Meine Mütze

Meine Mütze

Meine Mütze

Meine Mütze

Es war voll.
So voll, dass ich kaum atmen konnte. Laut, eng. Mir war so heiß.
Vom einen zum anderen geschubst schaffte ich es, mir mühsam einen Weg durch die Massen zu bahnen. Weiter, immer weiter, den anderen hinterher.
Zitternd hielt ich mich an meinem Begleiter fest. Ein guter Freund von mir, der mich netterweise mitgenommen hatte.
Ich glaube es nervte ihn, dass ich mich so an ihn klammerte, aber es ging nicht anders.
Hier war es einfach zu voll.
Wie konnte ich bloß so dumm sein!
Ich wusste, dass das zu viel für mich sein würde und trotzdem kam ich einfach mit. Kam mit, obwohl Menschenmassen mir nicht bekamen.
Magensäure stieg meine Speiseröhre hoch, drückte sich in meinen Mund und nur mühsam konnte ich verhindern, mich einfach hier und jetzt zu übergeben. Mein Körper war ein Wrack, zumindest fühlte er sich so an. Hitzeschauer, Kälteschauer, immer und immer wieder. Dazu dieses flaue Gefühl, der Wunsch sich erbrechen zu wollen und ich war gerade erst eine Stunde hier, oder war es doch weniger? Ich wusste es nicht mehr, hatte das Gefühl über die Zeit verloren.
Rucken!
Irgendjemand lief gegen mich, brachte mich zum Straucheln, fast zum Fallen, mein Herz setzte einen Moment aus. Mein Atem wurde schneller und flacher. Gott, meine Brust schmerzte so entsetzlich.
"Nichts anmerken lassen", dachte ich mir. "Ruhig durchatmen und weitergehen!"
Langsam griff ich wieder nach der Hand von meinen guten Freund, doch er war nicht mehr da. Menschen strömten an mir vorbei, drängten mich ab und ich konnte nichts weiter tun als mich panisch umzusehen. Ich hatte ihn verloren. In diesem kurzen Moment der Unachtsamkeit hatte ich ihn schon verloren.
Panik stieg in mir hoch, ließ mich noch schneller atmen. Meine Kehle wurde trocken, begann zu schmerzen. Mein Herz pumpte immer schneller.
Luft, ich bekam keine Luft mehr, meine Lungenflügel füllten sich nicht mehr.
Straucheln.
Die Menge um mich herum schubste mich immer mehr umher. Brachte mich immer weiter fort von dem Ziel, das ich kurz davor ansteuerte, immer weiter fort von den Leuten, mit denen ich unterwegs war.
Allein. Ich war allein, umzingelt von Personen viel größer als ich, von einer Masse gesichtsloser Wesen, die mich immer weiter abdrängten.
Ich musste hier raus. Musste aus diesem Gebäude, aus diesem nicht enden wollenden Strom laufender Körper, oder ich würde darunter zertrampelt werden, während ich hilflos nach Luft schnappte.
Hektisch drehte ich mich um. Drückte mich durch die Masse zum Notausgang. Enge, Ellenbogen, Taschen, Menschen und dann endlich die Tür.
Kraftlos schmiss ich mich gegen sie, meine Finger ergriffen die Türklinke und drückten sie herunter. Freiheit, Luft.
Ich strauchelte hinaus, stolperte und fiel, fiel vor den Leuten, die da draußen standen, auf die Knie. Peinlich, aber egal. Ich war in Sicherheit. Sollten sie doch lachen und mich runtermachen. Es war mir egal.
Erschöpft rollte ich mich auf den Rücken und blickte nach oben in den Himmel. Endlose Weiten. Wie beruhigend. Meine Brust hob und senkte sich und allmählich fühlte ich mich wieder etwas besser. Das flaue Gefühl im Magen blieb, auch die Angst, wieder zurück zu gehen, doch ich konnte wieder ohne Probleme atmen, und das war das wichtigste.
Gott, müsste ich doch nie mehr dorthin zurück, nie mehr wieder in diese Räumlichkeiten. Es war dumm von mir, zu dieser Veranstaltung mitgekommen zu sein. Sehr dumm.
Langsam setzte ich mich auf.
Meine Beine, Arme und der Rest meines Körpers zitterten immer noch und ich fühlte mich schwach. Wie sollte ich so meinen Kumpel wiederfinden?
Ich sah zur Tür und schluckte.
Unmöglich, das war einfach unmöglich, ich konnte einfach nicht noch mal durch diese Hölle stolpern, doch ich musste, denn hier würde er mich niemals finden.
