Schattennacht

Buch mit sieben Siegeln

Betäubend breitete sich die scheinbare Stille der späten Stunde wie ein verzauberter Vorhang über die klaffende Kluft zwischen den beiden jungen Erwachsenen aus, dessen purpurner, seidener Stoff neckisch im nichtexistenten Strom des Windes wehte, sodass sie einander nur in jenen verschwommenen, verschwindend geringen Augenblicken erblicken konnten, da die freudige Fügung des Schicksals es ihnen gestattete, während das sanfte Rascheln der aneinander reibenden Seide ihnen die verführerische Illusion gab, den geflüsterten, geflügelten Worten ihres Gegenüber zu lauschen, die auf den lautlosen Schwingen des Windes zu reiten schienen, ohne ihnen aber zu überbringen, aus welchem Quell die melodischen Töne entsprangen.

Jenes leise Rascheln des purpurnen Vorhanges, nicht mehr als das kecke Knistern des verbrennenden Abendmahles der züngelnden Flammen, deren heller Schein tanzende Schatten an die beiden Wände der verheerenden Kluft zwischen dem Zauberer und seinem Lehrling warf, war der einzige Trost in der Stille des Seins, wurde jedoch, gespeist durch den aufkommenden, böigen Wind, einem Sturm gleich, stetig intensiver und geräuschvoller, bis der seidene Purpur mit einem Mal hinfort wehte, die Masken, hinter denen sich alle Lebewesen verbergen, von den Gesichtern hinabreißend, das bloße, verwundbare Selbst offenbarend, und fachte die ohnehin munter züngelnden Flammen weiter an, dass ein reges Inferno im kleinen Kamin der stillen Holzhütte brannte.

In diesem lodernden Flammenmeer trafen sich die zwei Blicke der jungen Erwachsenen, die zwar versuchten, sich auszuweichen, doch zugleich von den Feuern in den Augen ihres Gegenüber, die mit gleicher, unzähmbarer Wildheit, aber aus verschiedenen Gründen brannten, das eine als Abwehr vor Zurückweisung, als Abwehr vor Verlangen, dem eigenen wie dem fremden, das andere als animalische Begierde der Liebe, magisch angezogen wurden, während sich das Schweigen, vollkommener denn je, druckvoll auf die Ohren der Gegenspieler legte, eine gläserne Barriere aufbaute, die es nicht zu entfernen, sondern zu durchbrechen galt, da sie den beiden qualvoll langsam die lebensnotwendige Luft entzog, und schließlich so laut wurde, dass die junge Frau sich gezwungen sah, ihre sich rasend schnell drehenden Gedanken zu ordnen, ihre in das Feuer starrenden Augen zu schließen, und sich zu räuspern.

Das unscheinbare, leise, beinahe unhörbare Summen, das, durch das Vibrieren ihrer Stimmbänder entstanden, aus ihren geschlossenen, rubinroten Lippen drang, versetzte erst die Luft, dann das Glas in Schwingungen, bis es so stark mit ihrem Ton schwang, dass es in abertausende Stücke zersprang, die den nur für einen Wimpernschlag hinfort gewehten Vorhang zerrissen, den Blick auf ihren vollkommenen Mann vollständig freigaben, ihn im Licht des lodernden Infernos gegen die undurchdringbare Schwärze der Nacht wie einen schwarzen, falschen Propheten in den Feuern der Hölle hervorstechen ließen, und letztlich die Kluft zwischen ihnen zum Einbrechen bewegte, sodass die fallenden Gesteinsbrocken eine sichere Brücke zwischen ihnen bildeten, auf der sie sich ihm näherte.

„Du bist also?“, reichte sie ihm durch ihre Worte die Hand, um ihn sicheren Schrittes über die sich zwischen ihnen gebildete und zerbrochene Kluft zu ihr zu führen, die er dankbar annahm, indem er ihre ungestellte Frage beantwortete.

„Der Krieg, ja“, bestätigte er ihr nickend, erhob sich langsam aus seinem Stuhl, um seine kalten Finger am Feuer zu erwärmen, und drehte sich nach wenigen Augenblicken mit gehobenen Augenbrauen wieder ihr zu. „Ich bin beeindruckt: Du hast sehr schnell gelernt, deine Aura zu kontrollieren. Ich weiß nicht, was gerade in dir vorgeht, kann mir aber denken, dass du tausende Fragen hast.“

Langsam tat es die junge Frau dem Zauberer gleich, erhob sich von ihrem Stuhl, all das, was während des Besuches des Fremden nicht existiert zu haben gewesen schien, wahrnehmend, die knisternden Holzscheite im Licht spendenden und wärmenden Feuer, das Heulen des tobenden Sturmes, der die Zweige der altehrwürdigen Eichenbäume gegen die Fensterscheiben schlagen ließ, der einsetzende Regen, der gegen dieselben Fensterscheiben prasselte, um von ihnen, genau wie die längst versiegten Tränen an ihren Wangen hinabgewandert waren, an dem Glas herab zu fließen, all das, was ihr während des Besuches des Fremden verwehrt gewesen war, fühlend, die grenzenlose Zuneigung, Liebe, geschürt durch das wohltuende Feuer in ihrem Herzen, das ihren Körper bis in die Fingerspitzen erwärmte und ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte, wann immer sie ihn sah, und das Vertrauen, das sie ihm schenkte, und schüttelte ihren Kopf.

