Schattennacht
Entscheidungen
Behutsam schlug die junge Frau ihre müden Augenlider auf, schloss sie für einen kurzen Augenblick wieder, um sich den verbleibenden Schlaf sanft mit den Ballen ihrer Hände aus ihren hasselnussbraunen Augen zu wischen, setzte sich schließlich nach ausgiebigem Strecken auf und erstarrte, als sie ihre Umgebung das erste Mal seit ihrem Aufwachen bewusst wahrnahm: während ihre vorsichtig tastenden Hände die weiche, trockene Oberfläche des Mooses erkannten, erblickten ihre suchenden Augen einen ihr unbekannten Teil eines altehrwürdigen, dichten, dunklen Laubwaldes, auf einer seiner Lichtungen sie sich befand. Durch die in den schwindelerregenden Höhen des Firmamentes verschwimmenden Kronen der Bäume brach ein einzelner, wärmender Strahl reinsten Sonnenlichtes hervor und erhellte einen im Zentrum der Lichtung wachsenden Rosenbusch, dessen Zweige sich wie im Tanze umgarnend gen der Sonne rankten, um im spielenden Licht den einzigen Kontrast zur düsteren Glorie der dicht aneinandergereihten Eichenbäume zu bieten.
Verwundert beobachtete ebenjene schwarzhaarige Frau das sichtbare Erblühen des Rosenbusches im Licht der Sonne und näherte sich langsam dem Schauspiel der Natur, bis sie das warme Sonnenlicht erreichte, das in jede Pore ihres Körpers eindrang, um ihr Herz zu erwärmen, das, den herrlich blühenden roten Blütenblättern gleich, mit einem Gefühl der tiefen Zufriedenheit anzuschwellen schien. Mit einem lautlosen Lächeln schloss sie ihre Augen und vergaß für eine Sekunde in der Ewigkeit den Sinn ihrer selbst, sodass das Bild des stetig wachsenden Rosenbusches vor ihrem inneren Auge erblühte, das Bild zweier Fäden, miteinander verbunden bis in die fernen Regionen der höchsten Berge wachsend, sich umgarnend und doch niemals berührend, doch plötzlich verblasste das satte Blau des eines Zweiges und hinterließ nichts als ein schwächlich pulsierendes Rot inmitten der Schwärze ihres inneren Auges.
Hastig riss die junge Frau ihre Augen auf, als das warme Gefühl der Zuneigung wie das Wasser des Flusses des Vergessens aus ihrem Körper zu sickern schien, um den verblassenden Rosenbusch zu bewässern, und sie mit einer seelenlosen, kalten Leere inmitten eines schwarzen Raumes, dessen undurchdringlichen Wände bedrohlich von allen Seiten auf sie eindrangen, füllte, die sie vor Verzweiflung erschaudern ließ, da sie nicht wusste, wie sie an diesen dunklen Ort gekommen war; doch während sie versuchte, sich daran zu erinnern, bemerkte sie zum ersten Mal, dass sie sich nicht erinnern konnte, wie sie auf jene sonnenüberflutete Lichtung gelangt war, doch wusste sie nun, dass irgendetwas, das sie nicht zu fassen in der Lage schien, nicht stimmig war.
Langsam schloss die junge Frau ihre Augen, um sich von der unerträglichen Stille der Dunkelheit abzulenken, und versuchte, sich die Ereignisse des letzten Tages in Erinnerung zu rufen, ihre Zeit der Einsamkeit auf jenem harten, kalten Stein, ihre vom ersten Schnee des Winters forcierte Selbsterkenntnis, das stolze Lächeln ihres Meisters, das eine lichterlohe Flamme vor ihrem inneren Auge entbrennen ließ, die ihr Blut, das vor unerklärlicher Wärme wallte, in einen siedenden Feuerfluss verwandelte, der die schwächlich leuchtende Glut ihres Herzens entzündete, sodass das gefährlich züngelnde Feuer in ihrem Herzen den feuerspeienden Fluss ihres Blutes in jede Pore ihres Wesens trieb, und ihren vor winterlicher Kälte frierenden Körper erwärmte; und dann erkannte sie: wie konnte sie auf einer warmen, sonnendurchfluteten Lichtung sein, wenn der erste Schnee des Winters gefallen war?
Noch während ihr Verstand die erlangte Erkenntnis zu verarbeiten versuchte, glaubte der schwarzhaarige Lehrling, das ferne Trappeln tausender eisenbeschlagener Pferdehufe zu vernehmen, und drehte ihren Kopf, sodass ihre geschlossenen Augen in die tiefe Schwärze des Raumes blickten und dort für einen erschreckenden Augenblick die turmhohen Zinnen einer ihr unbekannten, von geschichtslosen Rittern belagerten Stadt zu sehen glaubten, bis sie ihre Augen ein drittes Mal vor Schreck öffnete und damit den Zauber ihres Traumes endgültig brach.
Verwirrt starrte Akane an die hölzerne Decke eines ihr unbekannten Raumes, bevor sie schläfrig gähnte, sich sinnlich streckte, und sich schließlich gemütlich aufsetzte, ihren Rücken gegen das hölzerne Ende des mit Stroh gefüllten Bettes, in dem sie geschlafen hatte, gelehnt. Ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper, als sie spürte, wie die warme Wolldecke von ihrem Körper rutschte, einen braunen Mantel offenbarend, der das weiße Kleid, das sie so gerne trug, nicht gänzlich bedeckte, da er nicht zugeknöpft war, während sie sich in dem fremden Zimmer umsah. Die von hölzernen Regalen voller fremdartiger Bücher gezierten Steinwände des Zimmers wurden nur von einem gläsernen Fenster, das den Blick auf den zugefrorenen See, dessen Eisschicht mit im Licht der spärlich durch die dichte Wolkendecke hervorblitzenden, aufgehenden Sonne glitzernden Pulverschnee bedeckt war, offen legte, und einer dicken, einen Spalt weit geöffneten Holztüre unterbrochen, durch die die fremde Stimme einer Frau in das Zimmer hereindrang.
