June
June
June
*June*
Sie traf ihn zum ersten Mal im Juni, als die Sommerfestivalspiele anfingen, und ihr Treffen war die Erfüllung ihres Lebens. Er hieß Ion, zumindest an diesem Tag, und als Ion behielt sie ihn immer im Herzen, so wie sie für ihn immer nur June blieb, die Frau, die er im gleichnamigen Monat getroffen hatte. Doch vergaß er sie nie, denn er konnte es nicht, er hatte nie die Möglichkeit dazu bekommen.
Und er wusste genau wieso.
Nur selten verließ ihn der Gedanke an diese Frau, so selten wie das Gefühl, dass sie in seiner Nähe war und ihn beobachtete. Manchmal traf er sie, wie aus reinem Zufall, in einem Café, wo er sich gerade etwas zu trinken holte, um den Tag überstehen zu können. Doch sah er sie immer nur kurz, als wäre sie ein Schatten, als wäre sie sein Schatten. Er spürte jeden Tag ihre Blicke auf sich ruhen und sein Herz klopfte bei dem Wissen, dass die Frau, die gerade hinter ihm über die Straße gegangen war, dass diese Frau sie gewesen sein könnte.
Wie konnte das ihm nur passieren, ausgerechnet ihm.
Es waren doch nur ein paar harmlose Stunden, die sie auf diesem verdammten Heuwagen verbracht hatten, weit ab von dem Menschenrummel um ihre Ruhe zu haben. Sie hatten nur geredet und er war ihr vielleicht etwas näher gekommen, als er wollte, aber was konnte er dafür? Er hatte ihr gesagt, dass es ihm leid täte, dass er ihr nicht weh tun wollte und dass alles einfach nur aus Versehen passiert ist. Er hatte versuchte ihr zu erklären, dass man nichts überstürzen sollte, denn auch wenn diese Stunden etwas besonderes waren, waren es doch nur Momente der Schwäche, die man vielleicht im Herzen behielt, aber nicht vertiefte.
Das waren seine Worte, und er wusste, dass sie nicht richtig gewählt waren, denn er tat ihr weh. Er sah es an ihren Augen, diesen wunderschönen grünen Augen, die sich langsam mit Tränen füllten. Er sah es an ihrem ganzen Körper, so zierlich und zerbrechlich, dass er Angst um sie bekam, als sie zu zittern anfing. Und dann konnte er nicht mehr anders. Er nahm sie wieder in seine Arme, drückte sie an sich und versuchte beruhigend auf sie einzureden.
Aber sah er dadurch nicht das Lächeln, das sich leise auf ihre Lippen geschlichen hatte.
Ihre Tränen waren echt, sogar das Zittern ihres Körpers war nicht gespielt, denn als er ihr sagte, dass sie für ihn nichts weiter war als ein Moment, hatte sie das Gefühl, dass ganz langsam ihre Welt zerbrechen würde. Auch wenn sie ihn, dort auf dem Festival, erst seit kurzem kannte, erst wenige Stunden mit ihm verbracht hatte, liebte sie ihn.
Sie liebte ihn so sehr, dass ihr Herz höher schlug, als sich ihre Blicke zum ersten Mal richtig trafen und wusste noch immer, noch nach einem Jahr, in dem sie geduldig im Hintergrund gewartet hatte und ihn beobachtet hatte, wie sich seine Lippen anfühlten, wie es sich anfühlte, ihn zu küssen. Sie kannte seinen Geruch, roch sie doch jede Nacht in ihren Träumen sein leicht süßliches Aftershave. Sie kannte den Geschmack seines Schweißes, hatte sie ihn doch verinnerlicht, als sie sich in diesem Heuwagen liebten und sie mit ihrer Zungenspitze sanft, aber dennoch verlangend über seinen Hals fuhr. Sie wusste alles über ihn, nicht nur das, was sie im letzten Sommer über ihn herausgefunden hatte, sondern auch die kleinen Dinge, die er ihr nicht verraten hatte.
Sie wusste, welchen Kaffee er morgens trank und welche Flasche Wein er am Abend öffnete. Sie wusste, dass er sich lieber Essen beim nächsten Italiener bestellte als selbst zu kochen und sie wusste, dass er regelmäßig in der Nacht aufwachte, durchschwitzt, wie ihr schien und sich verwirrt nach rechts und links umschaute, um dann völlig geschafft wieder auf sein Bett zu sinken und unruhig einzuschlafen.
