Revived

Revived

Marduk

Babylon – 950 v.C.


Die Palastmauern erstreckten sich über 100 Meter – und dennoch! Die Schreie und Rufe der Untertanen drangen bis an Nabus Ohren. Wie auch sonst, beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl, als er vor die Menge trat. Er war sich nie zur Genze sicher, ob sie ihn zujubelten, weil sie ihn mochten, oder er lediglich als ihr König fungierte. Trotzdem hatte er seine Pflichten zu erfüllen. Seine Diener und Soldaten lächelten ihm zu, als er an ihnen vorbeischritt. Sein Ziel war der Balkon, über welchem er mit seinen gesamten Untertanen sprechen konnte. Diese königliche Pflicht musste er einmal im Monat erfüllen. Seine Untertanen sollten wissen, dass es ihrem König gut ging, und er alles tat, um die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen in Babylonien zu verbessern. Heute hatte er ihnen allerdings nicht viel mitzuteilen. Babylonien und vor allem der Hauptstadt Babylon ging es gut. Die Händler erwirtschafteten einen großen Profit und die Soldaten bewachten die Stadtmauern mit großer Vorsicht. Nabu wollte ihnen lediglich einen schönen Tag wünschen und ihnen versprechen, weiterhin für ihr Wohlergehen zu sorgen. Obwohl er es nicht für möglich gehalten hatte wurde der Jubel noch größer, als er den Balkon betrat. Um für Ruhe zu sorgen, war es lediglich notwendig seine Arme zu heben und die Untertanen verstummten. Sie hatten Respekt vor ihrem König. In dieser Zeit war das eine große Ausnahme. Die meisten Könige reagierten ihre Länder mit eiserner Hand und schürften Angst unter den Leuten. Nabu verabscheute ein solches Regime. Seine Untertanen sollten frei leben und keine Angst vor ihm, oder irgendwelchen Feinden haben. Babylon war wahrscheinlich die stark bewachteste Stadt des Kontinents. Kein Feind hatte es bisher gewagt einzudringen. Auch die Kriminalität hielt sich in Grenzen. Nabu gab allen eine Chance, vorausgesetzt, sie hatten es verdient. Trotz seiner 14 Jahre hatte er das Talent für die Führung eines Landes, und war somit ägyptischen oder kanaänischen Königen, die manchmal mit selbigem Alter zum König ernannt wurden, eines voraus. Er dankte seinen Untertanen für ihr Vertrauen und versprach weiterhin sein bestes zu tun. Er redete weiter, traute aber bald seinen Augen nicht mehr. Mit jedem Wort, das er sprach verschwanden mehrere seiner Bürger. Kaum hatte er den letzten Satz beendet hatten sich seine Untertanen in Luft aufgelöst. Selbst seine Soldaten und Diener waren verschwunden. Das Bild um Nabu begann sich zu drehen und der König erwachte unsanft aus seinem Schlaf. Es dauerte etwas, bis er erkannte, dass sein Schlaf mit Absicht unterbrochen wurde. Jemand hatte ihn wachgerüttelt, und tat dies noch immer. Als derjenige erkannte, dass Nabu wieder bei Bewusstsein war, ließ er von ihm ab. Stattessen begann er mit wüsten Belehrungen. „Du hast wieder den ganzen Unterricht über geschlafen, nicht wahr?“, ermahnte ihn der Mann, der scheinbar Nabus Lehrer war. Nabu rang sich ein verschlafenes Lächeln ab. „Ich hab geträumt.“, erwiderte er gähnend. Das schien aber nicht die Antwort zu sein, die sein Lehrer erwartet hatte. „Ach Nabu, was soll ich nur mit dir anstellen?