Rabenherz

Erinnerungen der Vergangenheit

Kapitel 2: Der Rabe

Vor Erschöpfung musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, rumpelte es um mich herum, ich hörte Stimmengewirr.
Der Wagen hatte sich scheinbar in Bewegung gesetzt und die Gruppe, die er begleitete, schien nicht klein zu sein.
Ich machte mir Gedanken darüber, wie die Leute wohl reagieren würden, wenn sie mich hier drin fanden. So versteckte ich mich wieder unter der Decke und versuchte eines der Gespräche zu belauschen.
Scheinbar sprachen zwei Männer und eine Frau miteinander. Die Männer lachten laut, die Frau konnte ich nur leise kichern hören. Doch was war das? Hatte ich gerade wirklich etwas von einem Raub verstanden? War ich nun womöglich in die Fänge einer der in der Gegend herumstreunenden Räuberbande geraten?
Was sollte ich nun tun? Ich war ihnen schutzlos ausgeliefert.
Panik beschlich mich. Ich hatte schon viele Geschichten darüber gehört, was Räuber mit jungen Mädchen und Frauen machten. Und keine dieser Geschichten hatte mir sonderlich gefallen.
Jedoch hatte ich vorher nie etwas darüber gehört, dass es auch Räuberbanden gab, die auch weibliche Mitglieder hatten. Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass es höchstwahrscheinlich Spielleute waren, die dort draußen neben dem Wagen her trotteten und sich von Raubüberfällen erzählten.
Diese gab es in der letzten Zeit tatsächlich vermehrt. Opfer eines dieser Raubüberfälle schienen sie allerdings nicht geworden zu sein. Zumindest noch nicht.

Während ich den beiden Männern zuhörte, wie sie sich zankten und lachten und weitere Geschichten – zumindest hoffte ich, dass es sich nur um Geschichten handelte – erzählten, bemerkte ich, dass ich immer schläfriger wurde. Meine Augen wurden immer schwerer, bis ich letzten Endes wieder schlief.
Diesmal war die Ruhe aber nicht von langer Dauer. Ich erwachte, als ein Rumpeln ertönte, die Stimmen lauter und klarer wurden.
Der Wagen bewegte sich nicht mehr. Zumindest glaubte ich das. Hieß das, sie würden jetzt die Decken aus dem Wagen holen wollen und mich entdecken?
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, sodass ich eine Weile lang wirklich Angst bekam, dass es mir jeden Moment aus meinem Mund springen würde.
Mein Atem ging schnell und hastig. Stoßweise und laut. Mit aller Macht versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Aber auch das hatte keinen Sinn. Denn finden würde man mich hier so oder so.
Also beschloss ich, aus dem Wagen zu klettern und davonzulaufen. Insgeheim hoffte ich, dass sich ein Wald oder ein hohes Feld in der Nähe befanden, sodass ich wenigstens eine kleine Chance hatte, davonzukommen.
Ich schälte mich gerade aus den Decken heraus, als die Plane des Wagens aufgerissen wurde und zwei Männer ihre Köpfe in das Innere steckten.
Der eine war hager, hatte eine lange, kantige Nase, der man ansah, dass sie schon einige Male gebrochen und schlecht verheilt gewesen war.
Der andere war beinahe das genaue Gegenteil des Hageren.
Sein Gesicht wirkte sehr rund, ebenso wie seine knollige Nase. Mit seinem dichten und langen Bart erinnerte er mich an die Geschichte über die Waldmenschen, die man bei uns im Dorf immer erzählt hatte.
Aber er sah gar nicht so gefährlich aus. Das erkannte ich an den sanften braunen Augen.
Die Unterschiede zwischen diesen beiden Männern waren wahrlich wie Tag und Nacht.
„Nanu… Was haben wir denn da?“
Erschrocken blickte ich in die grauschwarzen Augen des Hageren. Während er mir diese Worte mit seinem übel riechenden Atem entgegen knurrte, grinste er mich unverhohlen an, sodass ich einen wundervollen Ausblick auf seine gelben und schwarzen Zähne hatte. Wieder einmal wurde ich von Panik ergriffen.
Scheinbar war ich doch in die Fänge von Räubern geraten. Ich konnte spüren, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Wie mir Angst die Kehle zuschnürte.
Sollte meine Reise denn jetzt schon vorbei sein?
Das konnte nicht sein.
Ich war meinem Ziel doch noch kein Stück näher gekommen und jetzt sollte ich hier verenden?

Während er sich vornüber in den Wagen beugte und versuchte, nach mir zu schnappen, drückte ich mich in das gegenüberliegende Eck und hoffte insgeheim, unsichtbar zu werden.
„Wo bleibst du so lange? Ist da was Interessantes im Wagen?“
Eine ruhige, tiefe Männerstimme schien nach dem Widerling zu rufen. Leise Geräusche, Rascheln. Kurz darauf schien er von irgendetwas weggezogen zu werden und das schmale Gesicht eines jungen Mannes mit rabenschwarzem Haar und stechend blauen Augen erschien in meinem Blickfeld.
Seine Art mich anzusehen war undefinierbar.
Eine Mischung aus Überraschung, Zorn und… Mitleid? War es das?
Er liess seinen Blick einmal über das Innenleben des Wagens huschen, nickte kurz und dann verschwand sein Gesicht wieder.
Ich hörte, dass er jemandem etwas zuraunte, doch er sprach zu leise, als dass ich den genauen Wortlaut hätte verstehen können. Kurz darauf erschien sein Gesicht wieder vor meinem.
„Na los, komm da raus…“
Er öffnete die Plane des Wagens komplett und zog sie beiseite, sodass ich mehr als nur genügend Platz hatte, hinauszuklettern.
Ich weigerte mich zunächst. In seinen Augen, die mich unverwandt anblickten, kühl, distanziert, nahezu emotionslos, suchte ich nach einer Falle. Ganz sicher wollte er mich da einfach nur rauslocken und hinter her… Bei den Göttern, ich wollte nicht daran denken.
Unweigerlich begann ich wieder, zu zittern.



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Buhjaaaa!!! Wieder ein paar Zeilen mehr =3
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