Unhappy Endings
Drama of one man
Das Leben leben
Das Leben leben
Ist das Leben unglücklich, so ist es mühselig zu ertragen; ist es glücklich, so ist es furchtbar, es zu verlieren. Beides kommt aufs Gleiche heraus.(Zitat von Jean de La Bruyére;1945-1996)
Prolog
Draußen beginnt es schon zu dämmern. Die Wolken ziehen sich zusammen. Erste Nebelbänke fangen an sich am nahe gelegenen Forellenwehr zu bilden. Innerhalb einer halben Stunde wird die ganze Gegend in Weiß gehüllt sein. In solchen Momenten trifft man niemanden mehr in Schleierede, da die ansässigen Dorfbewohner, besonders im Herbst und im Winter, sehr vorsichtige Leute sind. Alle Fenster sind fest verschlossen. Nirgendwo sickert Kerzenlicht durch irgendwelche Ritzen. Das ganze Dorf hat sich schon schlafen gelegt. Doch die scheinbar undurchdringliche Stille und Dunkelheit wird von etwas durchbrochen.
Etwas vom Dorf entfernt, liegt ein Gebäude von dem ein warmes und einladendes Licht ausgeht. Durch den drehenden Wind werden ab und zu vereinzelte Geräusche ins Dorf getragen. Ist man nahe genug, kann man Musikern bei ihrer Arbeit und Betrunkenen beim Mitgrölen hören. Außerhalb dieses Gebäudes hängt ein Schild. Das geschmiedete Blech schwenkt im Herbstwind hin und her und gibt dabei quietschende Geräusche von sich. Auf ihm ist ein goldenes Gerstenkorn umringenden von Kanten, die als Lichtstrahlen zu verstehen sind, abgebildet. Eingebettet wird das ganze Gebilde von einem matten Waldgrün und mit einem goldenen Schilderrahmen umrandet. Der Name Zum goldenen Gerstenkorn gibt dem Schild den letzten Schliff. Bei der Kulisse, die das Dorf und die ansonsten vereinsamte Umgebung bietet, wirkt die ansässige Schenke wie eine Pilgerort für all die einsamen und verwirrten Seelen. Demnach war es sogar jetzt in der Übergangszeit vom Herbst zum Winter sehr gut besucht. Die Leute aus der Umgebung kommen, um ihre Sorgen, wie sie ihre Familien über den Winter ernähren sollen, wenigstens einen Abend zu vergessen. Selbst Tiere wie Wildschweine, Füchse oder Bäre aus dem nahe gelegenen Wald, finden den Weg dort hin und plündern die Abfälle.
Allen Gästen, die von weiter weg herkommen und das erste Mal das Zum goldenen Gerstenkorn besuchen, durchleben alle dieselbe Tortur. Geprägt von den Strapazen und den ständig andauernden schlechten Wetterverhältnissen die man in der Region ringsum von Schleierede macht, erlebt man zuerst einen Schock. Völlig durchgefroren und durchnässt drückt man die Türklinke der Gasthaustüre herunter und öffnete sie. In dem Moment kommt dem Geschundenen ein Schwall aus mehreren Eindrücken entgegen geflogen. Eine Mixtur aus verschiedenen Gerüchen,Bier, Wein, Essensgerüche und anderen wohltuenden Düften, einem Singsang aus dem Gesang der angestellten Musiker und den betrunkenen Gästen und einer angenehmen Temperatur. Mit einem Male fühlt sich der niedergeschlagene neue Gast aus unerklärlichen Gründen geborgen und gestärkt, als ob von dem Gasthaus eine positive Energie aus gehen würde. Selbst der Besitzer und gleichzeitig Wirt der Schenke Herr Filius kann sich dieses Phänomen nicht erklären.
