Goldener Drache

Zorros Reise

Sieben rote Fäden

Nirgendwo im Irgendwo gibt es eine Freundschaft wie diese. Die schlanke, großgewachsene Schönheit, mit der goldenen Haut, den goldenen Haaren und den großen lila Augen schaut auf das jünger wirkende Mädchen. Ihre schwarzen, schulterlangen Haaren hängen ihr in die dunklen Augen. „Du kannst noch etwas bleiben. Wirklich. Ich hab doch Platz!“ Das Mädchen schaut zu ihrer Freundin auf. „Ich kann ja wiederkommen. Hab ja von dir den Schlüssel bekommen.“ Die beiden umarmen sich. „Pass auf dich auf. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde das Zimmer hinter der Türe unheimlich.“ Das Mädchen lacht. Sie schaut den Goldenen Drachen an und umfasst ihre glänzende Hand mit ihren bleichen Fingern. „Vielleicht kommt er ja heute.“ Der Goldene Drache legt ihr Köpfchen schief. „Glaubst du? Kannst du ihn mir zeigen?“ Die Freundin lacht, „das mach ich.“ Sie dreht sich um und öffnet die Türe. Die junge Frau ruft ihr nach. „Kuina lass dir bis zu deinem nächsten Besuch nicht wieder so viel Zeit.“ Das Mädchen winkt ihr zu und ist schon durch die Tür geschlüpft. Die goldene Frau seufzt. Verschwunden ist die Tür, die noch nie in einer Wand gesteckt hat. Lachend wendet sie sich um, sie hat eine neue tolle Idee. Der Goldene Drache hat bereits vergessen, dass gerade noch auf der Blumenwiese eine Türe stand und ihre Freundin darin verschwand. Sie fängt sich einen Lichtstrahl, immerhin will sie nicht ewig in dem Mondlicht rumlaufen. Prüfend dreht sie sich im Kreis. Ihr langes Kleid wird unter ihrer Drehung weit, lachend lässt sie sich zurückfallen und verschwindet in dunklem Wasser.

Zorros Kopf schmerzt. Aber irgendwie fühlt es sich seltsam an. „Du bist wach?“ Er reibt sich die Stirn. „Was ist passiert?“ Er öffnet die Augen. Alles ist verschwommen. Ganz langsam klärt sich sein Blick. Ein kleines Mädchen kauert über ihm. Lächelt ihn frech an. Wortlos starrt er sie an. Schwarzes, schulterlanges Haar, goldene Haut und ein schwarzes und ein lilafarbenes Auge. Irgendetwas an der Kleinen kommt ihm schmerzlich bekannt vor. „Bist du ein Engel?“ Sie kichert. „Nur wenn du auch einer bist.“ Zorro schüttelt verwirrt den Kopf. Alle Geräusche sind gedämpft, die Luft ist irgendwie dicker geworden und will sich gar nicht wie Luft atmen lassen. Auf seinen Ohren ist ein unerträglicher Druck, alles klinkt hohl und stumpf und weit entfernt. Die Kleine packt beherzt seine Hand. „Komm steh auf, die Seelenräuber sind unterwegs.“ Er schüttelt ihre Hand ab und richtet sich auf. „Seelenräuber? Ich verstehe nicht?“ Sein Blick gleitet über eine unförmige Ebene mit dunklen Flecken und schwarzen Fetzen, die an Bäume erinnern. Wabernde Schatten ziehen wie Wolken über einen noch dunkleren Himmel. Aber trotzdem kann man den düsteren Horizont sehen, obwohl es hier kein Licht zu geben scheint, nur ein graues, stumpfes, etwas helleres Irgendwas, ein Dunkellicht von irgendwoher.

Seine Gedanken kann man wohl deutlich an seinem Gesicht ablesen, denn die Kleine flüstert ihm zu. „Das ist nicht der Himmel, aber das spürst du, nicht wahr?“ Zorro nickt. Sein Mund ist so trocken, er würde bestimmt keinen Ton seiner Kehle entringen können. „Komm jetzt, wir haben keine Zeit.“ Die Kleine packt seine Hand, ihr kleines Händchen verschwindet in der seinen. Sie zieht ihn mit sich. Benommen stolpert er über den dunklen Boden. Er sieht verbrannt aus, der Gedanke lässt ihn zusammenzucken. Sein Blick vermeidet den Boden zu treffen, lieber einen schwarzen Himmel anstarren.

Beinahe wäre er über die Kleine gestolpert. Sie ist so plötzlich stehen geblieben. Mit einem breiten Grinsen zeigt sie auf einen Strang roter Fäden. „Schau.“ Zorro schüttelt den Kopf. „Ich verstehe nicht.“ Es will noch immer nicht klar werden in seiner Gedankenwelt. Das Mädchen lässt seine Hand los und springt zu den Fäden, die von Osten her nacht Westen laufen. Zorro folgt ihr mit schwankenden Schritten. Sie nimmt einen Faden hoch und meint lächelnd. „Euer Kapitän ist ein lustiger Typ. Schau…“ Zorro starrt den roten Faden an. „Was soll ich sehen?“ Das Kind lacht. „Du bist ja ganz schön dumm. Da, schau im Faden siehst du deinen Ruffy. Hier, seine Träume, seine Erinnerungen, seine Hoffnungen und dort die Wünsche.“ Zorro lässt sich auf den verbrannten Boden fallen. Noch nie hat er sich schwächer gefühlt. „Ich will von hier weg. Bring mich bitte hier weg.“ Die Kleine sieht ihn mit ernster Miene an. „Das kann ich nicht. Du bist nicht ohne Grund hier. Es tut mir leid, wir müssen weiter. Du musst den Fäden folgen.“ Sie drückt Ruffys Faden in seine Hand. Zorro starrt ihn an. „Deine Freunde sterben. Du musst den Fäden folgen, am Ende des Fadens findest du die Rettung für sie.“ „Meine Freunde…“ „Ja, die Strohhutbande. Ach her je, dich kann ich unmöglich hier lassen. Na los, komm steh auf oder willst du gefressen werden. Schau dort drüben ist schon einer.“ Zorro folgt dem Finger des Kindes. Ein riesiges Gebilde wandert über die dunkle Weite. „Was ist das?“ „Hörst du mir eigentlich zu?“ Sie rümpft die Nase, wie eine strenge Lehrerin. „Seelenräuber. Und jetzt komm.“ Sie führt den Krieger weiter an der Hand, durch das Land der Dunkelheit, der Schatten und der Verzweiflung, wie Zorro bald am eigenen Herzen spürt. Noch nie war ihm so elend.

