Kapitel 3
Der Engel der Revolution
Veränderungen
Wir schreiben mittlerweile 1790. Durch die gute Ernte geht es den Bauern bedeutend besser und auch die Grundnahrungsmittel wurden erschwinglicher.
„Oscar, die Bürger von Paris bereiten ein Fest vor. Durch die besseren Lebensbedingungen und die sichtbaren Erfolge der Revolution haben sie Mut gefasst. Es soll auf dem Place de Mars stattfinden.“
André und Oscar waren beim Mittagessen.
Oscar schien in sich hineinzuschlingen, als hätte sie Tage lang nichts zu essen bekommen.
„Meine Güte Oscar, ihr esst solche Mengen, dass ich befürchten muss, mein Gekochtes reicht nicht aus.“
Großmutter schüttelte den Kopf.
André zwinkerte mit den Augen.
„Ich verzichte auf meinen Teil, schließlich möchte ich meine Traumfigur behalten.“
Oscar lachte hell auf.
„Was sagst du da?“
Sie hustete und schluckte krampfhaft das Essen runter.
Mit Tränen in den Augen gluckste sie.
„Traumfigur…“
Na ja, ich weiß ja nicht, ob ich dich geheiratet hätte, wenn ich vorher…“
Blitzschnell unterbrach André ihren Redefluss mit einem Kuss.
„Dir werde ich zeigen, was es heißt, sich über mich lustig zu machen…“
Oscar stand auf.
„Ich glaube, ich gehe lieber in Deckung.“
André versuchte sie zu greifen, doch Oscar büchste immer wieder aus.
So eilten sie eine ganze Weile durch das Haus, bis Oscar sich plötzlich die Seite hielt.
„Warte.“
Keuchte sie.
„Ich kann nicht mehr.“
Sie ließ sich auf einen Sessel fallen.
„Lass uns aufhören. Mir ist plötzlich so schwindelig.“
Besorgt beugte sich André über sie.
„Das hast du doch in letzter Zeit öfter. Bitte, Oscar, was ist mit dir?“
Er nahm ihre Hände.
„Bitte gehe zum Arzt. Vielleicht stimmt etwas mit deiner Verletzung nicht. Vielleicht ist sie nicht richtig verheilt.“
„Ach was, das ist doch nun so lange her.“
Oscar strahlte ihn an.
„Ich habe einfach nur zu viel gegessen.“
Großmutter kam seufzend dazu.
„Also, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen Mademoiselle Oscar ist schwanger.“
Auf einmal herrschte Totenstille.
„Wa…was meinst du da?“
Oscar fiel alles wie Schuppen von den Augen.
Ihre Schwindelanfälle, ihre Erschöpfung im Dienst, ihr Heißhunger…
„Mein Gott, Großmutter…“
Sie schaute André in die Augen.
„Nein…“
Ruckartig sprang sie auf und hastete in ihr Zimmer.
André wollte ihr folgen, doch seine Großmutter hielt ihn zurück.
„Lass sie. Sie braucht jetzt Zeit. Ihr Leben lang ist sie als Mann erzogen worden und hat das Leben eines Mannes geführt. Ein Kind ist nun mal ein untrügliches Zeichen, dass sie endgültig an deiner Seite zur Frau geworden ist. Gib ihr die Zeit und akzeptiere jede Entscheidung, die sie daraufhin trifft.“
Fest schaute sie ihrem Enkel in die Augen.
„Jede…“
Einige Tage später suchte Oscar ihren alten Hausarzt auf.
Zögernd stand sie vor seiner Tür und wusste nicht recht, ob sie eintreten solle. Schließlich war er ein Arzt, den sich nur Adlige leisten konnten und der auch nur Adlige behandelte. Sie aber war ja keine…
Plötzlich ging die Tür auf.
„Mein Gott, Oscar Francois de Jarjaye, ihr seid zu mir gekommen.“
Strahlend nahm er sie am Arm und führte sie in seinen Salon.
