Kibito meets Kaioshin
Audienz beim Dai Kaio
Kibito betrat eine große Halle. Kunstvoll gestaltete Säulen trugen das Deckengewölbe. Die Fliesen schimmerten so blau, als wäre es kein Stein, sondern das Wasser aus einem Bergsee. Der samtene Teppich, der den Raum in der Mitte teilte und bis fast vor den Thron des Dai Kaio reichte, dämpfte den Wiederhall von Kibitos Schritten. Und auf dem Thron saß der Dai Kaio in seiner Amtskleidung. Neben ihm standen ein Berater und vier seiner Angestellten, von denen einer ein großes Buch hielt. Als Kibito das Ende des Teppichs erreicht hatte, verbeugte er sich und nahm dann auf dem Sitzkissenplatz, das für die Besucher bereitgelegt worden war. Und obwohl Kibito den Dai Kaio an Körpergröße wohl überragte, musste er zu ihm aufsehen, da der Thron auf einer Erhöhung stand.
„Ich grüße euch, ehrenwerter Dai Kaio.“
„Jaja...ebenfalls. Du hast lange warten müssen.“ Der Dai Kaio musterte Kibito.
„Wäre es nötig gewesen, hätte ich auch länger gewartet.“
„Tatsächlich? Ich wäre vor Langeweile sicher umgekommen.“ Kibito antwortete nicht. Er wusste, das er hier geprüft wurde. Würde er dem Dai Kaio sagen, das auch ihm die Stunden endlos erschienen hatten, wäre das kein Argument, das für ihn sprechen würde.
„Hat dir der Scherz gefallen?“
„Was?“
„Na, hat er sich doch nicht daran gehalten? Der Besucher, der vor dir hier war. Ich habe ihm doch gesagt, er soll einen kleinen Scherz mit dir machen, um die Anspannung zu lockern.“
>Das gibt es doch nicht! Hat dieser völlig verblödete Kerl etwa auf Befehl des Dai Kaio gehandelt? Sollte der Herr über das Jenseits wirklich so einen eigenartigen Humor haben?< Kibito schaffte es irgendwie, sich seine Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen.
„Es war...unterhaltsam.“ brachte er hervor. Der Dai Kaio lachte.
„Wusste ich es doch! -Nun, sag mir wie du heißt und was dich zu mir führt.“
„Mein Name ist Kibito, Dai Kaio-sama, und möchte um die Zuteilung eines anderen Arbeitsgebietes bitten.“
„So,so...Kibito...“ Der Dai Kaio winkte dem Diener mit dem Buch, welcher sofort vortrat und es dem Dai Kaio reichte. Dieser schlug es auf und begann zu blättern.
„Hm...Kabaro...Kiashi...Kibito! –Du Arbeitest im Büro des Paradiesvorstandes?“
„Ja. Bis jetzt habe ich unter den Anweisungen von Meister Kadái gearbeitet.“
„Warum willst du deine Anstellung wechseln, Kibito?“
„Mit Verlaub, ich arbeite gerne unter Meister Kadái, aber die Aufgaben in diesem Bereich sagen mir nicht zu.“
Der Dai Kaio blätterte weiter in seinem Buch. „Was für eine Stellung würdest du denn bevorzugen?“
Kibito überlegte einen Augenblick, wie er seine Antwort formulieren sollte.
„Ich würde gerne an einem Ort arbeiten, an dem ich nicht ausschließlich mit dem einsortieren von verschiedenen Akten zu tun habe.“
Der Dai Kaio blätterte eine ganze Weile in seinem Buch. Hin und wieder las er auf einer Seite einen Abschnitt. Kibito wartete gespannt. Was für eine Stelle würde er wohl bekommen?
