Einsamkeit

Einsamkeit

„Warum? Warum sind Menschen einsam?“, sie wusste nicht, wie sie die Frage hätte anders formulieren sollen. Sie war zwar gerade mal 16 Jahre alt, aber dennoch hatte sie eine sehr gute und schnelle Auffassungsgabe von allem. Alles hatte sie gelernt, aber eines das wusste sie nicht. Einsamkeit, was verbarg sich hinter diesem Wort? Generell bezeichnet er die Empfindung von anderen Menschen abgetrennt und abgeschieden zu sein. Man ist alleine und hat keinen um sich herum, der sich um den Jenigen kümmert. War so ein Leben wirklich schlimm?
„Wie meinst du das?“, wollte er wissen. Er war ein guter Freund von ihr und kannte sie eigentlich recht gut, fast gut, denn so eben merkte er, dass er sie doch nicht gut kannte.
Tamiko, das Mädchen, sie fühlte sich oft einsam und dennoch versteckte sie ihre Gefühle hinter einer Fassade, die mit der Zeit dennoch anfing zu bröckeln. So konnte sie nicht auf ewig weiter machen, so konnte es nicht mit ihr weiter gehen. Je länger sie es noch zurück gehalten hätte, desto eher wäre sie daran zerbrochen, doch noch konnte man ihr helfen.
„Ich will wissen, warum die Menschen einsam sind. Was führt zur Einsamkeit? Man wird doch nicht einfach einsam geboren und hat keinen dem man vertraut“, sie verstand nicht wirklich, was es hieß, wenn man einsam war, zumindest schien es nur so.
„Nun lass das doch, du machst mich damit noch ganz wahnsinnig“, entgegnete Kiyoshi. Er hasste es, wenn das Mädchen immer wieder damit anfing, immer wieder stellte sie merkwürdige Fragen, Fragen die gar nicht zu ihr passten, aber dennoch so vertraut vor kamen. Warum? Er wusste es selber nicht.
„Warum antwortest du mir auch nie? Ich frag dich das öfters, aber nie gibst du mir eine Antwort, ich müsste meinen, du redest nicht gern mit mir über das Thema“, schmollte das Mädchen.
„Nein, das ist es nicht“, seufzte er klein laut. Er hasste es, wenn sie niedergeschlagen war und es noch so aussah, als würde sie ihn nicht mehr mögen. „Es ist nur, es kommt mir so vertraut vor, ich weiß auch nicht warum. Deine Fragen, ich hab sie schon einmal gehört und ich will sie nicht mehr hören, ich weiß nicht warum, aber da gibt es etwas in mir, dass davon genug hat“, fügte er noch hinzu. Was es mit allem aufsich hatte, das sollte er erst noch merken.
„Das ist kein Grund mit immer wieder auszuweichen“, warf sie ein. „Aber gut, dann lass ich dich heute damit zufrieden, aber nur heute, morgen fang ich dann wieder damit an“, grinste Tamiko ihn an. Irgendwie machte es sie fröhlich, dass sie nun abermals darüber reden konnte, auch wenn es ihn nervte, aber etwas in ihr, hatte den Drang raus zu kommen und sie musste ihm einfach die Fragen stellen.
„Wenns unbedingt sein muss“, nickte er leicht zustimmend. Auch wenn Kiyoshi nein gesagt hätte, es hätte bei ihr nichts bewirkt, sie hätte es dennoch getan und er konnte es ihr auch nicht ausreden, dafür hatte sie einen viel zu starken Dickschädel gehabt.