“, seufzte er. Nabu rang sich eine Entschuldigung ab, wie aber kaum ernst gemeint war. Adads Unterricht war einfach zum Einschlafen, daran ließ sich nichts ändern. Adad versuchte ja seinen Unterricht interessanter zu gestallten, doch Nabu war sehr anspruchsvoll. Für Adad war es einerseits eine Ehre den jungen, zukünftigen König auszubilden, andererseits eine Qual. Nabu hörte kaum zu und lernte nur bedingt. „Nabu, eines Tages wirst du der Herrscher über Babylon sein. Was glaubst du halten deine Untertanen von einem Herrscher, der nicht einmal die Geschichte des Landes wiedergeben kann?“, fuhr Adad seinen Schüler an. Nabu presste die Lippen zusammen. Er verschwieg Adad, was er geträumt hatte. Diesen Traum träumte er heute nicht zum Ersten Mal. Bereits seit er klein war, wurde ihm gesagt, dass er der nächste König sein würde. Damals hatte Nabu dies mit einem Nicken und einem Achselzucken entgegengenommen. Als er älter wurde, wurde ihm immer mehr die Verantwortung bewusst, der er sich eines Tages stellen musste. Im Moment regierte sein Onkel das Land, aber dieser würde nicht ewig leben. Wenn er starb, oder das Land aus irgendeinem Grund nicht mehr regieren konnte, war Nabu an der Reihe den Thron zu besteigen. Obwohl Adad es nicht glaubte, fühlte sich Nabu dazu bereit. Es mochte gut sein, dass ihn Adad Unterricht wenig interessierte, aber er begleitete seinen Onkel stets, wenn dieser wichtige Ansprachen hielt, oder nur einfache Bürger empfing. Sein Onkel war von Natur aus freundlich. Er empfing die Bürger jeglicher Schichten und hörte sich ihre Belange an. Meist waren es Bauern, die um etwas Hilfe bei der Feldarbeit baten. „Ich hoffe du hast ausgeschlafen, damit wir uns wieder dem Unterricht zuwenden können.“, meinte Adad nun streng. Nabu murmelte etwas von einverstanden, beschloss aber dennoch Adad nicht richtig zuzuhören. Sein Lehrer wendete sich wieder der Tafel zu und Nabu blickte in Richtung Fenster. Dann war er auf einmal hellwach. Er blickte zu Adad, welcher damit beschäftigt war, einige Sätze auf den großen Papyrus zu schreiben, der vor ihm hing. Nabu wollte seine Chance nutzen und abhauen. Nicht, dass er dies noch nie getan hätte, aber Adad wirkte diesmal noch verärgerter. Trotzdem! Nabu war sich sicher, wieder einzuschlafen, wenn Adad von seinen Vorfahren zu erzählen begann. In einem Unbemerkten Moment stand er auf und huschte wie ein Schatten zum Fenster. Adad bemerkte immer noch nichts von der vermeintlichen Flucht. Nabu kletterte lautlos auf den Sims und blickte nach unten. Der Raum, in dem sein Unterricht stattfand, lag in 100 Meter Höhe, doch diese ließ sich leicht umgehen. Er kletterte den schmalen Mauerrand entlang, bis er eine Vertiefung erreichte. Er sprang zirka einen Meter abwärts und landete auf einem breiten Balkon. Das Zimmer, das sich dahinter verbarg war die Bibliothek, in der Nabu ebenfalls geraume Zeit zubringen musste. Er schob die Vorhänge beiseite und betrat das Innere. Es war erst Morgen, und kein Mensch befand sie in der geräumigen Halle. Nabu konnte sie also unbemerkt durchqueren und auf den Gang hinaus huschen. Er lief die lange Treppe hinunter, stoppte aber kurz vor dem Eingang. Das einzige, was vor ihm und der Freiheit stand, waren die Palastwachen. Nabu überlegte fieberhaft, wie er dieses Hindernis meistern könnte. Das Haupttor, war der einzige Eingang in den Palast. Um Einbrecher oder Spione abzuwehren waren alle Fenster in mindestens 20 Meter