Schwankend stand ich auf.
Meine Beine wie Gummi, meine Knie noch weniger als das. Ein Schritt auf die Tür zu, widerwillig, dann der nächste und dann...
...drehte ich mich einfach weg.
Mein Herz pochte wieder, schlug wieder so heftig, rebellierte in meiner Brust.
So ging das nicht.
Hätte ich nur mein Handy dabei, schoss es mir durch den Kopf.
Ich hätte ihn anrufen können, ihn fragen können, ob er mich später hier, wo immer ich auch war, abholen könnte. Aber ich hatte es nicht dabei, hatte es im Auto liegen lassen.
"Verdammt noch mal, ich will nicht zurück!"
In meinem Kopf war es ein Schrei, in Wirklichkeit nur ein leises verzweifeltes Wispern.
Und dann kamen sie.
Heiß und nass liefen sie meine Wangen hinab, unkontrollierbar.
Tränen.
Ich senkte meinen Kopf.
Hob meine Hände und presste sie auf meine Augen, versuchte sie verzweifelt fortzuwischen, doch konnte ich es nicht.
Unaufhaltsam rollten sie weiter über mein Gesicht und entblößten mich von Sekunde zu Sekunde mehr.
Leute starrten mich an, ich konnte sie wispern hören.
Warum nur?
Warum musste dieser Tag so verlaufen?
Ich wollte doch nur etwas Spaß haben.
Mir ein paar Bücher anschauen und vielleicht den einen oder anderen Fanartikel kaufen.
Ich wollte nur den Cosplayern zuschauen und einmal eine gute Zeit haben und stattdessen stand ich hier, vollkommen verlassen und verloren und weinte wie ein kleines Kind.
Wie dumm war ich nur, zu glauben, dass einmal...
Eine sanfte Berührung riss mich aus meinem Selbstmitleid.
Jemand kniete vor mir und tupfte meine Tränen weg.
Auf seinen Lippen lag ein selbstsicheres, leichtes Lächeln.
Ich schaute, nein, glubschte ihn an.
Zu erschrocken und verwirrt, brachte ich keinen Ton über meine Lippen.
Der Fremde sagte nichts, er strich nur weiter die Tränen weg, bis sie versiegt waren.
Dann stand er auf und setzte mir das Ding auf, mit dem er gerade über mein Gesicht gewischt hatte und zog es mir leicht hinunter, sodass ich kaum etwas sehen konnte. Was war los?
Ich verstand nichts mehr.
Als er mir seine Hand entgegen streckte, nahm ich sie, als wäre es das Normalste der Welt.
Er ging mit mir zurück in die großen Hallen, hielt mich nah bei sich, als er mich durch die Menschenmassen zurück führte.
Ich folgte ihm, folgte ihm immer weiter.
Mein Blick war nur auf ihn gerichtet, meine Hand umklammerte seine immer fester.
Plötzlich stand ich an einem Informationscenter.
Verwundert schaute ich mich um, schaute zu der Frau am Schalter und dann zu ihm.
Er lächelte, als wäre er stolz, dann legte er mir eine Hand auf den Kopf, drückte die Mütze wieder etwas in mein Gesicht und beugte sich zu mir herunter.
"Verzweifel das nächste Mal nicht, okay?", wisperte er leise in mein Ohr und ließ los.
"Okay", hauchte ich als Antwort, leise und schwach.
Langsam nahm ich die Mütze ab. Ich wollte meinen Helfer sehen, ihm ins Gesicht sehen und mich bedanken.
Doch er war schon weg, verschwunden in der Menschenmenge.
Die Mütze aber hinterließ er mir.
Schwarz war sie, schwarz mit kleinen Öhrchen dran, ein wenig kindisch.
Trotzdem setzte ich sie mir wieder auf.
Hartes Schlucken.
Ich schaute zu der Dame am Informationsschalter, nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach sie an, um meinen Kumpel ausrufen zu lassen.
Es war peinlich, nicht nur für mich, sondern vor allem für ihn, aber er nahm es mir nicht übel.
So bin ich nun mal, meinte er nur zu mir und nahm mich wieder an die Hand.
Sei es, weil der Fremde mir geholfen hat und ich die Mütze von ihm bekam, oder weil mein Kumpel nun mehr auf mich aufpasste, ich hatte nicht mehr so viel Angst und konnte den Tag doch noch irgendwie genießen.
Meinen fremden Helfer habe ich nie wieder gesehen, aber trotzdem danke ich ihm, auf diesem Wege.
Danke.

*Ende*
(c) Josephine Grzechnik
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