„Komm lass uns weiter gehen“, bat Tamiko leise. Es war kalt gewesen und einige Schneeflocken hatten sich schon auf ihrem Haar gebildet. Es war Winter und schneite zum ersten Mal in diesem Jahr. Lächelnd nahm sie jede einzelne Flocke wahr, aber als es zu viel wurde, schüttelte sie diese von sich herab. Langsam ging sie los, einfach weiter, die Straße so lange entlang, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Kiyoshi blieb wie versteinert stehen, die Augen weiteten sich, aber er reagierte auf keine Einflüsse, weder von Außen noch von Freunden, die ihn fragten, was er da mache. Er schaute einfach auf das kleine Stück der Straße und sah Tamiko da entlang gehen, solange bis sie einfach verschwand. Ihr Körper löste sich einfach auf, er war durchsichtig geworden und dann verschwand er. Es war das letzte gewesen, was er je von ihr gesehen hatte und sehen würde...

Ich bin wieder einsam, alleine..egal wo ich gehe, ich habe niemanden, ich bin immer alleine, auf mich verlassen, ich habe niemanden, seufzend sagte sich Tamiko dies. Die Lichter der Nacht erleuchteten die Straße, aber ihr war das egal gewesen, am liebsten wäre sie in der Dunkelheit verschwunden, ein für alle Mal, aber sie konnte nicht. Immer wenn sie mit jemanden über ihre Gefühle redete, heiß es nur 'rede doch mit deinen Eltern'. Eltern? Diese hatte sie nie gehabt, sie hatte keine liebende Familie gehabt, die sich um sie kümmerten. Nie war es so, auch ihre Eltern ließen sie alleine. Wie ein Fluch war das alles geschehen. Ein Fluch, der nicht gebrochen werden konnte. Immer wieder stellte sich Tamiko vor, wie es wäre, wenn sie Eltern hätte, was wäre dann passiert? Dann wäre sie nicht im Waisenhaus gelandet und hätte auch nie ihre Stiefeltern kennen gelernt, vielleicht auch das Beste. Damals hatte es begonnen.
Sieben Jahre war sie alt, weinend rannte sie aus ihrem kleinen Zimmer. Es war rosa und mit allen möglichen Puppen dekoriert, ihre Eltern wollten scheinbar nur das Beste und Abwechslung für das Mädchen, wenn sie mal alleine wäre, als wenn sie sich das gedacht hätten. Ein Gewitter, wenn sie nachts im Bett noch wach lag, konnte sie aus dem Fenster die Konturen eines Blitzes erkennen, er kam von unten nach oben und nicht wie alle annahmen von oben nach unten. Direkt nach dem Blitz, das wusste Tamiko auch, würde der Donner kommen. Nie war er laut gewesen, immer wieder war es noch so weit weg gewesen, aber in dieser Nacht schlug er vor der Haustür ein. Ein lautes Gröllen war zu hören und sie erschreckte sich, es war schlimm. Weinend lief sie aus dem Zimmer, weinend in die Arme ihrer Eltern, aber was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Tamikos Mutter stand da, sie hielt eine Schüssel aus Porzellan in der Hand und warf damit auf ihren Vater. Wieder gab es Streit und diesmal musste die Kleine es mit ansehen. Wieder trank ihr Vater und kam betrunken nach Hause, wieder hatte sich die Mutter sorgen gemacht, wieder hatten sie sich deswegen gestritten und wieder wurde es laut dabei.
„Hört auf, hört bitte auf“, bat Tamiko ihre Eltern. Bittere Tränen rannen ihre Wangen herunter und sie wünschte sich nichts sehnlicheres, als wenn ihre Eltern mit streiten aufhören würden.
„Tamiko...geh sofort ins Bett“, befahl ihre Mutter. Diese wollte nicht, dass ihre Tochter etwas von dem Streit mit bekam. Besorgt hob sie ihre Kleine hoch und brachte sie in ihr Zimmer. Nun sollte sie schlafen und sich nicht darum kümmern, was ihre Eltern machten.
