Rußrose
Räubertochter und Fürstenkind
Ein Schwert, leichter und schärfer, als jedes andere in Carendela.
Ihr Onkel hatte es ihr vor 2 Jahren zu ihrem 16 Geburtstag geschenkt. Joeann, die einzige und beste Schmiedin in Carendela, wenn nicht im Umkreis von 100 Kilometern. Lydias Schwert war ein Meisterwerk, wie kein anderes aus ihrer Werkstadt. Der Griff länger und zierlicher, als die der Männer, die Klinge so scharf geschliffen, dass man jemanden mit einem Schnitt das Bein abtrennen konnte und wenn man es gegen das Feuer hielt sah man, dass eine Rose in die Klinge eingraviert worden war, was es aber nicht beeinträchtigte, sondern nur noch einzigartiger machte.
Langsam steckte sie die Klinge zurück in die Schwertscheide.
Angst erfüllt starrte der Stallbursche sie an. Er hatte keine ernsthaften oder gar schlimmen Wunden davon getragen. Aber an dem langen Schnitt an seinem Arm war er selbst Schuld. Warum forderten diese Schwachköpfe sie auch immer wieder dazu auf mit ihnen zu üben? Sie waren zu jung und unerfahren, auch wenn dieser hier sich wirklich gut geschlagen hatte.
„Du bist zu langsam und zu steif in deinen Bewegungen.“, meinte Lydia ruhig und trat einen Schritt auf den Jungen zu, der wich allerdings sofort zurück. „Ich fress dich nicht, das weißt du ganz genau Hanibal. Mal ganz abgesehen davon, dass du gut 4 Jahre älter bist als ich und noch dazu fast 2 Köpfe größer.“
„Und wenn schon Gaucklerkind.“, zischte ihr Gegenüber, „Dich lass ich nicht noch mal so nah an mich heran. Bist genauso wie die anderen gesagt haben. Eine Diebin. Räuberbalg. Eine kleine Hexe!“
Lydias Augen flammten auf. Und winzige Flammen schossen aus dem Boden. „Pass auf was du sagst. Vergiss nicht, dass ich die Enkelin des Mauernfürsten bin. Und vor allem vergiss niemals, dass mein Vater der Räuberprinz war. Urenkel des Feuertänzers. Sein Blut fließt in meinen Venen, also gib acht, wenn du nachts die Burg verlässt.“
Mit erhobenen Kopf und schallenden Schritten verließ die Schwarzhaarige die Burg ihres Großvaters. Der Stallbursche sah noch verängstigter als vorhin, wo sie ihm die Klinge an den Hals gehalten hatte auf das Bild vor seinen Füßen. Eine geschlossene Rose aus Ruß und Asche, die vom Wind davon getragen wurden.
„Lydia warte! Pippo sagte, du gehst wieder zu Bastan. Warum? Bleib! Bitte!“, flehend sah ihre Cousine, die ihr folgte, Lydia an.
„Nein, ich kann nicht, ich habe versprochen zu kommen“, antwortete sie Mina, die sie immer noch bittend ansah, „Sie wollen heute los und sie brauchen mich, du weißt doch das der Adler morgen die Steuern eintreiben will. “
„Aber warum denn? Kannst du nicht einfach hier bleiben? Und den Kindern deine Feuerspielchen zeigen? Du weißt, dass der Adler nur darauf wartet dich in die Finger zu bekommen, damit er Großvater damit erpressen kann dich frei zu lassen…“, immer drängender sah Mina sie an.