„Ich habe schon viel von euch gehört, auch, dass ihr keinen Adelstitel mehr tragen wollt, aber ich bin schon immer der Hausarzt der Familie Jarjaye gewesen und ich würde mich freuen, es auch weiterhin sein zu dürfen.“
Er reichte ihr einen Stuhl.
„Möchtet ihr einen Tee?“
Oscar nickte freudig.
„Ich bin so froh, dass ich bei euch noch willkommen bin. Eigentlich hatte ich bedenken euch aufzusuchen.“
Unwirsch schüttelte ihr Arzt den Kopf.
„Ach was, ihr seid und bleibt eine Jarjaye. Mir ist eure Familie sehr ans Herz gewachsen. Als euer Vater mir unter Tränen erzählte, dass ihr auf der Seite des Volkes kämpftet und lebensgefährlich verwundet wurdet, habe ich jeden Tag für euch gebetet. Eines Tages kam euer Vater schließlich mit der Nachricht, ihr hättet überlebt und seid sogar Kommandant der Nationalgarde. Ich war so froh. Wisst ihr, was euer Vater mir anvertraute?“
Er schaute forschend in Oscars blaue Augen.
Sie hatte Mühe seinem Blick standzuhalten.
„Er sagte einmal: ‚Sie hat Hofverrat begangen, sich gegen den Adel und das Königshaus gestellt. Sie kämpft für das einfache Volk. Aber dieses Volk liebt sie, ihre Soldaten würden für ihren Kommandanten in den Tod gehen. Sie ist der Engel der Revolution. Trotz allem, was sie unserer Familie angetan hat, liebe ich sie. Sie ist und bleibt meine Tochter. Und ich muss zugeben, ich bin stolz auf sie. Eine solche Truppe, wie die ihre, ist der Traum eines jeden Befehlshabers.“
Oscar traten Tränen in die Augen.
„Vater…“
Sie senkte den Blick.
„Das habe ich nicht gewusst. Das hat er mir nie gesagt. Wir besuchen uns ab und an, aber dass er so denkt…ich muss mich wohl entschuldigen.“
Der Tee wurde gebracht.
Nach einer Weile musterte der Arzt Oscar.
„Nun, ihr seid doch bestimmt nicht, wegen alter Erinnerungen zu mir gekommen. Ihr seht gut aus. Habt ihr etwas zugenommen?“
Überrascht schaute Oscar ihn an.
„Kann man schon…?“
Sie trank noch einen Schluck.
„Ich dachte nicht, dass es so schnell …“
„Moment, meine Liebe. Wollt ihr mir damit etwas Bestimmtes sagen?“
Seine Hände zitterten.
„Wollt ihr mir etwa andeuten, dass die jüngste Tochter der Familie Jarjaye Mutter wird?“
Er strahlte.
„Oh welche Freude! Das ich das noch erleben würde… Daran habe ich gar nicht mehr zu hoffen gewagt.“
Oscar sah etwas unsicher in die Luft.
„Ich bin mir nicht sicher, aber die Anzeichen…“
Der Arzt musste lächeln.
„Nun, ihr seid schon immer entzückend gewesen, wenn ihr verlegen werdet.“
Er deutete auf eine Tür.
„Kommt, ich werde einige Untersuchungen anstellen.“
Es war schon spät und Oscar saß vor dem Kamin. Sie hatte sich in eine Decke gekuschelt und trank eine heiße Schokolade.
Ihr fielen die Augen zu.
Der Arzt war nach der Untersuchung vor ihr stehen geblieben.
„Ich schätze, ihr seid im fünften Monat. Das Kind wird August oder September auf die Welt kommen.“
Oscar hatte geschwiegen.
Ihre Gedanken schienen Kreise zu drehen.
Prüfend hatte der Arzt gefragt: „Freut ihr euch? Ihr werdet Mutter. Damit beginnt ein völlig neues Leben.“
Auf einmal spürte sie Andrés zarte Hände im Nacken.
Erschrocken fuhr sie zusammen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken, mein Schatz.“
Sie küssten sich.