Wie sehr sie sich dann immer wünschte bei ihm sein zu können, ihn sanft in ihre Arme zu betten, um für ihn da zu sein, und ihm das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Das selbe Gefühl, das sie immer empfand, wenn sie in ihrer Wohnung saß, an dem Fenster mit direktem Blick auf seine Zimmer und ihn mit dem Fernglas beobachtete.
Geborgenheit, selbst über diese Distanz gab er ihr dieses Gefühl, das Gefühl, dass alles in Ordnung sei, und er für sie da wäre.
Auch wenn sie nicht immer bei ihm sein konnte, oder nicht bei ihm wohnte und nicht jeden Tag seiner Stimme lauschen konnte, wusste sie doch, dass er sie liebte, er musste sie einfach lieben, etwas anderes kam einfach nicht in Frage. Etwas anderes würde sie zerstören, würde alles zerstören, was sie für ihn geschaffen hatte, würde die perfekte Welt von ihr und ihm zerstören, in der sie mit ihm nun schon seit fast einem Jahr lebte.
Doch all das würde sich bald ändern. Sie wusste es, fühlte es, merkte, dass er endlich bereit war, sich seine Liebe zu ihr einzugestehen und sie endlich zu sich zu nehmen, sie zu heiraten und eine Familie zu gründen.
Ihr Herz schlug schneller bei diesem Gedanken. Eine richtige, eigene Familie, mit dem Mann, den sie liebte. Ein Kind, das im Garten mit dem Hund spielte. Ihr Geliebter, der hinter ihr stand, Arme um ihren Körper geschlungen, seinen Kopf an ihren gelehnt und glücklich zu ihrem Kind schauend um zu bemerken, wie sehr er diese kleine Familie, die er nun mit ihr hatte, doch liebte.
Das wünschte sie sich, wünschte sie sich schon seit dem ersten Moment, den sie mit ihm erlebt hatte und sie hatte alles getan, alles für ihn getan, damit dieser Wunsch bald wahr werden würde.
Glücklich lehnte sie sich vor und schaute durch ihr Fernglas, spähte hinüber in seine Wohnung und beobachtete, wie er sich zurück lehnte, in seinen großen Sessel und entspannte.
Morgen wäre endlich wieder der Tag des Festivals, der Tag, an dem sie ihn dazu bringen wird, es sich endlich einzugestehen, es sich einzugestehen, dass sie die Einzige ist, die er liebt und immer lieben würde.
Es war heiß.
Sie saß alleine an dem Ort, an den sie sich vor einem Jahr mit ihm zurückgezogen hatte und wartete, wartete auf ihren Geliebten, doch er kam nicht. Trotzdem wartete sie.
Sie war schon einige Stunden hier, hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt ihn zu suchen, da er sich vielleicht verirrt hatte, aber traute sie es sich nicht. Die Angst ihn zu verpassen, wenn sie ginge, war einfach zu groß, als dass sie einfach aufstehen konnte, um über das Gelände zu laufen.
Hatte er ihren Brief nicht gelesen, oder hatte er einfach keine Zeit und konnte ihr nicht absagen?
Sie wusste es nicht und die Ungewissheit schürte die Angst in ihr, die Angst, dass ihm auf den Weg hier her etwas passiert sein könnte, da sie nicht da war und auf ihn aufpasste.
Tränen sammelten sich in ihren Augen und ihr Körper fing wieder an zu zittern.
Wie konnte sie nur so selbstsüchtig sein und ihren Mann einfach allein in dieser großen Stadt lassen? Er war doch meist so durcheinander und lief in die falsche Richtung, oder ließ sich von Dingen ablenken und passte deswegen nicht darauf auf, ob er nun über diese Straße gehen konnte oder nicht.
Warum wollte sie ihn bloß überraschen, er war doch schon damit zufrieden einfach zu wissen, dass sie da war, in seiner Nähe, um ihn immer zu beschützen. Warum hatte sie es nicht einfach dabei belassen!?
Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken und erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Wange nass von ihren Tränen war. Sie schluckte hart, wischte sich über die Wange und versuchte zu lächeln. Er müsste bald kommen um ihr zu sagen, dass er sie liebte, sie wusste, dass er gleich kommen würde, denn ihr Liebster war immer pünktlich.
Er war immer pünktlich.
Nur an diesem Tag nicht.
-Ende-
© Josephine Grzechnik