Mitternachtstanz
Auf der Suche nach Menschlichkeit...
Jede Sünde straft der Herr...
Mitternachtstanz
1. Kapitel - Jede Sünde straft der Herr…
Sanfte Tropfen fielen aus der Dunkelheit in die Tiefe und die harte Erde unter meinen nackten Füßen war mit der Zeit weich geworden. Ich bemerkte wie die Nässe ebenfalls durch meine Haare drang und der kalte Regen es in flüssiges Silber wandelte. Es war spät in der Nacht und das Licht auf den Straßen des kleinen Dorfes, dem ich mich langsam näherte längst erloschen. Selbst das Feuer in den Laternen musste sich dieser Laune des Wetters fügen und seine lodernde Kraft versagte zunehmend.
So huschte ich leise durch die Straßen und hielt mich verborgen hinter einer Mauer und erhaschte einen Blick vorbei an der Ecke, auf ein kleines Haus, das hier stand. Die Fenster waren aufgrund der kalten Witterung von innen beschlagen, während ich mühelos erkennen konnte, wie aus einem der Fenster ein schwaches Licht durch abertausende von kleine Wassertropfen drang, die sich von außen ihren Weg über die Scheibe bannten.
Ich konnte sie bereits hören. Ihre Stimmen, wie sie sich unterhielten, auch wenn es lediglich selbst für ein Gehör wie meins nach einem Flüstern klang. Über meinem Kopf flackerte schwach das letzte Licht einer Laterne, das soeben zusammen mit dem lichteren Schattenspiel auf dem Boden um meine Füße herum erstarb. Gar geräuschlos, mit federleichten Schritten bekleidet, kam ich an mein Ziel.
„Tsukune, sieh doch, wie wunderschön sie ist.“, sprach eine hohe, mädchenhafte Stimme.
„Es ist für mich unbedeutend, was der alte Mann davon halten wird.“
Ein Geräusch. Ein Seufzen, das durch eine Bewegung von knarrendem Holz unterspielt wurde.
„Zu schön um in ehrlichen Besitz von jemanden wie uns zu sein. Insbesondere von dir. Bring es dorthin zurück, von wo auch immer du entwendet hast, bevor man dich dafür straft.“
„Das ist nicht nötig. Da es keinem aus dem Dorf gehört, wird es auch niemand missen.“
'Niemand!?'
Erzürnt schluckte ich nach Luft, bevor ich meinen Kopf ein wenig zur Seite neigte und so einen schummrigen Blick durch das Fenster wagte. Die einzige Lichtquelle war eine brennende Kerze auf dem kleinen hölzernen Nachtisch, direkt am Fußende des Einzelbettes. Und im hellen Kerzenschein erspähte ich ihre zierliche Gestalt, direkt auf der gegenüberliegenden Seite auf einen Stuhl sitzend, das Gesicht auf die kleine, goldene Kostbarkeit in ihren Händen gerichtet.
‚Armes, dummes Mädchen! Wie gerne würde ich mir eine Strafe einfallen lassen, die dir den Schmerz des Verlustes und Wertschätzung lehrt.‘
„Dummes Mädchen. Was redest du denn für einen wirren Kram? Wo hast du sie her?“
Überrascht und fasziniert horchte ich auch einmal mehr der jugendhaften Stimme des Jungen, in der Ton und Wortwahl abstrakt fremd übereinander lagen.
„Aus einem Schlafsaal des verlassenen Schlosses.“
„Schloss? Das Schloss?“, fragte der Junge mit plötzlicher Neugier und hatte sich aus seinem Bett aufgerichtet.
„Ja. Dein geliebtes Schloss…“, säuselte das junge Mädchen, während sie sich aus dem Stuhl erhob und aus meinen Sichtfeld verschwand.
Es verging nur wenig Zeit, in der der Junge namens Tsukune interessiert auf die diebische Errungenschaft starrte, bis er sie in seine Hand nahm und genauer in Augenschein nahm.
„Weshalb stahl meine Schwester eine… alte und einfache, kleine…“
Seine Finger strichen sanft über die vielen feinen Gravierungen, während es so aussah als würde er versuchen sich einen Reim aus ihnen zu machen. Mit tastenden Fingern erkundete er das Accessoire und drehte es behutsam in einer Hand, als sich plötzlich ein Mechanismus löste, der das wertvolle Fundstück in seinen Händen öffnete.
„…Schmuckschatulle…?“
‚Niemals war das eine einfache Schmuckschatulle. Keineswegs, unwissender Mensch.‘
Erneut atmete ich tief aus, mein Rücken berührte die kalte und nasse Hauswand und ich schloss meine Augen. Ich horchte dem quälenden Ätzen der kleinen Schraube, einem Geräusch der Vertrautheit. Das raue Knacken des Mechanismus, nicht weniger als eine Erinnerung an eine längst vergangene Zeit, derer schaurig süßen Melodie ich innig lauschte…
~°~°~°~°~°~
Usuyami ni hikaru yokoshima na ake no hoshi
Kurokami no otome warau fuson ni
Nejireta omoi daite
Nai mono nedari no koe
Namida wa sasou "Kochira ni oide..."
~°~°~°~°~°~
Der Melancholie, einem Gefühl so alt wie die Ewigkeit selbst, entweichend, wandte ich meine Aufmerksamkeit ein weites Mal dem, weiterhin auf seinem Bett sitzenden Jungen und den, in seinen Händen haltenden, wertvollen Gegenstand zu.
„Eine Spieluhr?“, stellte er fest und schreckte im darauffolgenden Moment auf.
