Animus und Anima
Kapitel 1 Ein etwas anderer Schulanfang
Langsam aber sicher wurde das Schulgebäude immer voller, überall hörte man aufgewecktes Gerede und hin und wieder ein Lachen.
Es schien fast so, als erlebte man so einiges über die Herbstferien hinweg, sodass das Gekicher und Gerede der Schülerinnen kein Ende nahm, wäre da nicht die Direktorin, die alle mit einem etwas strengen Ton um Ruhe bittete.
Respektvoll wurde diese Frau mit ihren grauen Haaren und doch jugendtlichem Aussehen angesehen.
Keiner traute sich mehr etwas zu sagen.
Die Direktorin ergriff das Wort:
" Schön, Sie alle wieder zusehen und es freut mich, dass Sie noch bei diesem Sturm draußen so trocken und sicher hierhergefunden haben. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei reden. Sie haben wahrscheinlich gesehen, dass wir ein paar schulinterne Änderungen gemacht haben. Es ist nichts Ungewöhnliches, lassen Sie sich davon nicht verunsichern. Sie können wieder in ihre Klassenzimmer zurück, ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Schulanfang."
Gerade, als alle grübchenhaft zu den Klassen gingen, erschien erst jetzt, Minuten später eine junge Frau, ihr schwarzer Mantel etwas duchnässt von dem Sturm draußen, ihr braun-rötliches Haar nass und etwas zerzaust. Sie fing an zu fluchen:
"So ein Mistwetter! Warum muss MIR das eigentlich immer passieren?? Dabei habe ich eigentlich gar nicht verschlafen! Dieser dämliche Bus!"
Erst nacher begriff sie, dass sie wohl die Anrede, der hoch geschätzten Direktorin verpasst hatte, was ihr auch sehr Leid tat, denn sie kannte diese Frau in ihrem Theologieunterricht gut und mochte ihre Gedankengänge, sowie ihre empathische Ader.
Wie oft hatten sie im Unterricht interessante Diskusionen geführt, indenen man versuchte die Existenz oder Nichtexistenz Gottes anhand von Wissenschaften zu beweisen.
"Hey du da! Bist du nicht Maria? Ich hab von einer Freundin gehört, dass du sehr tolerant und tiefgründig bist."
Maria schaute etwas verwirrt die blonde junge Dame an und nickte.
Gleichdaurauf fasste diese Maria bei der Hand und zerrte sie vom Eingang weg.
"Was für ein Glück! Hab ich dich gefunden! Komm mit mir, wir sind in einer Klasse! Voll toll!! Ich freue mich so!! Ich hab schon viel von dir gehört! Ich heiße übrigens Eva!"
Ohne das Maria etwas entgegnen konnte, lief die Blonde mit ihr weiter bis zum Klassenraum.
Jedoch war sie sich etwas unsicher und wusste nicht, wie sie mit dieser direkten Art umgehen sollte. War das normal? Und von welcher Freundin redete sie wohl. Eigentlich fiel sie nie sonderlich auf, war eher introvertiert. Natürlich hatte sie hin und wieder mal einen ihrer philosophischen Gedanken der Klasse offenbart, aber das diese solchen Anklang fanden war ihr relativ neu.
In der Klasse hatten schon viele Schülerinnen Platz genommen und unterhielten sich in ihren Gruppen. Das Eva und Maria erst jetzt reinkamen, ein paar Minuten zu spät merkte keiner, denn am Pult saß noch kein Lehrer, das bedeutete, dass man gemütlich weiter plaudern konnte.
"Oh man! Du musst unbedingt neben mir sitzen Maria! Komm hier! Die Fensterseite ist die schönste Seite! Da blickt der Herr auf uns!"
Maria sichtlich verwirrt von diesen Worten schaute Eva etwas unsicher an.
"Hey ich weiß! Ist noch alles sehr neu! Wir kennen uns nicht, aber ich weiß schon einiges von dir und ich denke wir werden gute Freundinnen! Glaubst du doch auch mit vollem, barmherzigen Herzen an den gleichen Go..."
Noch ehe Eva ihre Worte zu Ende aussprechen konnte, knallte die Türe des Klassenzimmers zu und ein locker mit Jeans gekleideter, junger, blondhaariger Mann kam hereinspaziert mit einem lauten: "Guten Morgen zusammen!"
Dann wurde es plötzlich still. Alle schauten den jungen Lehrer etwas verwundert an. Ihre Gesichter sahen aus, als würden sich Fragezeichen in ihnen bilden.
So locker, wie er in den Raum reingekommen ist, so locker setzte er sich auf den Stuhl an dem Lehrerpult und holte eine Mappe raus mit den Worten: "Sie haben anscheinend mit mir ihren Theologieunterricht. Das ist doch schön...mal schauen, wer denn schon da ist. Achja ich heiße übrigens Herr Lucian."
In diesem Augenblick befand sich Maria, wie in einem komischen Traum. Sie hatte ihre Direktorin am Lehrerpult erwartet, nicht diesen jungen, blondhaarigen Mann und das enttäuschte sie etwas.
Und, als wenn Eva ihre Gedanken lesen konnte sprach sie den Lehrer gleich direkt an: "Sie sind also unser Lehrer in Theologie?"
Er grinste leicht und antwortete locker auf die Frage: "Ja so scheint es."
"Aber naja... kennen Sie sich den wirklich mit Jesus Christus aus, unseren Herrn und Bruder?"
In der Klasse herrschte ein leises Getuschel. Anscheinend war Maria nicht die Einzige, die von Evas eigenartiger Art etwas verunsichert war.
"Hm...Sie scheinen ja gewisse Zweifel an meiner Persönlichkeit zu haben, ist dem jetzt schon so?"
