Goldener Drache

Zorros Reise

Auf dem Seerosenmeer

Noch nie war ihm Endlosigkeit so bewusst wie in diesem Moment. Noch nie fühlte er sich freier. Die Welt liegt ganz klein unter ihnen. Von dieser Höhe aus haben sich die Farben des Herbstwaldes leuchtend vermischt. Sorgen, dass sie die Fäden nicht finden, hat er nicht. Wie könnte man hier oben auch Sorgen haben. Staunend, wie ein Kind, gleitet er mit dem Drachen durch einen gelben Himmel.

Ein Ruck unterbricht den Gleitflug. Der Drache legt die Flügel anders in die Luft und sie beginnen zu sinken. Zorro beugt sich nach vorne und hält sich an seinem Hals fest. Ganz dicht über den Baumwipfeln gleiten sie dahin. Trotz des wieder ruhigeren Fluges, nimmt Zorro die Hände nicht vom Hals des leuchtenden Geschöpfes. Legt seinen Kopf an die Schuppen und schließt die Augen. Lauscht dem Rauschen der gewaltigen Schwingen und dem Geräusch des schlagenden Drachenherzens. Er lächelt.

Ein neuerlicher Ruck und Zorro fährt hoch. Der Drache setzt zur Landung an. Vor ihnen liegt ein Berg. Am Fuß des Berges landet der Drache erstaunlich sanft. Schnaubend beugt sich das Wesen hinab, um Zorro das Absteigen zu erleichtern. Mit verklärtem Gesichtsausdruck stellt er sich vor den Drachen. Berührt seine Nüstern, sie fühlen sich hart und steinern an. Streicht über seine Backen entlang, die mit kleinen schimmernden Schuppen, die sich erstaunlich weich anfühlen, versehen sind. Der Drache atmet aus und Zorros kurze Haare wirbeln umher. Lachend dreht er sich um. Er spürt, wie hinter ihm aus dem Drache wieder eine Frau wird. Sein Herz klopft. Sie umfasst seine Hand. Dreht ihn zu sich um, strahlt ihn an. „Wie hat es dir gefallen?“ Er schüttelt den Kopf. Enttäuscht fällt das Strahlen von ihrem Gesicht. Er kann sie nicht ansehen, starrt nur auf den Boden. „Ich kann es nicht in Worte fassen, ich bin Krieger kein Poet. Aber auch der beste Dichter könnte es nicht umschreiben.“ Sie tritt vor sein Gesicht und meint. „Komm, dort drüben sind die Fäden.“ Er folgt dem Goldenen Drachen, die sich anscheinend einen Sonnestrahl gefangen hat.

Abwiegend hält er die Fäden in der Hand. Die Frau an seiner Seite kann nicht mehr still neben ihm stehen und huscht fort, um sich etwas zu suchen, was sie wachsen, verschwinden, verformen oder neu entstehen lassen kann. Sind es die Fäden, die er gesehen hat? Sieben sind es. Er folgt mit dem Blick, den Fäden. Sie laufen den Berg entlang. Er dreht sich um, aber die junge Frau ist verschwunden. „Drache“ Keine Antwort. „Goldener Drache.“ Nichts.

Mit hängenden Schultern folgt er wieder den Fäden. Wie lange wandert er schon am Fuß des Berges entlang? Am Himmel zeichnet sich die Dämmerung ab, ohne Sonnenuntergang, einfach nur schwächer werdendes Licht. Abrupt bleibt Zorro stehen. Die Fäden verschwinden im Gestrüpp an einer Felswand. Zorro zieht Kuinas Schwert, ein Seufzer von irgendwoher, dringt zu ihm, liebkost ihn wie ein Windhauch und ebnet ab. Zorro schüttelt den Kopf. Da hat ihm seine Fantasie einen Streich gespielt. Mit wenigen Schlägen ist das Sträucherwerk weg. Verzweifelt lachend sinkt Zorro auf die Knie und reißt an den Fäden. Mehr klagend, als lachend wirf er die Fäden zu Boden. „Ruffy, da schaust du was! Ha, ein ganzer Berg steht auf euch.“ Er schlägt die Hände vors Gesicht und lacht hysterisch. „Diese Welt bringt mich noch um den Verstand!“