Höhe angelegt worden. Nabu musste also an ihnen vorbei. Er hatte auch schon den einfachsten Plan. Den Prinzen von Babylon würden sie nicht einfach ohne Fragerei vorbeilassen, aber einen gewöhnlichen Stalljungen schon. Nabu musste nichts weiter tun, als sich eine passende Kluft zu suchen und seine Haare etwas zu zerzausen. Mit angehaltenem Atem marschierte er an den Wachen vorbei, welche ihm zwar überraschte Blicke zuwarfen, ihn aber nicht ansprachen. Als er den Palast hinter sich gelassen hatte, beschloss er seine Kleidung dennoch zu behalten. Ein Einwohner von Babylon würden ihm zwar nie Leid zufügen, dennoch wollte er nicht erkannt werden. Adad hatte sein Verschwinden inzwischen sicher bemerkt, doch Nabu wollte zumindest verschleiern, dass er sich aus dem Palast geschlichen hatte. Bei seiner Rückkehr würde er dann behaupten, in sein Zimmer zurückgegangen zu sein. „Oh, der junge Prinz! Heute ganz allein unterwegs?“, fragte nun plötzlich jemand. Nabu zuckte zusammen. Erschrocken blickte er sich nach allen Seiten um und erkannte eine Frau. Es handelte sich um Iddina, eine Verkäuferin, die allen möglichen Kram anbot. Nabu war ihr bereits öfters begegnet. „Wie…haben Sie mich erkannt?“, fragte er staunend. Iddina tat eine abwertende Handbewegung. Wer wäre ich den, wenn ich unseren Prinzen nicht erkennen würde?“, fragte sie fordernd. Nabu konnte zuerst nichts darauf erwidern. „Na, habt Ihr Euch wieder einmal aus dem Palast geschlichen?“, musste Iddina schon etwas kichern. Nabu kratzte sich verlegen am Kopf und nickte. „Ich verrate dich schon nicht, wenn jemand fragt.“, zwinkerte Iddina dem jungen Prinzen verschwörerisch zu. Nabu sprach ihr seinen Dank aus und wollte weitergehen. Iddina schien jedoch noch etwas Wichtiges sagen zu wollen. „Mein Prinz! Tut mir Leid, wenn folgendes Anmaßend klingt aber…jeder hat zwar das Recht frei zu sein, aber dennoch bleibt Ihr der Prinz. Ihr wolltet zumindest die Wachen bei Euch haben. Wenn Euch etwas zustößt, wer soll dann eines Tages…“, versuchte Iddina die richtigen Worte zu finden. Zuerst reagierte Nabu etwas geschockt, dann lächelte er ihr aber dankbar zu. „Deine Angst schmeichelt dir, aber ich kann auf mich aufpassen. Außerdem ist Babylon eine der sichersten Städte der Welt, weswegen kein Grund zur Sorge besteht.“, beruhigte sie der Prinz schnell. Obwohl Iddina nickte, spürte Nabu, dass sie noch immer Zweifel verspürte. Er beschloss sie jedoch damit allein zu lassen und weiter zu ziehen. Zu viel Zeit wollte er nicht opfern. Je mehr Zeit verstrich, umso wütender würde Adad auf ihn sein. Eines wollte Nabu aber noch unbedingt. Das Leben im Palast war sehr einsam und die Anzahl seiner Freunde beschränkte sich auf Adad und seinen Onkel. Und natürlich Naid. Naid lebte allerdings jeder im Palast, noch in dessen Umgebung. Es musste nun zwei Jahre her sein, als Naid mit seinem Vater, einem Bauern den königlichen Ratsaal aufsuchte. Naid hielt sich zurück, während sein Vater mit Nabus Onkel sprach. Er war mit den Ernten in Verzug geraten und erbat mehr Zeit. Normalerweise war Nabus Onkel in solchen Angelegenheiten gütig und ging gern auf die Belangen seiner Bürger ein. Heute schien er allerdings einen schlechteren Tag erwischt zu haben. Zuerst fuhr er Naids Vater an, doch
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