Nach etwa einer halben Stunde sah der Dai Kaio auf. „Im Moment sind so gut wie alle Bereiche genügend besetzt. Eine richtige Stelle kann ich dir nicht erteilen. Also gebe ich dir den Posten eines Springers.“
Kibito war gleichermaßen erfreut und entsetzt. Ein Springer! Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet! Zwar kam man als Springer viel herum, da man als Ersatzkraft und Helfer diente, wo es gerade nötig war, und war somit gegen einen gleichbleibenden Tagesablauf inmitten von zahllosen Akten gefeit, aber wenn man ständig unterwegs war, würde man nie wirklich jemandem auffallen, am wenigsten einem der Kaios. Jemals mehr über das Universum zu erfahren und an der Seite einer großen Person zu arbeiten... In diesem Augenblick schienen seine Ziele für immer in weite ferne gerückt zu sein.
„Wie lautet deine Antwort, Kibito?“ wollte der Dai Kaio wissen. „Bist du einverstanden?“
„Ja. Ich...bin einverstanden.“ Kibito hätte am liebsten protestiert, aber das war wieder aller Vorschriften! –Und wenn er den neuen Posten ablehnte, würde er wieder an seine alte Arbeitsstelle im Büro des Paradiesvorstandes zurückkehren müssen. >Alles ist besser, als wieder Tag aus, Tag ein Akten zu sortieren!< versuchte Kibito sich selbst Mut zu machen. Wirklich überzeugt war er von diesen Gedanken jedoch nicht.
„Gut, dann bleib noch einen Moment hier. Man wird dir gleich deine neue Uniform bringen, und dich deinem neuen Vorgesetzten vorstellen. Solange kannst du dich da drüben hinsetzen.“
Kibito stand auf. In Gedanken versunken wechselte er den Platz. >So hatte ich mir das nicht vorgestellt. So hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt. Nun werde ich also ein Springer... Na gut, ich werde das bestmöglichste daraus machen.<
„Sind wir jetzt endlich fertig?“ fragte der Dai Kaio
„Nein, Hoheit. Ein Letzter Besucher wartet noch.“
„Auch das noch...Na gut, bittet ihn herein, damit wir endlich Schluss machen können.“
Einer der Angestellten durchschritt die Halle um die Türflügel zu öffnen. Der Dai Kaio stützte gelangweilt den Kopf auf einen Arm und schloss die Augen. Auch ihm war der „bunte Tag“ schon sehr lang vorgekommen. Als sich die Tür öffnete, trat der Fremde ein, den Kibito nun schon mehrere Stunden kannte. Er beeilte sich nicht, vor den Dai Kaio zu treten, aber er trödelte auch nicht. Angemessenen Schrittes trat er also vor den Dai Kaio. Als er die Stelle erreicht hatte, an der kurz zuvor noch Kibito gesessen hatte, blieb er stehen, verbeugte sich und sagte dann:“ Seid gegrüßt, Dai Kaio. Es ist lange her, das wir uns begegnet sind.“
Der Dai Kaio öffnete die Augen, und wollte den Gruß erwidern, als sein Blick den Unbekannten traf. Er riss die Augen auf und der Mund blieb ihm offen stehen. Zuerst brachte er keinen Ton heraus.
„D -dd...i...i...Ka...” stotterte er nur, und zeigte mit dem Finger auf den Fremden. Scheinbar kannte er ihn. Kibito sah den Fremden mit leichter Verwunderung an. Warum brachte diese Person den Dai Kaio so offensichtlich aus der Fassung?
„Kaioshin! Ihr seid es! Welch unverhoffte Ehre! Wir haben euch nicht erwartet!“
Nun waren auch alle anderen im Raum mehr als aufgeregt! Der KAIOSHIN! Höchstpersönlich! Der oberste Gott des Universums stand hier im Thronsaal des Dai Kaio!
Der Kaioshin nahm auf dem Sitzkissen platz. „Nun, das ließ sich nicht ändern. Ich bitte um Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten, die ich euch durch meine unangekündigte Anwesendheit bereite.“
„Aber nicht doch!! IHR braucht euch nicht zu entschuldigen! Und bitte, euch gebührt ein Ehrenplatz! Nicht das Sitzkissen! Bitte, nehmt doch stattdessen lieber hier platz.“ Der Dai Kaio hastig aufgestanden und bedeutete dem Kaioshin, sich auf seinen Thron zu setzten, doch dieser schüttelte den Kopf.
