Dunkelste Vergebung
Kapitel 2.
Ich war noch nie in meinem Leben bewusstlos gewesen. Doch mir gefiel diese absolute Ruhe. Keine Träume, keine Gedanken, nur pure, undurchsichtige Schwärze. Und deswegen wehrte ich mich mit allen meinen Sinnen gegen das leidige Erwachen. Ich drückte die kommenden Gedanken zurück, versuchte die sich steigernden Kopfschmerzen zu unterdrücken, doch nichts nützte etwas.
Schließlich gab ich es auf und öffnete vorsichtig die Augen.
Zuerst geblendet von dem grellen Licht, gewöhnte ich mich langsam an meine Umgebung. Es war eindeutig nicht mein Zimmer, denn meine Wände waren zartrosa, während diese hier weiß waren. Ein einziger Blumentopf schmückte das trostlose Zimmer, kühle, von mir so geliebte Brise wehte durch das offene Fenster hinein. Ich setzte mich auf und das Bett quietschte verräterisch.
„Bree?“
Mein Blick wanderte augenblicklich zu der Person, die sich verschlafen aus einem Sessel links von mir erhob. Ich war mir sicher, dass ich ihn nicht kannte und doch kam er mir so vertraut vor. Sein schwarzes, zerzaustes Haar, seine blase Haut, die Art, wie sich seine Lippen bewegten, als er mich sanft anlächelte.
Schweigend ließ ich zu, dass er sich zu mir auf das Bett setzte. Um ihn nicht zu kränken, entschied ich mich so zu tun, als wüsste ich wer er war. Er kann mir einfach nicht fremd sein, so vertraut wie er sich mir gegenüber verhält.
„Wo bin ich?“ fragte ich also und sah mich noch einmal um, als würden mir die kahlen Wände die Antwort verraten.
„Im Krankenhaus“ antwortete der Junge langsam.
Ungläubig sah ich ihn an. Wie bitte? Im Krankenhaus? Wieso? Ich versuchte mich zu erinnert, was passiert sein könnte, aber in meinem Kopf war nur Leere.
Als würde der Junge meine Gedanken lesen, fuhr er fort.
„Gestern Abend waren wir im Rogers Park wegen der Halloween-Party, die du veranstaltet hast.“ er blickte mich prüfend an, doch ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wovon er redete. Die Erinnerung schien wie ausgebrannt zu sein. „Du hast etwas zu viel Alkohol getrunken und ich habe dich hierher bringen müssen.“
Meine Augen weiteten sich. Unmöglich! Ich trinke sehr ungern Alkohol, das weiß ich, deswegen, was auch immer letzte Nacht passiert ist, an Alkohol lag es ganz bestimmt nicht. Doch noch bevor ich etwas erwidern konnte, legte er mir die Hände zu beiden Seiten auf meine Schläfen und zwang mich in seine Augen zu blicken. Pechschwarz.
Es war, als würde ich wieder ohnmächtig werden, den außer dieser Schwärze konnte ich nichts erkennen.
„Bree, weißt du wer ich bin?“ fragte er mich und zur meinem eigenen Erstaunen antwortete ich ohne zu zögern. Die richtigen Worte erschienen einfach in meinem Sinne.
„Eathan Parker“ ich stockte erstaunt, während die Worte unaufhaltsam aus meinem Mund sprudelten „Du gehst in die 11B auf der A.J. Dimond High School.“
Die Dunkelheit verschlang alle anderen Geräusche, sodass nur seine Stimme zu hören war.
„Richtig und gestern hast du zu viel getrunken, ich habe dich in die Klinik gebracht und die ganze Nacht hier über dich gewacht.“
Mit diesen Worten befreite er mich von der Dunkelheit und augenblicklich breitete sich Dankbarkeit in mir aus. Er hatte mir geholfen, er ist mein Freund, wie konnte ich nur an seinen Worten jemals gezweifelt haben.