Anfangs lief sein Gasthaus relativ normal. Sommer und Frühling waren seine Haupteinnahmezeiten. Herbst und Winter hatte er eher die meiste Zeit wegen fehlender Gäste geschlossen. Dies war völlig normal für ein Gasthaus auf dem Land. Doch ab irgendwann kamen die Leute immer mehr zu ihm. Zu anfangs waren es ein paar Gäste in den Winter- und Herbstwochen. Dann wurden es schon ein Duzend Gäste pro Tag während den kalten Tagen. Und nun konnte sich Herr Filius vor lauter Gästen nicht mehr retten. Jeden Tag war das Gasthaus „Zum goldenen Gerstenkorn“ bis zum letzten Stehplatz überfüllt. Sogar draußen tummelten sich die Leute und warteten darauf, dass jemand gehen würde und sie dafür rein gehen konnten. Solange dieses gewonnene Glück ihn nicht verlassen würde, war es Filius egal warum das so war.
Doch das größte Markenzeichen der erfolgreichen Ausschenke war ihr Stammgast. Ein alter Mann. Niemand weiß woher er kam oder wie er heißt. Genau genommen weiß keiner was über ihn. Er ist irgendwann mal gekommen und seit dem nicht mehr gegangen. Deshalb hat man ihn einfach den Alten Tom genannt. Seit dem sitzt er immer in der gleichen Ecke des Gasthauses und verweilt dort, bis der Wirt seine Schenke am späten Abend zu macht und Tom sein bezahltes Zimmer aufsucht. Was er dort macht ist unbekannt. Jedenfalls sitzt er jedes Mal pünktlich zur Eröffnung des Zum Goldenen Gerstenkornes wieder an seinem Stammplatz.
Da er schon seit über 12 Jahren Gast bei Herr Filius ist und viele Leute ins Gasthaus ein und aus gehen, kennen ihn auch die Leute aus der Umgebung. Deshalb werden um ihn einige positive aber auch wenige negative Gerüchte gesponnen. Doch die Gesamtmasse sieht ihn als den verschlossenen und geheimen Beschützer dieser Gegend. Es geht sogar soweit, dass in manchen Dörfern den kleinen Kindern Gutenachtgeschichten über ihn erzählt werden. Wie er weit entfernte Städte vor Dämonen oder eine hübsche Prinzessin aus den Klauen eines angeblich unbesiegbaren Drachens befreit hätte.
Nach der Zeit hat sich auch das Erscheinungsbild vom Alten Tom in die Köpfe der Personen, die das Zum Goldenen Gerstenkorn noch nicht besucht haben, durch die verbreiteten Gerüchte und Geschichten gebrannt:
Sein Haar ist völlig weiß und hängt ihm in langen und zotteligen Lotzen herunter, sodass das meiste seines Gesichtes bedeckt bleibt. Doch es wird gemunkelt, dass der Alte Tom braune Augen besäße, die schon leicht verblassen würden. Auch hätte er eine halbmondförmige Narbe auf seiner Schläfe, rechts neben dem linken Auge. Es gibt nur wenige Berichte über das Gesicht des Alten Toms. Doch jede Aussage war im Punkt der Narbe unterschiedlich. Mal wurde sie eher schmaler und rötlich beschrieben, ein anderes Mal eher breiter und braun bis schwarz und Andere umschrieben sie wieder ganz anders.
Er trägt jeden Tag dieselben abgenutzten Kleidungsstücke: Seine schwarzen Stiefel, eine beige Leinenhose und ein kiefergrünes Stoffhemd. Des Weiteren besitzt er einen Reisesack, in dem er sein Geld und ein seltsam aussehendes Amulett aufbewahrt, eine Mappe mit mehreren beschrifteten und leeren Pergament und einen Wanderstab, der zusammen mit der Mappe unter dem Bett seines gemieteten Zimmers verstaubt.
Viele Leute haben schon ihn angesprochen und wollten was über ihn herausfinden. Doch Tom ist kein gesprächiger Mensch. Er spricht eher weniger und wenn er was sagt, dann nur das nötigste. Er sitzt den ganzen Tag in seiner Ecke, nimmt das meiste in seiner Umgebung gar nicht war. Stattdessen versteift sich darauf, auf etwas zu warten.
Doch heute ändert sich das.