„Du jagst immer noch den roten Fäden nach?“ Zorro dreht den Kopf leicht nach hinten. „Komm, ich habe ein Feuer gemacht.“ Sie zeigt nach hinten. Sie trägt ein schlichtes schwarzes Kleid. „Komm mit und setz dich zu mir.“
Still folgt er ihr in den Wald hinein, auf eine diesmal viel kleinere Lichtung.
Zorro lässt sich ihr gegenüber nieder. Über das Feuer hinweg schaut sie ihn an. „Soll ich dir etwas zeigen?“ Er nickt. Sie streckt die Hand aus, schaut Zorro geheimnisvoll lächelnd an und greift ins Feuer. Zorro zuckt zusammen, überlegt ob er zu ihr springen und ihre Hand aus dem Feuer ziehen soll, aber ihre Finger bewegen sich langsam in der Flamme hin und her und ihr Gesicht ist entspannt. Endlich zieht sie ihre Hand aus dem Feuer, Zorro atmet auf, um gleich darauf wieder die Luft anzuhalten. Auf ihrer gestreckten Hand züngelt ein kleines Flämmchen. Sie hat es aus dem Feuer geholt.

Die Flamme lodert auf und verformt sich zu einer Rose. Die lila Augen fixieren ihn. Ein kurzer Ruck ihrer Hand und die Rose verliert ihre Form, um im nächsten Moment von ihrer Hand zu gleiten und seine Kreise um den Schwertkämpfer zu drehen. Fasziniert und neugierig streckt Zorro seine Hand aus und das Flämmchen landet darauf. Lächelnd beobachtet er, wie sich die Flamme zu einem Schwertkämpfer verformt, der auf seiner Handfläche seine Übungen absolviert. „Dein Geist ist stark.“ Ihre Augen treffen sich. „Was ist das hier?“ Der Goldene Drache schließt die Augen. „Es ist Gefühl, es ist Leben, es ist Alles.“ Er ballt seine Hand zur Faust, das kleine Flämmchen flieht erschrocken ins Feuer zurück. „Wieso bekomme ich keine Antwort, mit der ich etwas anfangen kann.“ Die Frau, ihm gegenüber, hebt beschwichtigend die Hand. „Es liegt nicht an den Antworten, sondern daran, dass du sie nicht verstehst.“ Zorro seufzt. „Ich muss weiter. Meine Freunde brauchen mich. Ich muss sie retten und zurück zu ihnen.“ Noch bevor er aufstehen kann hat sich der Goldene Drache erhoben. Eine Handbewegung und der Wald verschwimmt, biegt sich und seine Farben fallen schwarz zu Boden. Der Berg vor ihnen zerfließt und wird zu schwarzem Wasser. Aus der Lichtung ist eine Insel im schwarzen Meer geworden.
Das Feuer zieht sich in den Boden zurück. „Ich werde dich an den Ort tragen, wohin die Fäden laufen. Nicht dort hin, wo du ihnen nachlaufen kannst, sondern dort wo sie in meiner Welt enden. Dahinter wirst du denjenigen finden, der deinen Freunden weh tut.“ Sie klingt fremd, erwachsen, ihre Gedanken wirklich bei der Sache. Nicht wie ein Schmetterling. „aber dafür musst du etwas für mich tun.“ „Was?“ Sie senkt den Kopf und blickt ihn verlegen an. “Ich habe noch nie getanzt. Tanzt du mit mir?“ Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet. Diese Frau ist an diesem Ort fast allmächtig und sie bittet ihn, mit ihr zu tanzen. Lachend erhebt er sich. „Darf ich bitten, gnädige Frau.“ Ihre seltsamen Augen leuchten.
„Einen Moment.“ Sie beginnt sich um sich selbst zu drehen und gleitet zu ihm. Während der Boden sich mit ihr zu bewegen beginnt. Der Untergrund verschwindet und macht dem schwarzen Wasser platz. Ganz dicht bei ihm hält sie inne. Ihre Gesichter sind sich ganz nah. Zorro ist schwindlig. Und das liegt nicht an den Kreisen, die sie vor ihm gedreht hat. „Du bist seltsam.“ „Ich!“ Zorro schüttelt belustigt den Kopf. „Ich bin seltsam?“ Sie nickt. „Aber trotzdem mag ich dich.“ Langsam geht sie zurück, lässt ihn nicht aus den Augen. Ihr Kleid wird zu Wasser und fällt plätschernd nach unten. Nackt steht sie vor ihm. Ihre goldene Haut glänzt im gedämpften Sonnenschein. Seine Augen gleiten über dieses wunderschöne Geschöpf. Sie hebt die Hand und die Sonne verschwindet, einen Herzschlag lang ist alles finster auf dem schwarzen Meer. Dann geht silbern leuchtend der Mond auf. Sie fängt sich eine Strahl und legt ihn um ihren Körper. „Wie gefällt dir mein Kleid?“ Es dauert einen kleinen Moment bis Zorro seine Sprache wiederfindet. „Unglaublich…“ Er verstummt. Das lange Kleid glänzt silbern. Der Stoff schmiegt sich sanft an sie und fällt dann wie ein Wasserfall zu Boden. Es verdeckt nicht ihren zierlichen Hals und ihre Arme will er auch nicht einengen, der Stoff aus Mondlicht.