Während ihr verschlafener Verstand versuchte, all die Reize, die auf die junge Frau einstürzten, zu verstehen, Realität von Traum zu trennen, nahm ein verschwommener Gedanke in den Tiefen ihres Seins festere Konturen an, und obwohl sie nicht wusste, warum, kämpfte sie mit aller Kraft gegen die Erinnerung des Vortages an, die jedoch, geschürt durch das Feuer in ihrem Herzen, den sinnlosen Kampf gewann, und sich das Gehör der jungen Frau verschaffte. Deutlicher und deutlicher, doch zugleich mit jedem Versuch des genauen Erkennens verschwommener, einem in allen Farben des sichtbaren Spektrums erstrahlenden Regenbogen gleich, der so nah schien, und doch niemals erreichbar sein würde, erinnerte sich Akane an den sanften Kuss, den sie ihrem Meister gegeben hatte, und errötete, obgleich nicht gänzlich sicher, ob nicht geträumt, bis unter ihre Haarspitzen.
„Tut mir schrecklich Leid, der Herr, aber Meister Ranma residiert momentan nicht hier“, rissen die leisen, vergnügten Töne einer unverkennbar weiblichen Stimme die junge Frau aus ihren verwirrenden Gedanken. Neugierig, da sie Ranma noch nie von einer anderen Frau hatte sprechen hören, stieg sie aus dem weichen Bett und schlich lautlos zur angelehnten Türe, sodass sie hindurchspitzen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Der Anblick, der sich Akane bot, war jedoch so befremdlich, dass sie beinahe aufkeuchte und anschließend ein Knurren unterdrücken musste, indem sie sich auf ihren Zeigefinger biss: vor der dicken Holztüre der Hütte sah die junge Frau das grobschlächtige, vernarbte Gesicht eines beeindruckend großen und muskulösen Ritters, dessen Körper gänzlich in einer silbern glänzenden Rüstung verborgen war, an deren Seite eine braune, lederne Scheide hing, die auf ein enormes, einhändiges Schwert andeutete, und dessen schulterlanges, verdrecktes braunes Haar lose von seinem Kopf, der nur sichtbar war, da der Ritter seinen Topfhelm abgenommen hatte und ihn nun in der Hand hielt, hinab fiel; doch es war nicht der Anblick des mächtigen Ritters, der der jungen Frau eiserne Ketten um ihren Brustkorb legte, sodass das Atmen beschwerlich anstrengend wurde, und giftige Pfeile in ihr Herz schoss, die ihren Verstand zu vernebeln drohten, nein, es war der Anblick der jungen Frau, die in der Türschwelle des Hauses stand, der Akane jene verletzenden Gefühle vermittelte.
Das lange, volle, rötliche, kastanienbraune Haar der jungen Frau, das wie eine Kaskade von ihren zarten, schmalen Schultern fiel, bedeckte das sattblaue Oberkleid, das lose, doch fest über ihren Schultern hing, bis zu ihren betont weiblichen Hüften, an denen sich das Oberkleid nach vorne öffnete, um das weiße, bis zu ihren geschmeidigen Knöcheln reichende Unterkleid zu offenbaren, das ebengleich die nackte Haut ihrer Arme bis zu den Ellbogen bedeckte, von denen ebenso weiße, seidene Handschuhe den restlichen Arm und ihre Hände mit weichem Stoff überzogen. Die junge Frau war von solch unübertroffener Schönheit, dass Akane sich wunderte, wie der Ritter es vermochte, ihrem Charme nicht sofort zu unterliegen, da selbst sie ihre Augen nicht von ihr richten konnte, und so die leise gegrummelte Antwort des Mannes nicht zu vernehmen im Stande war.
„Nein, der Herr“, antwortete die verlockende Frau mit einem schmeichlerischen Lächeln, „das hier ist nur eines der vielen Besitztümer meines Herrn. Ich weiß leider nicht, in welchem seiner Besitze er sich momentan aufhält, aber der Herr kann gerne hier auf ihn warten, wenn er möchte.“
„Nein“, brummte der Mann in seiner tiefen Stimme und drehte sich abrupt um. „Meine Männer und ich reiten sofort weiter. Wir müssen unserem Lehnherren Bericht erstatten. Sag deinem Meister, dass wir hier waren.“
„Aber natürlich, der Herr“, versicherte sie ihm und folgte seiner riesigen Gestalt durch die Türe, die sie sofort hinter sich schloss. „Wenn der Herr erlauben möge, begleitet ihn meine Wenigkeit bis zur Grenze des Waldes.“
Langsam schlich Akane zurück zum Bett und ließ sich auf das weiche Stroh fallen, während ihr Verstand raste und ihr Herz schmerzhaft schnell schlug. Tausende Fragen schossen durch ihren Kopf, Fragen, warum sie in seinem Bett schlief, wo er war, wer sie war, und obwohl sie wusste, dass es nicht ihre Angelegenheit war, dass sie es sich nicht erlauben durfte, ihrem Meister zu sagen, zu erklären, oder gar zu verbieten, dass sie keine Gefühle für ihn hegen durfte, sie, die sie nur durch seine Gnade und Gutmütigkeit sein Lehrling sein konnte, und doch drohte ihr Herz bei dem Gedanken, dass er sich mit dieser Frau vergnügte, in hunderte Stücke auseinanderzubrechen. Wütend hieb die junge Frau gegen das weiche Kissen, um kurz darauf ihr Gesicht in