchte.
Amaya bewunderte immer noch die Landschaft, als sie von einem schmerzerfüllten Geheul direkt hinter ihr unterbrochen wurde. Ihr Herz blieb fast stehen und sie wandte sich blitzschnell um. Was sie daraufhin zu sehen bekam trug keinesfalls dazu bei, sich zu beruhigen. Miyako befand sich in einer Umklammerung des Tausendfüßlers und rang um ihr Bewusstsein. Der Tausendfüßler verstärkte seinen Griff um den Wolf und mit einem kläglichen, lauten Geheul fiel Miyako in Ohnmacht. Amaya wusste, was zu tun war. Genauer gesagt, sie hatte keine Wahl: Sie musste Miyako, ihre Schwester, einfach retten. Weglaufen kam für Amaya gar nicht in Frage. Mit einem lauten Knurren schoss Amaya auf das Insekt zu, das mit seiner festen Umklammerung Miyakos Wirbelsäule zu brechen drohte.
~Kouga~
Der Leitwolf der Kaze, Kouga, kraulte einen Wolf, der sich vor ihm ausgestreckt hatte, gerade hinter den Ohren, als ein klägliches Schmerzgeheul die Stille unterbrach. Sofort sprang Kouga auf und lief, gefolgt von zwei anderen Wolfsdämonen, hinaus an den Rand des Simses. Sobald Kouga das Land unter ihm vollständig überblicken konnte, hielt er schlitternd an. Das Bild, das sich ihm darbot, war einfach zu befremdlich, als das es hätte war sein können: An den Ausläufern des Waldes befand sich ein Tausendfüßler, der einen braunen, offensichtlich bewusstlosen, Wolf in seiner Umklammerung hielt. Doch Kougas Aufmerksamkeit galt nicht dem bewusstlosem, sondern dem weißen Wolf, der auf den Tausendfüßler zuschoss. Die beiden anderen Wolfsdämonen starrten mit geöffnetem Mund auf den weißen Wolf.
„Wow!“, kam es von einem der Beiden, als der nicht bewusstlose Wolf dem Tausendfüßler eine tiefe Narbe mit seinen messerscharfen Krallen zufügte.
„Kommt!“, rief Kouga kurz entschlossen und lief den Sims hinunter. Durch die Splitter des Juwels erreichte er eine atemberaubende Geschwindigkeit. Binnen zwei Minuten erreichte er den weißen Wolf, der den Tausendfüßler erneut wütend knurrend ansprang. Bevor der Wolf seine Klauen im länglichen Körper des Insekts versenken konnte, schwang dieses seinen Schwanz und setzte ihn wie eine Peitsche gegen den Wolf ein. Mit voller Wucht traf die Attacke sein Ziel und der weiße Wolf wurde, unter einem schmerzerfüllten Geheul, in hohem Bogen zurückgeschleudert und fiel direkt zu Kougas Füßen in den Staub.
Mit einem selbstsicheren Lächeln stürzte nun Kouga auf den Tausendfüßler zu. Da sich die Splitter in seinen Beinen befanden, hatte Kouga einen enormen Vorteil gegenüber dem Insekt, zumindest, was die Bewegungsgeschwindigkeit anging.
Mit vielen blitzschnellen Bewegungen fügte Kouga dem Tausendfüßler Verletzungen zu, bis dieser ihm schließlich den Gnadenstoß gab. Unter einem gequälten Aufschrei oder zumindest einem Geräusch, das sich danach anhörte, zersprang das Insekt in viele Einzelteile. Elegant fing Kouga den braunen Wolf auf, der nach der Vernichtung des Insekts heruntergefallen war. Danach wandte er sich dem weißen Wolf zu, der sich wieder aufgerichtet hatte.
„Er ist größer, als ich vermutet habe.“, schoss es Kouga durch den Kopf. In der Tat war der weiße Wolf größer als alle Wölfe, die er je gesehen hatte. Ohne Bedenken zu haben schritt Kouga daraufhin dem weißen Wolf entgegen.
Amaya wusste nicht, was sie machen sollte. Sie sah dem Wolfsdämon mit gemischten Gefühlen entgegen. Zum einen meldete sich ihr Instinkt keinem fremden Dämonen über den Weg zu trauen, zum anderen wollte sie sich dem Dämon, der inzwischen direkt vor ihr stehen geblieben war und auf sie hinab sah, erkenntlich zeigen, da er ihr in der Stunde der Not zur Seite gestanden hatte. Kurzer Hand fasste sie einen Entschluss…