Flackernde Laterne
Flackernde Laterne
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Ich höre den Schneematsch unter meinen Füßen schon eine ganze Weile knirschen und platschen. Meine Schuhe schlurfen langsam über ihn hinweg und durch ihn hindurch. Mein Blick wandelt ohne bestimmtes Ziel durch die dunkle Nacht. Jedes mal wenn ich meine Seelenspiegel dem Himmel zuwende, erblicke ich nur eine dichte Wolkendecke, die keinen einzigen Stern auf mich nieder scheinen lässt. Erbarmungslos. Meine Beine tragen mich an einer Allee vorbei und die welken Blätter der Birken scheinen in mein Bedauern mit säuselnden, raschelnden Geräuschen einzustimmen.
Ich würde gerne seufzen, aber kein Laut dringt durch meine Lippen und stark zusammengebissenen Zähne. Wahrscheinlich besser so. Ansonsten wären vielleicht Worte herausgekommen, die besser niemand, auch ich selbst nicht, hören sollte. Meine Schritte werden langsamer, denn durch das schwache Licht einer flackernden Laterne kann ich erkennen, dass sich eine glatte Eisschicht über dem Asphalt gebildet hat. Mein Blick haftet starr und verbissen auf dem Boden, doch drehe ich mich trotzdem kurz um, aus reiner Gewohnheit. Je näher du dem Licht kommst, desto größer wird dein Schatten. Die Dunkelheit hinter mir ist nicht sehr viel tiefer als die vor mir. Ich bin allein. Niemand außer mir würde zu so einer späten Stunde auf dieser Straße gehen. Gut so, dann bin ich eben allein. Bin ich doch schon gewöhnt.
Ein schwacher Windstoß kommt auf und lässt mich etwas schneller gehen. Er schwindet wieder, so als ob er nur kurz aufmunternd über meine Wangen streichen wollte, doch das merke ich nicht. Zu kalt ist meine Haut, zu lehr mein Inneres. Als ich mein Gesicht wieder nach vorne wende, bleibe ich stehen. Eine Reihe Häuser erstreckt sich einige Meter vor mir. Aus allen Fenstern scheint Glück, Freude und Friede zu dringen. Nur aus einem nicht. Es ist ganz dunkel – Es ist mein Haus. Die Fassade sollte weiß sein, rein und unschuldig, doch wirkt sie jetzt grau, schmutzig und verräterisch. Es passte nicht. Es passte einfach nicht in diese glückliche Häuserreihe. So als ob es ein blinder, dummer, naiver Mensch erbaut hatte. Ich atme ein letztes mal, tief und stockend, aus und ein.
Dann gehe ich mit vorsichten Schritten, um nicht auszurutschen, auf das Haus zu. Alles in mir schreit mir zu, ich solle nicht weitergehen, aber ich weiß, dass es spät ist und ich kenne ihre Reaktionen mittlerweile gut genug. Gut genug um meiner inneren Stimme nicht zu gehorchen, auch wenn ich gerne auf sie gehört hätte. Als ich die letzten Schritte zur Haustüre zurücklege, blicke ich beinahe beiläufig über meine Schulter. Niemand, nichts ist hinter mir. Ich trete ein ohne etwas zu sagen, sie würden die Türe schon hören, und gehe automatisch die Treppen in mein Zimmer hinauf. Die Luft im Haus ist warm, aber kalt warm.
Ich schließe die Tür hinter mir. Auch hier drinnen herrscht eine kalte Wärme. Ich lege meinen Mantel ab und stelle die Schuhe neben meine Tür. Hatte mir angewohnt, sie nicht im Flur stehen zu lassen, dort ist kein Platz mehr. Ich gehe zu meinem Fenster und knie nieder. Meine Arme lege ich auf die schmale Fensterbank und meinen Kopf wiederum auf diese. Ich blicke lange, ohne einen Gedanken zu dem schwarzen Himmel. Es sieht aus als ob es bald wieder schneien würde. Doch es kümmert mich nicht.
Ich drehe mich ein weiteres Mal um und habe nur einen lehren, mir vertrauten Raum hinter mir. Ich atme aus und schließe meine Augen. Lasse der Traurigkeit, der Einsamkeit ihren Lauf und wende mich wieder dem Fenster zu. Alles ist auf einmal so schwer, so bedrängend. Der Schatten drückt mich jedes Mal wenn ich dem Licht zu nahe komme nieder. Mittlerweile wundere ich mich, ob ich gegen ihn bestehen könnte. Ob Gott meine Bitten eigentlich hörte, ob er ihnen schon einmal ein Ohr geschenkt hatte.
Ich seufze, ein geräuschloses Seufzen. So gut wie jede Nacht die gleiche Prozedur. Wenn ich nicht zu müde bin, bete ich. Ich bete. War denn niemand hier der mir zuhörte? Nie?
Doch da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich fühle sie. Die beiden sanften Arme, die sich langsam um meine Schultern schlingen, die zarten Hände, die sich auf die meinen, zitternden legen. Und die weißen, reinen Flügel, die mich wie eine Barriere vor der Außenwelt schützen. Wie blind war ich die ganze Zeit gewesen? Wie dumm? Wie naiv?
Sie waren doch immer hier und würden immer auf mich aufpassen und mich lieben. Ich öffne meine Augen nicht, als die Tränen aus ihnen emporsteigen. Und danke still schweigend meinen Engeln, meinen Freunden.
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