„Also, Großvater wäre froh, wenn ich endlich tot umfalle und ihn nicht ständig verärgern würde. Er hasst mich, weil er immer noch meint, dass ich an Mutters Tod schuld sei. Wenn dein Vater nicht wäre, hätte er Pippo und mich wahrscheinlich schon längst vor der Burg geschmissen und aus Carendela verbannt.“, entgegnete Lydia unbekümmert, „In ein oder zwei Wochen bin ich zurück. Versprochen. Aber du kannst nun mal kein Räuberkind in eine Burg sperren. Mina das da drinnen ist nicht meine Welt.“ Sie deutete auf die Burg. „Deine ist es, du kennst es nicht anders, aber ich gehöre da nicht zu. Da kann meine Mutter noch so viel Prinzessin oder Fürstin sein. Mein Vater ist ein Räuber, mein Bruder ist es und ich bin es auch. Das wird sich nie ändern.“
Mit trauriger Miene blieb Mina stehen.
Lydia wusste, dass sie ihr großen Kummer bereitete und drehte sich zu ihr um. „Eine, vielleicht zwei Wochen, dann bin ich wieder da und zerbrech dir nicht deinen hübschen Kopf. Mir wird nichts passieren, schließlich bin ich nicht einer deiner Brüder und fall schon im Schritt vom Pferd.“
Nach diesen Worten lief sie schnell durch die Gassen und das Tor von Carendela hinaus zum Wald. Am Waldrand angekommen lief sie leise und zielsicher zwischen den Bäumen umher.
Durch die Umwege die sie nach einiger Zeit gegangen war brauchte Lydia bis zum Mittag bis sie das Lager der Räuber erreichte. Keiner, außer einer Wache war zu sehen, dabei wollte sie doch aufbrechen so bald sie da war.
„Ah, unsere Rußrose!“, sagte die Wache, als sie zur Begrüßung mit einem Flammenflüstern das Feuer vor ihr kurz zu einem brennenden Schwert formte.
„Wie machst du das nur? Es gehorcht dir aufs Wort!“ Erschrocken drehte sie sich um und sah in ein junges Männergesicht mit braunen Augen und von dunklen Haaren umrahmt.
„Es ist seltsam, was dieses kleine Mädchen alles kann, Bastan. Aber was noch viel seltsamer ist, dass sie die Enkelin des Mauernfürsten sein soll und doch mit kommt um ihresgleichen die Steuern zu klauen.“
Bastan wand sich der Wache zu, doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Lydia sie an, wobei das Feuer ganz plötzlich aufloderte: „Also, damit das klar ist, nur weil ich die Enkelin des Mauernfürstens bin, heißt das noch lange nicht, dass du mich mit ihm unter einen Hut stecken kannst!“ Und beleidigt fügte sie hinzu: „Und ein kleines Mädchen bin ich schon lange nicht mehr!“
„Schon gut, ich hab es verstanden, aber hör auf hier so rumzuschreien.“
„Wieso?“, fragte sie mit einem Seitenblick auf die Zelte, „Dann werden diese Schnarchnasen wenigstens wach. Es ist schon Mittag und die pennen immer noch!“
„Ich weiß, aber schlafen hilft gegen den Hunger. Wir haben seit Tagen nichts richtiges mehr zu essen gehabt.“, meinte Bastan, „Da dein Großvater uns verboten hat…“
„Ihr seit Räuber, Gesetzlose, seit wann interessiert es euch, ob etwas verboten ist oder nicht?“
„Tut es aber eben doch.“, entgegnete Bastan, „Wenn wir es tun würden dann würde dein Großvater dich mit dem Fischauge verheiraten. Und ich bezweifle, dass du das Fischauge als Mann ertragen könntest, vom Adler ganz zu schweigen. Außerdem wollen wir ja nicht unseren besten Mann, ähm... beste Frau verlieren, ach du weißt schon was ich meine.“ Leicht verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.
„Ja, ja schon klar, aber trotzdem würde der Adler mich auf seiner Burg gar nicht dulden. Am Galgen ja, aber nicht als Schwiegertochter. So oft wie ich ihm schon die Steuern geklaut habe.“ Lydias Augen funkelten wild. Niemals würde sie sich diesem Scheusal freiwillig...