„Nein“, sagte sie und trat mit einem langen Schritt an seine Seite. „Im Moment habe ich nur eine einzige Frage: Ändert das irgendwas? Ändert es deine Person, wer du bist, was du zu tun hast? Ändert es deine Gefühle? Ändert es dich? Ändert es irgendwas?“

Noch während die junge Frau ihm diese Fragen stellte, verstand er, was sie ihm damit sagen wollte, und öffnete mit einem Lächeln, das sie mehr wärmte, als es irgendein Feuer je zu tun vermochte, seine Arme, sodass sie ihren Körper an den Stoff seines Hemdes schmiegen und die Umarmung genießen konnte. Für einen einzigen Wimpernschlag in der Unendlichkeit des Seins standen die beiden in dieser wärmenden Umarmung und nahmen nichts außer der Präsenz ihres Partners wahr, die ruhige Zweisamkeit vor dem drohenden Sturm zelebrierend, als wäre sie die einzig sichere Insel inmitten des tobenden Meeres ihrer Gefühle.

„Und wenn du der Teufel persönlich wärst“, hauchte sie in sein Ohr und beendete damit die stille Konversation zwischen den beiden, bevor sie sich widerwillig aus der Umarmung löste und ihn fragend anblickte. „Aber wie und was und warum?“

Für einen kurzen Augenblick, in dem er verzweifelt einen Ausweg aus seiner prekären Lage zu finden suchte, zögerte der schwarzhaarige Mann, jene grauenhafte Geschichte zu wiederholen, deren Worte nicht von menschlichem Ohr gehört werden sollten, doch erkannte alsbald nicht nur das züngelnde Feuer in den Augen seines Lehrlings, das seine schmeichelnden Worte würde verbrennen, bevor sie auch nur seinen Mund verlassen hätten, sondern auch, dass er ihr, die er sie unwissentlich und ungewollt in seinen Krieg hineingezogen hatte, eine Erklärung schuldig war, und bedeutete ihr mit einem resignierenden, wenngleich belustigten Seufzen, sich auf den Stuhl niederzulassen, während er für einen kurzen Moment den Raum verließ, um Sekunden später mit einem verschlossenen Buch in seinen Händen in den Wohnraum zurückzukehren.

„Vor langer, langer Zeit“, erzählte er ihr mit beinahe unhörbar leiser Stimme und streichelte sanft über den ledernen, mit für die junge Frau unverständlichen Symbolen und Bildern reich geschmückten Buchrücken, „saßen meine Brüder und ich hoch oben am Firmament an den vier Enden der Welt und beobachteten das rege Treiben der Lebewesen, nährten uns von den natürlichen Geschehnissen, denen die Lebewesen oblagen, dem Tod, dem Krieg, in welcher Form auch immer er begann, der Eroberung, und dem Hunger, sahen das Aufkommen der Menschen, das Kommen von Göttern, deren Untergang, und gingen unseren eigenen Interessen nach, ohne in den Lauf der Dinge einzugreifen.“

„Warte“, unterbrach ihn die junge Frau aufgebracht, sodass er das erste Mal, seitdem er sich mit seinem verschlossenen Buch ihr gegenüber auf den Stuhl gesetzt hatte, zu ihr aufblickte und lächelnd ihren verwirrten und ungläubigen Gesichtsausdruck erkannte, sodass er sein Buch auf den nahestehenden Tisch legte. „Du bist wie alt? Und, warte, du bist unsterblich? Und wie bist du entstanden, wenn es du doch schon immer existierst?“

„Geboren wurde ich vor sechzehn Jahren“, antwortete er ihrer ersten Frage mit einem neckischen Grinsen, doch fuhr sogleich fort, um ihr zu erklären, was er meinte, „und dennoch bin ich so alt wie das Leben selbst. Das, was du von mir siehst, ist nur ein Schatten meiner selbst, eine Form, mit der ich auf der Erde zwischen den Menschen verweilen kann, während der Krieg noch immer am östlichen Ende der Welt verweilt. Dieser Körper kann sterben, doch werde ich, sobald ich sterbe, in einer anderen Form geboren, um meine eigenen Interessen vertreten zu können. Demnach muss ich auch deine nächste Frage mit ja und nein zugleich beantworten: ja, ich bin unsterblich, aber nein, ich kann sterben und werde dies auch, wenn das Leben und damit der Krieg selbst stirbt.“

„Aber das erklärt noch immer nicht, wie du entstanden bist!“, stammelte sie, ihre edlen Züge in ihren Handflächen vergrabend in dem aussichtslosen Versuch, den aberwitzigen Kurs, den ihr Leben, ihre Liebe nahm, zu verstehen, ihr unterbewusstes Verständnis verdrängen wollend, dass sie, ein einfacher Mensch, in den Windungen des Schicksals keinen Trost zu finden vermochte, doch entschlossen, das Schlachtfeld ihres Herzens nicht ohne einen Kampf verloren zu geben.

„Tief im Unterbewusstsein eines jeden Lebewesens liegt das Verlangen nach Konflikt, die Liebe zum Krieg“, erklärte er der zum Widerspruch ansetzenden Frau, während er seinen Finger erhob, um ihr Ruhe zu gebieten. „Schau auf die Geschichte der Menschheit, bevor du mir widersprichst! Ist es eine Geschichte des Friedens oder eine Geschichte des Krieges? In jeder Sekunde seines Lebens arbeitet der Mensch auf einen Konflikt hin, um sich selbst beweisen zu können, um als Sieger über dem Besiegten zu thronen, um zu beeindrucken, um zu lieben, oder aus welchem Grund auch immer. Der Mensch sehnt sich nach Konflikten und so tut es jedes Lebewesen. Aus diesem Wunsch, aus diesem Verlangen aller Lebewesen seit der ersten Sekunde ihrer Existenz bin ich entstanden und so auch meine Brüder.“

„Aber das kann nicht wahr sein“, versuchte sie ihm zu
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