Der Augenblick ist Zeitlos

Advent, Advent...

Türchen XIII. – Das Purpurne im Schnee

Mir war heute ganz komisch. Ich fühlte, mit meinen dreizehn Mondläufen würden sich die Zeiten, Menschen, gar die Gesellschaft ändern. Ich war aus dem Aquarium der kleinen Fische herausgewachsen – ich durfte von nunan im Haifischbecken mitschwimmen, durfte mich immer wieder gegen die Alphatiere behaupten, mich in Sicherheit wägen, um dann doch wieder vor ihnen auf der Flucht zu sein.

Meine Mission hatte aber nichts damit zu tun. Ich sollte gemeinsam mit meinem Team eine Schriftrolle vom einen Dorf ins andere bringen. Mein Ziel war das Wasserreich, der Ort, an dem die großen Haie und die kleinen Fischchen sich bei Ebbe und Flut die Flossen hielten. Ich kam aus dem Reich der Blitze – in mir floss statt Blut elektronische Spannung. Mein ganzer Körper war so sehr gespannt, dass ich meinen Herzschlag in meinen Ohren rauschen hörte. Jetzt konnte ich sogar mein Herzklopfen bei jedem Atemzug spüren – ich fühlte, wie die Luft durch meinen Körper wanderte und meine Sinne waren geklärt bis ins Feinste. Wir waren zu viert gekommen, doch jetzt war ich als einziger verblieben. Meine Kameraden hatten eine verräterische Spur im Schnee hinterlassen – kleine Rubine, große Kirschen, all das lag auf dem Weg hinter mir. Das Blut meiner Begleiter hat den weißen Schnee verunreinigt – jetzt sieht er befleckt und purpur aus.

„Stehengeblieben.“
Ein Wimpernschlag – dann ist es, als wäre ich im Nebel gefangen. Ich versuche, mit meiner Chakraenergie den Nebelkokon zu knacken. Dazu leite ich Blitz in jede Richtung, doch das Resultat ist, dass ich mir selbst schade. Krümmend und würgend liege ich da – auf dem Boden der Unschuld und sule mich in meinem kümmerlichen Rest eines Lebens.
Mein Angreifer ist radikal, aber nicht unmenschlich. Als er sieht, dass ich nicht mehr lange zu leben habe, gibt er mir den Gnadenakt. Letzte, elektrische Zuckungen lässt mein Körper aus sich locken. Ein letztes Mal tanze ich zu der Melodie des Todes.

Dann ist es still. Dann ist es kalt. Kleine Schneeflöckchen bedecken die roten Spränkel auf dem Boden, versuchen sie und mich einzudecken. Während mein Geist zum Himmel empor steigt, sehe ich meinen verränkten Körper dort liegen – die Hände leer, die Augen verdreht und das Herz tot.

Wenn ich mich angestrengt hätte, hätte ich es ein weiteres Jahr geschafft, meinen Eltern die weißen Lilien auf das Grab zu legen und mich selbst zu beschenken, weil sie es nicht mehr tun können. Ich hätte es geschafft, mit meinen Freunden Weihnachten zu feiern. Ich wäre in ihrer Mitte, würde sie lachen und scherzen sehen und würde sie auf den zugeschneiten Toten vorbereiten können, der einst lebendig in ihrer Mitte weilte...
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