Schon seit Stunden folgen sie den roten Fäden. Langsam hat er sich wieder gefangen. Aber noch immer schwächt ihn ein Gefühl, ein Druck auf ihm. Diese Umgebung scheint in ihrer abgrundtiefen Unerbittlichkeit alles zerquetschen zu wollen. Zorro seufzt. Das Kind führt ihn schweigend an den Fäden entlang. Dankbar für die Stille nutzt er die Zeit zum Nachdenken. Was ist das letzte, an das er sich erinnern kann? Die Hexe im Moor… die scheintoten Freunde…, die Blutschlangen. Ein Zittern durchläuft seinen Körper …die Dunkelheit.

„Wie heißt du?“ Seine Stimme klingt viel zu schwach für seinen Geschmack. „Ich habe keinen Namen. Ist es für dich von Wichtigkeit, mich bei einem Namen rufen zu können?“ Zorro schluckt. „Jeder hat einen Namen.“ Sie dreht sich um. Schaut zu ihm auf und kichert. „Jeder ist nicht hier, nur du und ich. Wie nennt man dich?“ „Zorro.“ Ihre Augen werden groß. “Woher hast du diesen Namen?” Er schüttelt den Kopf. „Meine Eltern haben mich so genannt.“ „Pah, da hast du’s“ Die Kleine unterstreicht ihre Worte mit ausladenden Handbewegungen und einem belehrendem Gesichtsausdruck. „Ich habe keine Eltern, also hab ich auch niemanden der mir einen Namen gibt. Verstehst du?“ Der Druck auf seinen Schultern wird stärker, er sinkt auf die Knie. Ihre Gesichter sind auf einer Höhe. Mit flehenden Augen schaut er in die leuchtenden und doch so fremdartigen Kinderaugen. „Bin ich tot?“ Die Kleine lächelt liebevoll. Umarmt den Schwertkämpfer mit dünnen Ärmchen. „Was soll ich dir sagen.“ Flüstert sie in sein Ohr. „Ich kenne das Leben nicht, wie soll ich da den Tod beurteilen können. Aber trage Hoffnung in dir. Es wird sich alles zur Zeit geben. Vertraue.“ Seine Stimme bricht. „Wem soll ich vertrauen?“ Das Kind legt seine Stirn an seine. Schaut mit dem schwarzen und dem lila Auge in seine. „Der Hoffnung in deinem Herzen.“ Kichernd dreht sie sich um und springt auf einem Fuß voran. „Wer als erster bei der Tür ist hat gewonnen.“ „Tür?“ Zorro blinzelt. Mitten in der düsteren Ebene steht eine braune Holztüre, die zuvor noch nicht da war. Die roten Fäden laufen unter dem Türspalt durch. Verwirrt kämpft er sich auf die Beine.

Das Mädchen steht schon ungeduldig an der Türe. Laut lacht es auf und ruft ihm zu. „Wofür hast du nur so lange Beine bekommen, wenn du damit nur wie eine Schnecke kriechst?“ Sie scheint es nicht zu stören, dass die dunklen Wesen auf der Ebene hinter ihnen, sich auf den Weg zu ihnen machen.

„Bist du bereit?“ „Wofür?“ Zorro starrt in die Dunkelheit, die sich hinter der Türe ausbreitet. Nicht einmal fahles Licht. Einfach Nichts. „Für einen Weg, der dich für immer verändern wird.“ Er schluckt. Zieht die Luft an, dass was er jetzt gleich sagen wird, fällt ihm furchtbar schwer. Noch nie in seinem Leben hat er diesen Satz ausgesprochen oder auch nur gedacht. „Ich habe Angst.“ Die Kleine drückt seine Hand. „Das ist gut. Geh jetzt.“ Er schaut auf ihre schwarzen Haare. „Wirst du nicht mitkommen?“ Sie schüttelt den Kopf. „Es wäre nicht gut, wenn ich dich jetzt begleiten würde. Glaub mir. Aber wir werden uns wiedersehen.“ „Was ist mit den Seelenräubern? Sie kommen.“ „Mach dir keine Sorgen. Damit komm ich schon klar. Geh jetzt.“ Zorro nickt und macht einen mutigen Schritt in die Dunkelheit. Die Kleine schließt die Türe hinter ihm und dreht sich um. Ein seltsamer Ausdruck liegt auf ihrem kleinen Gesicht. Hinter ihr erstreckt sich eine unheilvolle Landschaft. So weit das Auge reicht, nur Schatten und Dunkelheit. Die Tür ist verschwunden.
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