Sie schließt die Augen. Gespannt beobachtet er ihr konzentriertes Gesicht. Seerosenblätter mit Knospen tauchen aus dem Wasser auf und entfalten ihre Blüten. Diese unbeschreiblichen Augen blicken ihn wieder an. Und plötzlich zerbricht leise klirrend der Mond über ihnen in tausend Lichter. Jedes von ihnen setzt sich in eine Seerosenblüte, die sanft zu leuchten beginnt. „Das ist ein Traum, nicht wahr?“ Sie tritt zu ihm. „Natürlich. Und wir träumen ihn gemeinsam. Wollen wir tanzen?“ „Wir haben keine Musik…“ Lachend zieht sie ihn, in ihre Arme, dreht sich mit ihm über die dunklen Wellen. Die Seerosenlichter bewegen sich auf und ab. Leise dringt Musik an sein Ohr. Seine starken Arme übernehmen die Führung. Gleich einem Rausch wirbeln sie über das schwarze Wasser. Und Zorro versinkt in der bezwingenden Macht dieser Welt.

Eng umschlungen drehen sie sich langsam im Kreis. Seine Wange liebkost ihr goldenes Haar. „Was machen wir, wenn wir wieder erwachen?“ Sie schweigt. Er schließt die Augen.

Sie mustert ihn. „Frag mich.“ Er seufzt. „Was soll ich fragen?“ Ihre Füße baumeln im schwarzen Wasser. Irgendwann waren sie zu erschöpft um noch weiter zu tanzen. Jetzt ruhen sie auf einer kleinen Insel, unter Weidenbäumen auf einem kleinen Steg, der ins dunkle Wasser führt. Verspielt gibt der Goldene Drache einer leuchtenden Rose einen Schups. Die Blüte schwankt hin und her und das kleine Licht in ihrem Kelch macht einen Satz und fällt ins Wasser. Sie zieht die Lippen kraus. „Wer bist du?“ Blinzelnd schaut sie zu dem Mann an ihrer Seite. Er lächelt. Sie ist wie ein Schmetterling, ihre Gedanken flattern von einer Blüte zur nächsten. Schon nachdem sie ihn aufgefordert hat, sie etwas zu fragen, hat sie die Aufforderung auch schon wieder vergessen. Er wartet keine Antwort ab. Sie hätte sowieso nur noch mehr Fragen nachgezogen, stattdessen küsst er sanft ihre schimmernden Lippen. Er zieht sich wieder zurück. Lächelnd seufzt sie und lässt sich zurückfallen. Schaut in das dunkle Nichts über ihnen. „Ich bin, was ich bin, denn was ich einmal war, das bin ich nicht mehr. Dieser Ort bin ich und ich bin dieser Ort. Schon vor langer Zeit habe ich vergessen, wer ich einmal war. Und ich glaube, es ist gut so. Ich glaube, würde
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