„Aber Mama...“, schniffte das kleine Mädchen. Am liebsten hätte sie sich nun an ihre Mutter geklammert, einfach nur um eine Person zu haben, die für sie da ist, aber damit konnte sie nicht rechnen. Nachdem Tamiko wieder ins Bett gelegt wurde, war ihre Mutter auch schon verschwunden. Das war das letzte Mal, dass sie die Beiden gesehen hatte, was in der Nacht zum Morgen hin passiert war, wusste sie nicht, alles war reine Spekulation gewesen.
Tamikos gesamtes Leben hatte sich verändert, sie kam ins Waisenhaus und nach einiger Zeit, wurden Eltern für sie gefunden. Immer wieder fragte sich das Mädchen, wie lange diese es mit ihr aushalten würden und immer wieder hatte sie das Gefühl gehabt, dass diese sie so schnell wie möglich los werden wollten. Und dann kam wieder die Zeit der Einsamkeit. Ihre Stiefeltern bekamen selber ein kleines Mädchen, jemanden der schon schnell den Platz der Tochter einnahm und für Tamiko war kein Platz mehr gewesen. Wieder war sie alleine, aber diesmal sollte es nicht so sein.
In der Nachbarschaft, ganz in der Nähe des Hauses hatte sie einen kleinen Jungen kennen gelernt, er war immer fröhlich und lachte, auch hatte er eine intakte Familie gehabt. Nur durch Zufall hatte sie mitbekommen, dass sein Name Kiyobashi war. Und nur durch diesen Zufall fing sie an sich mit ihm anzufreunden, aber die Freundschaft wehrte nicht ewig. Schon bald wurde sie auf die Probe gestellt, doch hatte sie sie nicht bestanden. Kiyobashi ging im Ausland auf ein teures Internat und hatte seine kleine Sandkastenfreundin schon vollkommen vergessen, all die Jahre gab es keine Briefe, keine Anrufe und keinen Kontakt, bis er mit 15 Jahren wieder nach Hause zurück kehrte. Als Tamiko davon hörte, war sie erfreut, es ließ ihr Herz höher schlagen, wieder hatte sie das Gefühl nicht mehr vor Einsamkeit zu sterben, ein alter Freund würde zu ihr zurück kehren, doch so leicht wurde es ihr nicht gemacht. Die zwei hatten nichts mehr gemeinsam und konnten nicht einmal mehr in einem Raum sein, ohne sich gleich zu streiten. Erst nach einem Jahr, einem langen Jahr voller Einsamkeit, hatten sich die Beiden wieder angenähert, sie hatten bemerkt, was sie doch alles so gemeinsam hatten und wie gut sie sich damals verstanden hatten. Wieder wurden sie Freunde und unternahmen so viel miteinander.
Lange, bis zu diesem Tag, wie schon immer fragte sie ihn, warum Menschen einsam sind, sie hatte es nie verstanden und auch nicht, warum es ausgerechnet sie getroffen hatte. War sie so ein schlechter Mensch gewesen? Hatte sie etwas angestellt, was jemanden Anderen erzürnte? Sie wusste es nicht und versuchte immer wieder in den Tag hinein zu leben, aber sie konnte nicht mehr. Noch länger und sie hätte es nicht ausgehalten.
Der Tag der folgte, war für Tamiko ausschlaggebend. Sie schlenderte nichts ahnend durch den Park, einfach nur so und ohne Grund. Auf ihrem Weg beobachtete sie die Menschen, jeder von ihnen hatte jemanden gehabt, nur sie nicht. Sie hatte zwar einen guten Freund an ihrer Seite, aber die Leere in ihr hatte zu genommen.
Im Park war es so schön gewesen, abseits von allen anderen setzte sie sich einfach auf das Gras und beobachtete ihre Umgebung, hauptsächlich war ihr Augenmerk auf die Tiere gerichtet. Schmetterlinge, die verschiedensten Arten, sie schwirrten umher und belebten die Umwelt. Es war schön ihnen zu zu sehen, besonders bei dem was sie taten. Sie sahen so zerbrechlich aus, so alleine und doch waren sie es nicht.
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