Wir saßen eine Weile schweigend auf dem Bett, ehe die Tür aufging und Harvey, zusammen mit Ellie das Zimmer betraten.
„Guten Morgen“ trällerte Ellie und drückte mir Pralinen in die Hände „Dein Frühstück“
Ich lächelte und zog die Blondine an mich. Sie ist ein Schatz. Der Sonne nach zu urteilen war es noch recht früh am Morgen und sie hat bestimmt nicht genug geschlafen, aber trotzdem stand sie jetzt hier. Dann fiel mein Blick auf Harvey, der argwöhnisch Eathan musterte, ehe er sich mir zu wand.
„Wie geht es dir?“ fragte er leise und blickte mir in die Augen. Wie immer setzte mein Herzschlag einige Sekunden aus, doch dieses Mal lag es nicht an meinen Gefühlen für Harvey. Erschrocken starrte ich ihn an. Was ist mit seinen Augen passiert? Das sonst so helle Rehbraun, war plötzlich dunkler, fast schon Schokoladenbraun. Vielleicht bildete ich es mir mit der Farbe nur ein, aber die Emotionen, die ich immer in seinen Seelenspiegeln lesen konnte, waren definitiv verschwunden. Alles was ich sah, war Kälte.
„Alles bestens“ murmelte ich verwirrt. Er schien zu merken, dass etwas nicht stimmt und wandte sich schweigend von mir ab.
„So siehst du aber nicht aus!“ ergriff Ellie, meine Retterin, das Wort „Du hast unheimlich viel Glück, dass hier keine Spiegel angebracht sind, denn du kannst dir nicht vorstellen, was du uns gerade antust!“
Eathan unterdrückte ein Lachen und sogar Harvey musste schmunzeln. Ich dagegen fand es nicht besonders witzig und sah Elle aus großen Augen an.
„So schlimm?“ fragte ich und mit ihrem Nicken voller Mitleid schwand auch mein letztes Fünkchen Hoffnung. Dann klatschte Ellie voller Enthusiasmus in die Hände.
„Also, Jungs, raus jetzt!“ sie deutete auf die Tür „Bree muss wieder zu einem Menschen gemacht werden!“
Ich lächelte sie dankbar an, während sie mir zuzwinkerte und die Tür hinter Harvey und Eathan schloss.
Sobald diese in Schloss fiel, lief sie eilig auf mich zu, schnappte sich im Vorbeigehen ihre Handtasche und ließ sich auf mein Bett fallen.
„Hör mir jetzt genau zu“ fing sie an und überraschte mich mit ihrem plötzlichen Stimmungswandel. „Wahrscheinlich hat man es dir noch nicht gesagt, denn du musst dich erstmal ausruhen und Stress vermeiden, sagen die Ärzte“ - an dieser Stelle verdrehte Elle die Augen - „aber da ich deine beste Freundin bin, übernehme ich diese Aufgabe. Auf deiner Party ist etwas passiert. Etwas sehr schlimmes!“
Gespannt und erschrocken sah ich sie an.
„Milly St.-James ist umgebracht worden!“
Sekunden, die mir wie Stunden vorkamen, verstrichen ohne das ich etwas sagte. Insgeheim wartete, nein, hoffte ich, dass Ellie gleich anfängt zu grinsen und mich für meine Naivität auslacht, aber ihr Gesichtsausdruck blieb ernst und schließlich erlosch das kleine Licht der Hoffnung in mir.
„Wie? Wieso?“
Ich schluckte die Bitterkeit in mir aufsteigen. Milly St.-James, unsere kleine Streberin Milly, die mich immer abschreiben ließ. Die schwarzhaarige gute Seele, die jedem alles verziehen hat, auch mir meine unfairen Sticheleien in der Junior High School, als ich noch jung und ziemlich blöd war. Nicht sie... Sie kann nicht tot sein!
„Bree, gib dir nicht die Schuld dafür...“ meinte Elle, doch damit lag sie ganz daneben.
