Geschöpfe der Nacht
Behind these Eyes...
Der Nachtwächter blies eine weiße Wolke in die klirrende Kälte der Nacht. Sie fraß sich durch seinen dicken Mantel und ließ ihn erzittern. Das fahle Licht des Mondes beleuchtete nur spärlich die mit Kopfsteinen gepflasterte Gasse.
Auch seine schwankende, im eisigen Wind, flackernde Laterne konnte nicht mehr Licht spenden.
Nun war er froh das seine Runde beendet war. Er hob seinen schweren Schlüsselbund und schloss die Tür zu seinem kleinen Wachhaus auf. Licht und Wärme fluteten ihm entgegen. Geborgenheit.
Noch einmal drehte er sich um und sah die Straße hinauf...
Er hatte für einen Moment das Gefühl gehabt etwas gesehen zu haben...
Einen Schatten, eine Gestalt, aber die Straße war leer...
Der Nachtwächter zuckte mit den Schultern. Wer sollte sich um diese Uhrzeit und bei dieser Kälte noch hier draußen herumtreiben...
Doch dann besann er sich. Seit ein paar Wochen hatte es merkwürdige Vorfälle in dieser Stadt gegeben. Männer waren Tod aufgefunden worden. Angesehene, reiche Männer. Doch sie waren nicht einfach getötet worden. Sie waren gerissen. Ihre Körper zerfetzt und aufs übelste zugerichtet.
Dagegen gab es auch tote Frauen. Meistens Jungfrauen. Sie wurden Tod aufgefunden. Doch sie waren weder übel zugerichtet, noch sah es so aus, als hätten sie sich gegen ihren Mörder gewehrt.
Das einzige was der Medicus an allen Frauen feststellen konnte waren Bissspuren. Nur zwei Zähne, die tief ins Fleisch eingedrungen waren.
Unter den Bewohnern munkelte man bereits von einem Vampir...
Seitdem trug der etwas in die Jahre gekommene Nachtwächter immer eine Kette aus Knoblauchzehen bei sich...
Plötzlich huschte jemand hinter ihm vorbei. Blitzschnell drehte er sich um. Die lange Pistole im Anschlag.
Der Ende des Laufes zeigte auf das wunderschöne Näschen eines jungen Mädchens.
Sie war 17, vielleicht 18. Ihr blondes Haar fiel ihr bis auf die Hüfte herab und ihre Haselnuss braunen Augen sahen ihn leicht erschrocken an.
Es war ein Gesicht zum dahin schmelzen. Der dünne, wohlgeformte Mund war leicht geöffnet und ihre zarten Finger, die in wollenen Stulpen steckten hatte sie an die rückwärtige Wand gelegt.
Der Nachtwächter ließ die Pistole sinken.
„Verzeiht gnädiges Fräulein, aber um diese Stunde hatte ich nicht erwartet jemanden wie sie hier zu treffen. Zarte Wesen wie sie sollten längst zu Hause im wohligen Wohnzimmer oder im Bett liegen. Es geziemt sich nicht für euresgleichen ohne den Schutz einer anderen Person durch die nächtlichen Straßen zu wandeln.“
„Verzeiht ihr, wenn ich euch erschreckt habe werter Herr Nachtwächter. Ich bin auf direktem Wege nach Hause und werde in kürze dort sein. Ihr braucht euch also nicht zu sorgen. Und was den Schutz betrifft...“, sie zog eine lange silberne Kette aus ihrem Décolleté, an der ein kleines Kreuz baumelte. „...bin ich ausreichend ausgerüstet.“ Sie lächelte schüchtern.
Der alte Nachtwächter konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Nun gut gnädiges Fräulein. So lauft denn schnell nach Hause und passt auf euch auf.“
Sie machte einen Knicks.
„Das werde ich tun. Danke Herr, das ihr so nachsichtig seid und meinen Eltern nichts davon erzählt.“
Das Mädchen lief schnell die Straße hinunter. Der Nachtwächter lächelte. °Diese Jugend...°, dachte er und drehte sich um. Doch auf einmal lief ihm ein Schauer über den Rücken und er spürte heißen Atem in seinem Nacken.
Er wagte nicht sich umzudrehen und dann hörte er diese Honigsüße und gleichzeitig eiskalte Stimme an seinem Ohr. Sie flüsterte, doch der alte Mann konnte jedes Wort verstehen.
„Wer kennt es nicht? Das Gefühl, wenn die Angst dich beschleicht aus dem Hinterhalt, ein Ahnungsschauer dich erzittern lässt.“
Der Nachtwächter schluckte.
„Ich...ich...“, stammelte er.
„Lasst gut sein mein Freund. Ich bin nur hier um euch etwas zu raten...“, flüsterte der Fremde hinter ihm.
„E-etwas raten? Was denn?“
„Nun das ist einfach... Bleibt heute Nacht in eurer kleinen Hütte. Legt euch schlafen und schließt eure Augen so fest ihr könnt. Ich rate euch meine Warnung ernst zu nehmen.“
„A-aber warum?!“, fragte der alte Mann.
