Licht und Schatten

Der Weltenspiegel

Jin befand sich inmitten eines dunklen Waldes. Außer ein paar verirrten Lichtstrahle, die sich matt durch das dicke Baumdach kämpften, befand sich kein Licht im Wald. Die Lichtstrahlen erhellten den Wald gerade so, dass das Mädchen noch sehen konnte, wo sie lang lief. Sie folgte einem kleinen weißblauen Vogel bis auf eine kleine Lichtung, wo sie ihn genauer betrachten konnte: Der Körper des Vogels war mit wunderschönen weißblauen Schuppen bedeckt, die das Licht in allen möglichen Regenbogenfarben reflektierten. Nur seine Flügel und sein Schwanz waren mit Federn bestückt. Die langen weißblauen Schwanzfedern waren aber eher ein Schmuck als ein Navigationsinstrument für den Vogel, da er, sie großzügig herzeigend, auf der Lichtung umherstolzierte. Auf dem Hals des Vogels konnte das Mädchen noch vier kaum sichtbare Kiemen entdecken. Jin war von der Schönheit und Außergewöhnlichkeit des Vogels so fasziniert, dass sie ihren Blick nicht von ihm abwenden konnte.
Plötzlich ertönte ein lautes Brüllen durch den Wald. Der Vogel schreckte auf und flatterte unruhig auf der Lichtung auf und ab. Die Geräusche, die den Wald zuvor erfüllt hatten, waren schlagartig verstummt. Angst beschlich das Mädchen: Welches Wesen könnte so ein lautes und gefährliches Brüllen besitzen, dass es damit einen ganzen Wald in Angst und Schrecken versetzen konnte?
Das Mädchen fixierte angstvoll die Richtung aus welcher das Brüllen gekommen war. Zwei bedrohliche gelbe Augen starrten ihr entgegen. Jin wurde von Panik überrannt. Sie drehte sich um und begann in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Sie versuchte sich so schnell wie möglich vor der Kreatur in Sicherheit zu bringen, aber egal wie schnell sie auch rannte und wie sehr sie sich auch anstrengte, die Kreatur, die sie verfolgte, holte sie langsam aber sicher ein. Jin merkte, dass die Bäume des Waldes sich immer verstreuten und entdeckte in der Ferne den Waldrand. Sie schaffte es den Wald zu verlassen, stolperte jedoch kurz darauf über einen Stein und fiel hin. Das vierbeinige Monster war nun direkt vor ihr und fletschte die Zähne. Es war fast doppelt so groß wie Jin.
Das Mädchen sprang auf und machte einen Hacken nach links, die Kreatur sprang ihr aber flink hinterher. Zu spät erst bemerkte Jin, dass sie von dem Wesen direkt auf eine Schlucht hingetrieben wurde. Sie versuchte noch zu bremsen, rutschte aber in dem Morast immer weiter auf die Schlucht zu. Trotzdem schaffte sie es noch irgendwie im letzten Moment zum Stehen zu kommen. Sie schaute in die Schlucht hinunter und versuchte den Boden zu erkennen, aber das Licht verlor sich nach und nach in völliger Dunkelheit.
Jin spürte den Atem der Kreatur, welche sich nun direkt hinter ihr befand, in ihrem Nacken. Hoffnungslos drehte sie sich um und sah der Kreatur tief in ihre bedrohlichen Augen. Diese wiederum fletschte ihre Zähne und stürzte auf Jin zu. Bei dem Versuch dem viereinigen Monster auszuweichen rutschte Jin aus und fiel in die Schlucht hinunter…