Der Lehrer hob die Brauen fragend.
Eva versuchte etwas panisch eine Antwort zu finden, konnte es aber nicht und so ließ sie ihn weiter reden.
Anscheinend fiel ihr selber auf, dass sie nicht über einen Menschen urteilen wollte, bevor sie ihn wirklich kannte.
Das erahnte jedenfalls Maria, dass sie vielleicht so etwas in der Art dachte, aber naja auch sie konnte sich täuschen.
Während der Lehrer weiter in seine Liste schaute und die Namen aufrief musste Maria unweigerlich, gedankenverloren lächeln. Spontan hatte sie den Satz: "Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst!" im Kopf. Sagte dies nicht Jesus einmal? Sie war sich nicht mehr sicher, aber das spielte keine Rolle, denn soeben wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
"Sie sind also Maria. Richtig? Noch wach? Wo schwebt denn Ihr Geist?"
Verblüfft schaute Maria den neuen Lehrer an.
"...oder sind Sie nur körperlich anwesend?"
"Nein! Das bin ich nicht! Ich bin da. Voll und ganz!"
Dies sagte sie sicher und war etwas verärgert über diese Frage.
" Das ist schön. Das kann nicht jeder." antwortete Hr. Lucian grinsend und fuhr weiter mit seinem Unterricht fort...
Hr. Lucian stand auf und verteilte Arbeitsblätter.
Bei den meisten der Schülerinnen zeigte sich daraufhin ziemliches Desinteresse nach langer Zeit wieder irgendeinen schwierigen Text ausarbeiten zu müssen. Warum nur Texte lesen? Ist das denn nicht viel zu theoretisch und dazu langweilig...?
Das Desinteresse, welches man in den meisten Gesichtern ablesen konnte, entging natürlich auch Hr. Lucian nicht, der jedoch behielte seine lockere Art seinen Unterricht fortzuführen.
" Aber...das kenne ich doch!" Kam es bei Maria, wie aus der Pistole geschossen.
Lucian musste wieder grinsen: "Ja das kann natürlich sein, dass man hier in der Schule auch belesene Menschen findet..."
"Nein, Sie verstehen mich falsch. Genesis hatten wir schon bei der Direktorin zuvor im Unterricht bearbeitet."
Eva und die anderen aus der Klasse stimmten ihr zu.
Manche fingen an zu seufzen und eine aufmüpfige Schülerin gab sogar lauthals ihren Senf dazu :" Oh man immer wieder der gleiche Scheiß hier...und dann auch noch ein Abschnitt aus der Bibel!! Voll öde!!"
An diese Schülerin wandte sich daraufhin der Lehrer mit einem nachdenklichen Blick: "Hm....wenn Sie diesen Text schon kennen, dann können Sie mir bestimmt auch erklären, was "Genesis" überhaupt bedeutet und wovon da die Rede ist?"
Die störende junge Dame, genannt Steffi verzog ihr Gesicht. "Ach das werden Sie uns doch gleich eh erzählen, macht doch keinen Sinn, ob ich es jetzt sag! Da hat sich doch Gott selbst erschaffen oder so..."
Noch ehe der Lehrer etwas sagen konnte, stand energisch Eva auf und rief: "Hallo??? Gehts noch??? Du bist total auf dem Holzweg, da hat Gott, unser Herr diese wunderbare Welt und uns Menschen erschaffen, wie kann man nur so etwas Wichtiges vergessen! Pah!"
Steffi verrollte nur die Augen und fing daraufhin einen Streit mit Eva an.
Währendessen las Maria, obwohl sie diesen Text kannte aufmerksam weiter und war in ihren eigenen Gedanken versunken.
Hr.Lucian, dem es nicht Recht war, dass beide jetzt schon in eine Diskusion verfielen, unterbrach das hitzige Gespräch mit den Worten: "Erstens es macht wohl einen Sinn, Ihre Gedanken zu dem Thema zu hören, denn Sie haben bestimmt in Pädagogik gelernt, wie wichtig Mündigkeit ist, sich eine eigene Meinung bilden zu können und von dieser auch Gebrauch zu machen, wenn nötig...aber um diese eigene Meinung wirklich bilden zu können, braucht man ja auch bekanntlich Wissen...ich denke das wissen Sie alle hier, die Sie hier sitzen. Und zu Eva, ich schätze ihren Glauben sehr, jedoch hat nicht der Herr mit der Erschaffung der Menschen auch nicht sich selbst ein Stück weit neu erschaffen?"
Nicht nur Eva musste aufhorchen, sondern diesmal war es auch Maria, die etwas verwundert über diese Worte den Lehrer anstarrte.
Einige schauten ihn auch etwas verblüfft an, einige andere eher immer noch etwas desinteressiert und schon über die nächste Pause am sinnieren.
Noch ehe jemand diesen gesagten Worten etwas entgegnen konnte, läutete die schrille Schulglocke und ließ einige der nachdenlichen Schülerinnen aufspringen.
Der Lehrer lächelte und beendete mit freundlichen Worten, in sich harmonisierend seinen Unterricht.
Als er ging, lief Eva nervös hinter ihm her. Wahrscheinlich wollte sie weiter mit ihm diskutieren.
Maria jedoch blieb still auf ihrem Platz sitzen. Sie rührte sich überhaupt nicht.
Warum auch? Mit seiner anhauchend, rhetorischen Frage hatte Hr. Lucian sie ein wenig in den Bann gezogen.
Hinter ihr schlug der Regen gegen die großen Fensterscheiben und riss sie etwas aus den Gedanken.
Gerade wollte sie aufstehen, als sie hörte wie Steffi mit anderen über Eva lästerte.
Eigentlich wollte sie sich da auch nicht einmischen, aber dann