„Ich gebe mir nicht die Schuld!“ sagte ich und sah sie entsetzt an „Wieso auch? Ich habe damit nicht zu tun gehabt, aber...“
Ich blickte nachdenklich aus dem Fenster.
„Aber?“ hackte Ellie nach.
„Aber wer war es?“ fragte ich. Eigentlich dachte ich mir gerade, wer auch immer es war, es wird dafür bezahlen, auch wenn ich noch nicht genau weiß wie.
„Die Polizei ist schon eingeschaltet worden und ermittelt. Sie werden wohl auch dich befragen, denn bei mir waren sie schon...“
Ich nickte. Dann griff ich nach ihrer Tasche und holte aus der Seitentasche ein paar Schminke-Utensilien und einen Handspiegel heraus.
Während ich mich im Spiegel betrachtete, warf ich Ellie einen neugierigen Blick zu.
„Ellie, was ist gestern passiert? Ich will jede Einzelheit wissen!“
Als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich sie das Frage, setzte sie sich auf und sah mich ernst an.
„Erinnerst du dich, wie wir über Eathan geredet haben und du nicht wusstest wer er ist?“
Ich schüttelte den Kopf, woraufhin Ellie seufzte.
„Ist auch unwichtig. Im Endeffekt sind wir zu Eathan, der neben Charlie stand, gegangen und haben geredet, während Charlie dich anschmachtete...“ genervt verdrehte ich die Augen, was Ellie auch nicht entging, sie jedoch gekonnt ignorierte. „Bis Christopher und Harvey aufgetaucht sind. Ich war überrascht, weil du ja gesagt hast, die Beiden kommen nicht. Also bin ich Christopher begrüßen gegangen, während Harvey auf dich zuging. Na ja, dann war ich abgelenkt, du weißt schon Christopher und so, er hat mich übrigens umarmt. Plötzlich hörten wir Charlie panisch deinen Namen rufen und als wir uns umdrehten, warst du bewusstlos. Danach hörten wir einen Schrei, der sich als Millies herausstellte, wie mir später gesagt wurde, denn ich war zu dem Zeitpunkt schon mit Eathan und einer bewusstlosen Bree auf dem Weg in die Klinik.“
Nach dieser langen Rede, atmete Elle erstmal durch. Ich dachte währenddessen über das nach, was Elle mir berichtet hatte.
Wir verfielen in eine drückende Stille, als ich schließlich den Spiegel zurücklegte.
„Irgendetwas stimmt da nicht, Ellie! Was genau ist passiert bevor ich bewusstlos wurde? Versuch dich an jede Kleinigkeit zu erinnern!“
Sie sah mich voller Mitleid an und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht mehr, Bree, tut mir Leid...“
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
„Kann ich wieder rein?“
Harvey steckte seinen Kopf durch den Türspalt.
Ich nickte, woraufhin er mein Zimmer betrat. Wie auf Schritt folgte ihm Eathan.
„Deine Eltern sind hier, sie sprechen gerade mit dem Arzt“ berichtete mir Harvey.
Na endlich, dachte ich mir erleichtert.
„Und die Polizei war gerade da, aber sie kommen morgen wieder, weil...“ fing Eathan an, doch Harvey unterbrach ihn wütend.
„Hat dich jemand was gefragt? Was suchst du hier eigentlich?!“
„Harvey!“ riefen Ellie und ich empört, doch dieser ignorierte uns.
„Verschwinde! Sofort!“ zischte er in seinem Zorn Eathan zu.
Es war wie ein Blitz der mich traf. Sofort stockte mir der Atem, doch meine Gedanken schwirrten in doppelter Geschwindigkeit durch meinen Kopf. Bilder erschienen vor meinem inneren Auge und verschwanden wenige Sekunden später, jedoch sah ich keine Verbindung zwischen den Gedächtnisausschnitten. Mein