Plötzlich liefen Oscar Tränen über die Wangen.
„Ach André, ich weiß nicht weiter. Ich liebe meine Arbeit. Ich liebe meine Soldaten. Aber ich liebe auch dich und möchte mein Leben an deiner Seite verbringen. Natürlich möchte ich auch eines Tages Mutter werden. Aber jetzt schon? Mir ist das zu früh. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin dazu…“
Sie schluchzte.
„Das Kind kommt August oder September. Mein Gott André, es ist März und es kommt im August. Das sind noch fünf Monate.“
Zärtlich wischte André ihre Tränen weg.
„Oscar, ich liebe dich von ganzem Herzen. Und ich freue mich auf das Kind. Wir werden das schaffen. Ich werde mit Alain und Girodelle sprechen. Es wird sich für die Zeit schon eine Lösung finden lassen. Und wenn das Kind alt genug ist, von Großmutter versorgt zu werden, kannst du wieder deinen Posten antreten. Wir schaffen das zusammen.“
Oscar schmiegte sich an André.
„Oh mein Gemahl. Ohne dich wäre ich gar nichts.“
Sie küsste ihn leidenschaftlich.
„Ich liebe dich.“
Girodelle und Bernard glaubten sich verhört zu haben.
„Oscar ist was?“
André grinste über beide Ohren.
„Ihr habt schon richtig gehört. Wir werden ein Kind bekommen.“
Girodelle schluckte krampfhaft sein Bier hinunter, während Bernard fast vom Stuhl rutschte. André hatte die Beiden in eine Kneipe eingeladen, mit der Nachricht, er müsse ihnen bei Bier und Essen etwas Wichtiges erzählen.
Bernard japste.
„Was… wer übernimmt denn dann die Garde? Will sie etwa aufhören? Die Männer haben sie alle lieb gewonnen…“
„Bis auf die Aristokratenhunde um General Boulier.“
Zischte Girodelle.
„Die werden ihr immer versuchen, einen Strick zu drehen.“
André nickte Zähneknirschend.
„Ach was, sie möchte gerne weiter bei der Truppeninspektion dabei sein, solange es geht. Und sobald das Kind da ist, möchte sie ihren Posten wieder antreten. Bis dahin könntet ihr doch das Kommando übernehmen, Girodelle. Wenn ihr überhaupt wollt, dass Oscar zurückkommt.“
André trank einen kräftigen Schluck.
Girodelle stimmte zu.
„Wie wollen wir es den Soldaten sagen?“
Bernard lehnte sich zurück.
„Ich denke, dass muss euer Kommandeur schon selbst übernehmen.“
Girodelle grinste.
„Ich liebe es, wenn sie verlegen wird. Dann blitzen ihre Augen wie die Tiefen des unergründlichen Ozeans.“
André stand auf.
„In Ordnung, ich werde es ihr sagen. So ihr zwei.“
Er verbeugte sich feixend.
„Und nun werde ich die Herrschaften mit ihren Gedanken allein lassen.“
Er zog den Hut.
„Wir sehen uns.“
Verdutzt schauten ihm vier braune Augen hinterher.
Einige Tage später.
Die Kompanien, welche dem direkten Befehl von Oscar unterstanden, waren auf den Exerzierplatz geordert worden.
Verwundert standen hundert Soldaten in der Sonne und rätselten, weshalb sie hier sein mussten.
Die größte Angst war natürlich, dass der Kommandant ihren Posten niederlegen würde.
„Männer! Stillgestanden!“
Girodelle betrachtete die besorgten Gesichter.
Wie würden die Soldaten darauf reagieren?
Er konnte sich einer gewissen Unruhe nicht erwehren.
Oscar ritt auf ihrem Schimmel heran.
„Ich möchte euch eine sehr ernste und wichtige Mitteilung machen.“
Sie holte tief Luft…
„Ich werde die nächsten Monate meinen Dienst unterbrechen müssen.“
Die Männer guckten erschrocken.
„Ich werde einige Zeit außer