„Ich bin nur ein Gast in eurem Palast, Dai Kaio. Der Thron gebührt nur dem Oberhaupt dieser Hallen. Als Gast steht mir eine solche Ehre nicht zu. Ich wurde heute schon einmal in Manieren unterwiesen.“
IHR wurdet in Manieren unterwiesen?“ wiederholte der Dai Kaio fassungslos, während er sich wieder setzte. „Wer sollte das wagen, und warum?“
„Nun, ich war unhöflich. Ich wollte zu euch und habe dabei die vor eurem Palast Wartenden völlig außer acht gelassen. Einer von ihnen hat mich darauf aufmerksam gemacht, das jeder, der heute zu euch will, sich in der Reihe anstellen muss, und das habe ich dann auch getan.“
Kibito lief Angstschweiß an der Stirn herunter. Kein Zweifel, damit war er gemeint. Was würde nun aus ihm werden? Er hatte den Kaioshin dazu gebracht, sich in die Reihe der Wartenden zu stellen, anstatt den Palast gleich zu betreten. Nicht nur das, er hatte ihn auch beschimpft und verspottet! Wenn er doch nur gewusst hätte, WER da so eilig zum Dai Kaio wollte! Er hätte ihn in Ennma Daios Namen verflixt noch mal in Ruhe gelassen! Warum hatte der Fremde nicht gesagt, wer er war, Kibito hätte ihm dann den Respekt gezollt, der ihm würdig war! Er konnte es immer noch nicht fassen, das der zierliche Unbekannte tatsächlich der Kaioshin war. Kein Wunder, das ihm das Fliegen nicht als Besonderheit erschienen war! Was nun? Welche Strafe würde ihn für dieses respektlose Vergehen treffen? Ganz ohne Zweifel würde er nun bestraft werden. Dabei wollte er doch nur mehr über die Galaxien lernen und ein friedliches Leben führen! Stattdessen hatte er das allerhöchste Wesen, den Gott aller Kaios geringschätzig behandelt. Damit hatte er seine Ziele selbst für immer zunichte gemacht.
„Wie bitte? Wer hat es gewagt, euch so etwas vorzuschreiben?? Ihr seid der Kaioshin! In keinem Fall hättet ihr in der Schlange warten müssen! Sie war für diejenigen, die eine neue Anstellung wollten, nicht aber für jemanden wie euch!“
Der Kaioshin lächelte. „Nein, das war völlig korrekt. Es wäre sehr unhöflich gewesen, hätte ich mich vorgedrängelt. So hätten diejenigen, die schon seit Stunden warteten, noch länger warten müssen.“
Ungläubig sahen der Dai Kaio und der anwesende Berater ihn an. „Nun, dann hoffe ich, ihr musstet nicht zu lange warten.“
„Ich danke der Nachfrage. Es war nicht allzu lange.“
„Darf ich euch etwas anbieten, Kaioshin? Eine kleine Stärkung, bevor wir auf den Grund eures Besuches zu sprechen kommen?“
„Ich möchte ihnen keine Umstände bereiten.“
„Wie ihr meint. Nun, darf ich fragen, was euch herführt? Ihr verlasst eure Welt nicht jeden Tag...“
Kibito hatte fassungslos zugehört. Der Kaioshin hatte mit keiner Silbe erwähnt, das ER derjenige war, welcher ihn am betreten des Palastes gehindert hatte. Und auch die anderen Dinge hatte er nicht erwähnt. Nahm er es ihm etwa nicht übel? Das konnte unmöglich sein. Oder doch? Er verstand ihn immer noch nicht. –Aber er wusste zumindest, warum das so war: Er war der Kaioshin! Eine Person wie ihn zu verstehen, war wohl