„Neeeeein!!!!!“
Jin saß aufrecht in ihrem Bett. Die kalten Schweißtropfen rannen ihr noch immer den ganzen Körper hinunter.
„War nur ein Traum.“ Sie seufzte erleichtert und ließ sich zurück ins Bett sinken. „Dieser verdammte Alptraum verfolgt mich schon seit dem Tod meiner Eltern!“
Sie seufzte schwer und setzte sich wieder auf. Ich geh am besten erst mal Duschen.
Nachdem sie sich geduscht und angezogen hatte, ging sie in die Küche um sich etwas zu essen zu machen. Sie entdeckte ein altes Foto von ihrem Bruder, ihren Eltern und sich und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
Zu meinem 10. Geburtstag waren wir in einem Zoo. Ich hatte mir das zum Geburtstag gewünscht. Das war eine Woche bevor der schreckliche Unfall passiert ist, wo meine Eltern gestorben sind. Mein großer Bruder hat dann für mich gesorgt, bis er dann vor einem Jahr bei einem Ausflug verschollen ist. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass er noch am Leben sei, aber zu Weihnachten ist er dann als Tod erklärt worden. Das war das traurigste Weihnachten, das ich je gehabt hab. Seitdem ist es hier ziemlich trostlos und einsam.
Jin schlug traurig die Augen nieder. „Man kann eben nichts machen, wenn man geliebte Menschen verliert. Was passiert ist, kann man nie wieder rückgängig machen.“
Sie seufzte schwer und Tränen rannen ihr über das Gesicht, die sich auf dem Foto in ihrer Hand sammelten.
In ein paar Monaten hab ich auch noch meinen 17. Geburtstag. Ich wer de ihn wohl alleine feiern müssen.
Jin schreckte auf. „Da war doch was!?“
Ein leises Flüstern war im ganzen Haus zu hören. Sie steckte das Foto in ihre Tasche, stand auf und ging aus der Küche. Sie folgte den Stimmen bis zum Dachboden. Je näher sie ihm kam, desto lauter wurden die Stimmen. Sie öffnete die Tür.
„EGO VOS ADVOCO, OBSCURE VIRES,…“
„Was ist denn hier…?“
Jin erblickte ein blau-schimmerndes Licht, das von dem anderen Ende des Raumes herüberleuchtete.
„…QUOD IN MUNDO QUIESCUNT.“
Sie ging langsam auf den Punkt zu, von welchem das Licht und anscheinend auch das Flüstern kamen.
„VENITE AD MEUM…“
Irgendetwas war mit einem Tuch bedeckt, wodurch das bläuliche Licht leicht schimmerte.
„…ET VIM MIHI DONATE MUNDOS…“
Jin zog das Tuch herunter.
„…IMPERARE!“
Das Flüstern war augenblicklich verstummt.
Erregt stieß Jin hervor: „Ein Spiegel!?“
Das Glas des runde Spiegels leuchtete in einem hellen Blau. Fasziniert von dem blauen Licht untersuchte Jin den Spiegel genauer: Am oberen Rand des Spiegelglases war eine rote Rose abgebildet, die mit schönen geschwungenen Linien verziert war. Am unteren Rand war eine kleine Gravur: Weltenspiegel Darunter stand noch: Momiji & Sakura.
Nachdenklich legte Jin ihre linke Hand auf die Oberfläche des Spiegels. Im nächsten Moment erfasste sie dasselbe bläuliche Licht, welches von dem Spiegel ausgegangen war. Kurz darauf war sie mitsamt des bläulichen Lichtes verschwunden. Zurück blieb nur der leere Dachboden und der mysteriöse Spiegel, welche Spiegeloberfläche nun, wie jedes andere normale Spiegelglas, dass Innere des Raumes wiedergab. Jin aber war wie vom Erdboden verschluckt.


Anmerkung: EGO VOS ADVOCO, OBSCURA VIRES, QUOD IN MUNDO QUIESCUNT. VENITE AD MEUM ET MIHI DONATE MUNDOS IMPERARE! (Ich rufe euch an, ihr dunklen Mächte, die ihr in der Welt ruht. Kommt zu mir und gebt mir die Kraft, die Welten zu beherrschen.)
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