Doch er bekam keine Antwort. Ruckartig drehte er sich um und zog seine Pistole, doch der Platz lag ruhig und friedlich da. Nur eine kleine schwarze Feder sank langsam zu Boden.
Das silberne Kettchen an ihrem Hals wippte hin und her.
Naoko lief so schnell sie konnte, die dunklen Gassen entlang, Richtung Elternhaus.
Zwischen den eng zusammenstehenden Häusern war es so dunkel, das man die Hand kaum vor Augen sehen konnte.
Naoko hatte ein wenig Angst im Dunkeln, aber es waren ja nur noch zwei Querstraßen.
Sie erreichte die erste Kreuzung. Obwohl diese, die Bezeichnung nicht verdient hatte.
Die Gassen kreuzten sich zwar, aber sie waren so schmal, das man eigentlich nicht von einer Kreuzung, sondern eher von einer Gabelung sprechen konnte.
Naoko wurde langsamer, denn an der Mündung der Gasse stand eine Person. Sie lehnte an der Hauswand und hatte ein Bein angewinkelt gegen die Mauer gedrückt.
Die Arme waren verschränkt und unter seiner schwarzen, langen Robe, die den kompletten Körper einhüllte sahen nur zwei schwarze, glanzlose Stiefel hervor.
Die weite Kapuze, die er weit ins Gesicht gezogen hatte überschatte seine Augen und ließen nur Mund und Nase sehen.
Der Mund war wohlgeformt, aber ernst. Die Person schien auf jemanden zu warten und was es noch unheimlicher machte, sie sah in Naokos Richtung.
Langsam und etwas ängstlich kam Naoko näher. Der Fremde machte keine Anstalten sich zu bewegen.
Jetzt war sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Sie musste nur noch an ihm vorbei.
Sie flüsterte... „Vater unser der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe im Himmel wie auch auf Erden und vergieb uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Sie war schon fast an dem Fremden vorbei, als der sich ihr plötzlich in den Weg stellte. Nicht bösartig, fast wie zufällig...
„Ihr betet das Vater unser? Bin ich denn so furchteinflößend?“, er hob den Kopf ein wenig. In diesem Moment kam der Mond hinter einer Wolke hervor und beleuchtete die Szene, so dass die grauen Augen des Fremden zu erkennen waren.
„Es wird euch nichts geschehen... können diese Augen lügen?“
Aus einem unerklärlichen Grund war das Mädchen plötzlich wie elektrisiert. Sie machte einen Schritt auf den Fremden zu, doch dann schreckte sie wieder zurück.
„In euren unschuldigen Augen funkelt die Glut des Unheils, euer Leib und eure Seele gehören euch schon längst nicht mehr...
Heillos die Botschaft vom Tag, dem verfluchten an dem er Besitz von euch ergriff...“
Der Fremde wurde sichtlich nervös. „Ihr zitiert sehr schön aus der Bibel, aber was wollt ihr damit sagen?“
„Ihr seid ein Vampir! Es wurde schon lange gemunkelt und jetzt wollt ihr mich holen.“, Naoko zog das kleine silberne Kreuz und ließ es vor den Augen des Fremden baumeln.
Der begann sich zu winden. „Nehmt es fort, es tut so weh!“, er schlug die Hände vors Gesicht.
Naoko blickte triumphierend. „Ich werde euch mit der Macht dieses Kreuzes töten und diese Stadt von euch befreien.“
Der Vampir hielt inne. Dann fing er leise an zu lachen. Zuerst war es nur ein leises Kichern, doch es steigerte sich von Sekunde zu Sekunde bis er schließlich aus voller Kehle lachte.
„Ja. Lacht nur, dann werden andere mir zu Hilfe eilen.“, stammelte Naoko etwas verunsichert durch die plötzliche Erheiterung dieses Wesens.
Der Vampir sah auf. Seine nun eiskalten Augen blitzten sie an und ein breites Grinsen entblößte seine scharfen Eckzähne.
„Ich hab euch nur ein bischen auf den Arm genommen. Das Ammenmärchen, das Kreuze uns schaden würden ist unsinnig. Aber ein netter Versuch.“
Blitzschnell trat er an sie heran. Er umfasste sie wie bei einer innigen Umarmung.
Sie wehrte sich nicht... Sein Bann begann bereits zu wirken.
Er lehnte sie gegen die Mauer und küsste sie zärtlich auf den Mund. Als er langsam wieder von ihren Lippen ließ, bewegten sich ihre, den seinen ein Stück hinterher. Sie hatte nicht gewollt das es endet... Er kam mit dem Mund ganz nah an ihr Ohr und flüsterte leise: „Glaub mir, gäbe es eine andere Möglichkeit, würde ich dich nicht beißen. Aber du wirst es bald verstehen...“
Behutsam senkte er den Kopf an ihren Hals und biss hinein...