„Das glaubst auch nur du, Rußrose“, mischte sich Malvin etwas verschlafen ein, „aber der Adler sieht darin einen Vorteil.“ Er gähnte einmal herzhaft und fuhr sich durch die dunklen Haare, „Er erhofft sich daraus, dass wir von seinen Steuern ablassen lassen und statt dessen die deines Großvaters nehmen.“
Mit fünfzehn Männern leise und möglichst unbemerkt durch den Wald zu kommen war unmöglich, also teilten sie sich auf. Lydia ging mit Bastan, Malvin, Lason und dem Kuckuck durch den Sumpf. Dies war der kürzeste, aber auch gefährlichste Weg.
Im Sumpf leben seltsame Wesen, wie die Schwarzfeen. Sie sind nicht größer als die Hand eines Mannes, ihre Flügel ähneln denen einer Motte, sie waren wie die Haare und Augen pechschwarz und ihre Haut war grau. Sie sind harmlos, nur etwas stur und zickig.
Das Gefährliche am Sumpf sind die Schattenelben, aber auch sie sind harmlos, wenn man ihnen nicht zu nahe kam. Der Totentropf, eine wunderschöne aber eben so giftige Pflanze, ist das Schlimmste am Sumpf. Ihre Blüten ähneln der einer Rose, doch sie sind nicht rot, weiß oder gelb, sie sind violett.
Lydia war als kleines Kind ein Mal hinein gefallen, ihre Mutter hatte sie zum See der Feuernymphen gebracht. Damals hatten sie Lydia geheilt, aber seit diesem Tag heben sie sich niemanden mehr gezeigt. Nur Lydia konnte sie manchmal sehen. Die Nymphen haben ihr das Flammenflüstern gezeigt, um sie zu trösten, als ihre Mutter starb.
„Woran denkst du, Rußrose?“, fragte Bastan, als er ihr bedrücktes Gesicht sah.
„An meine Mutter und wie es wohl wäre, wenn sie noch leben würde. Ob ich dann auch hier mit dir durch den Wald schleichen würde oder ob ich mich mit Florenzo auf der Burg von Carendela streiten würde so wie früher?“
„Ich weiß es nicht, aber ist es nicht gut so, wie es ist? Und selbst wenn deine Mutter noch leben würde, dein Vater war ein Räuber, wie ich und in deinem Herzen bist du es auch.“, meinte er lachend, um ihre traurigen Gedanken zu verjagen.
Es war bereits dunkel als sie beim Fuchsbau ankamen.
Der Fuchsbau, war eine Verstrickung aus unterirdischen Höhlen und Gängen. Die Eingänge waren gut versteckt und nicht jeder der Räuber kannte alle.
Sie waren die letzten, denn Lydia wollte noch zum See der Feuernymphen. Malvin war mit den beiden Männern voraus gegangen. Doch Bastan wollte nicht mit ihnen gehen. Sie widersprach auch nicht, als er mitkommen wollte.
Denn sie kannte ihn schon zu lange, er hatte sie aus den Totentropfbüschen gezogen und sie zu ihrer Mutter gebracht, er hatte sie getröstet, als ihre Mutter starb, er hatte sie vor den Jungen in Carendela beschützt, wenn sie all zu frech wurden und er war zu ihr auf die Burg gekommen, um sie zu holen, als ihr Vater vor mehr als einem Jahr bei einem Überfall so stark verletzt wurde, dass er zwei Tage später starb.
Alle wussten, dass er in die Rußrose verliebt war, auch wenn er es oft verbergen konnte.
Aber was sie fühlte wusste sie selbst nicht.
Lydia schlief schlecht diese Nacht, sie hatte Alpträume, die sie schon lange nicht mehr gehabt hatte. Sie kamen immer, wenn etwas schlimmes passieren würde, wie damals, als ihre Mutter starb, hatte sie die gleichen Bilder gesehen wie jetzt und auch als ihr Vater starb waren sie da. Bilder, wie ein Todesurteil, derer die sie liebte.
Irgendwann weckte Bastan sie, weil sie im Schlaf nach ihm und