Ein missachtendes Knurren gen den in Dunkelheit getauchten Nachthimmel drang aus meinen Hals an die Oberfläche, als ein grelles Licht den Himmel durchbrach und das Fenster für einen kurzen Augenblick erhellte. Doch das Unwetter war noch fern. Die Melodie war mit einen klappenden Geräusch verklungen und für einen minimalen Moment des Verdachtes packte mich der Fluchtinstinkt.
Entsetzen lag in zwei Augenpaaren - die seinen und meine Seelenspiegel - welche unumwunden sich anstarrten.
‚Weiß er, dass ich da bin?‘
Nein. Ich konnte erkennen, wie sein Blick ohne einen Fixierpunkt verloren ging. Und dennoch wusste ich… Er hatte mich gesehen.
Ferner spürte ich die zornige Gewalt der Natur. Ein dumpfes Donnergrollen, welches Kund davon tat.
„Bring sie zurück! Du wirst sie zurückbringen!“, rief der junge Tsukune mit bebender Stimme.
Dabei war er hektisch aus seinem Bett gesprungen und schien anbei um klare Gedanken bemüht. Abwechselnd sah er umher. Von dem Fenster, an dem ich stand, zu seiner Schwester, die soeben zurück in den Raum gekehrt war und wieder raus, in die mich umgebende Dunkelheit.
„Wieso bist du nur so erpicht darauf?“
Das junge Mädchen klang wütend. Sie war merkbar frustriert von den ständigen Belehrungen des anderen, was ihn lediglich seufzen ließ.
„Weil dieser Gegenstand nicht dir gehört, Shiana. Und weder Claude noch ich werden dich als eine Diebin im Haus dulden. Zudem hattest du in dem Schloss nichts zu suchen. Wie kommst du überhaupt nur immer wieder auf solch kuriosen Ideen?“, tadelte er das jüngere Mädchen.
„Es geht dir also um den Ort, an dem ich war? Dem Schloss und nichts anderes, habe ich Recht?“
Mit Spot in Stimme und Augen trat sie mit wenigen Schritten an ihren Bruder ran. Auf ihren Lippen zeichnete sich ein leicht süffisantes Lächeln, während sie mit ihrer rechten Hand nach der alten Spieluhr in Tsukunes hütenden Händen griff.
„Sag, glaubst du wirklich an diese Mär?“, fragte Shiana, strich sich beiläufig mit einer Hand einige Strähnen ihres langen, schwarzen Haares hinter das linke Ohr.
„An diese gottlosen Geschichten und ihre genauso gottlosen Kreaturen? An nichts weitere als… ein paar dumme Hirngespenste?“
‚Was ist damit gemeint. Gottlos…?‘
Getrieben von Neugier und Wissbegierde trat ich einen Schritt zur Seite, zugleich aber auch einen näher und stellte mich rücklings gegen die mauernde Hauswand, sodass ich parallel einen Einblick durch die Scheibe erspähen konnte. Mein anschließender Blick gen den dunkeln Himmel gerichtet war nur von kurzer Dauer, während mir unzählige, kleine Wassertropfen ins Gesicht fielen. Abermals erhellte sich das Himmelszelt, doch dessen ungeachtet und dieses Mal unter der schützenden Obhut der Unsichtbarkeit, galt meine Aufmerksamkeit allein den zwei jungen Menschen. Nachdem sein beunruhigender blick wiederholt meiner Richtung gewidmet war, schüttelte der Junge resigniert seinen Kopf.
„Du scheinst zu vergessen, Shiana. Doch diese Mär…“
Ein bitteres Lächeln legte sich auf seine Lippen, worauf er sie verzerrt öffnete und kaum merkbar, mit seinem Zeigefinger, auf die rechte Hälfte seines Mundwerkes deutete. Diese jedoch, mir von Sinn freie Geste ließ mich ratlos und ich konnte nichts besonders auffallendes oder außergewöhnliches dadurch erkennen.
„Sie ist in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig. Und umso mehr ist sie es für mich.“
Ohne den Aufstand einer Gegenhaltung senkte das Mädchen ihren Kopf, die Süffisanz war aus ihrem hübschen Gesicht gewichen und ihr Blick ruhte auf dem kleinen, silbernen und kreuzsymbolischen Anhänger in ihrer Handinnenfläche, nachdem sie nach dessen Band um ihren schlanken Hals gegriffen hatte.
„Wirst du es ihm sagen?“
„Wenn du zur Abwechslung mal auf mich hören und sie zurückbringen wirst, nein.“, antwortete ihr älterer Bruder und ein leicht triumphierender Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht geschlichen.
„Claude wird nichts davon erfahren.“
Das Knirschen von Holz war zu hören, als Tsukune, begleitet von einem herzhaften Gähnen und einem schwachem, zustimmendem Kopfnicken, sich auf das Bett zurückfallen ließ. Behutsam sanken seine Lider und ein erschöpftes Seufzen stahl sich aus seinen Mund, während die, um den Anhänger geschlossene Hand seiner Schwester sich grazil bewegte.
„Achte drauf, bis ich wieder zurück bin.“
„Hmmm…? Shiana?“
Eine suchende Hand tastete langsam über seine Brust, tätigte ihren Fund, als sanfte Finger vorsichtig über das kleine Symbol strichen. Verdutzt öffnete er seine Augen.
„Shiana!?“ …
Verwundert horchte ich auf, hörte das Geräusch von aufgeregten und schnellen Schritten. Ein geräuschloser Sprung, nichts weiter als ein unauffälliger Lufthauch. Ein Versteckspiel.
Aufmerksam lehnte ich mich vor, stützte mich zusätzlich mit der Hand meines rechten Armes auf das nasse Gestein der hohen Mauer. Mein Blick flog über die vielen Dächer und folgte der Gestalt, die hastig durch die dunklen Straßen des Dorfes lief.
„Ich gebe zu, ich bin überrascht.“, sagte ich leise, strich in