Des Rächers Herzen - Unfähig zu lieben

Michiru

Aufmerksam ruhte Sasukes Blick auf dem Gesicht des Mädchens.
Ihre Augen waren niedergeschlagen. Sie wagte es nicht, sich auch nur einen Nanometer zu rühren. Sasuke war sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt atmete. Die einzige sichtbare Regung fand in ihren Augen statt. Ruhelos rollten sie von links nach rechts und wieder zurück. Ab und an hob sie den Blick und sah Sasuke, wenn auch jedes mal für den kurzen Bruchteil einer Sekunde in die Augen.
Je mehr Zeit, in der nichts geschah, verstrich, behagte dem Mädchen immer banger. Sie konnte die Unruhe nicht mehr nur auf die Augen beschränken. Der Schweiß schoss ihr aus allen Poren, sie verkrampfte unnachlässig den Kiefer, biss sich dabei die Unterlippe blutig und vergrub die Fingernägel im Fleisch ihrer Haut.
Er wollte ihr nichts Gutes, dieser Fremde. In ihm verbarg sich eine unschätzbare Gefahr, die sie stumm bedrohte – so wie in beinahe jedem Menschen, dem sie bisher begegnet war. Aber ihn, ihn umgab noch viel, viel mehr Düsterheit als irgendwer sonst, der jemals ihren Weg gekreuzt hatte. Sonderlich sensibel war sie nicht, das wusste sie schon selbst, denn für sie gab es in fremden Menschen nichts Gutes. Doch hier spürte sie es ganz deutlich. Seine Aura war so kalt, dass die Temperatur im Raum plötzlich um zehn Grad gefallen zu sein schien, während er sie anblickte. Gleichzeitig tobte ein pechschwarzes Feuer in seinen Augen – das Feuer des Hasses, das alles und jedem in dieser Welt zu gelten schien. Einschließlich ihr.
Ihre Drohung hatte ihn nicht beeindruckt, ansonsten wäre er wieder umgekehrt und mit seinen Kameraden verschwunden. Aber er stand noch immer hier. Er kannte keine Furcht vor ihren Fähigkeiten und das war ihr Untergang. Sie war zu eingeschüchtert, als dass sie seiner Furchtlosigkeit, seiner Kälte und seinem Hass hätte trotzen können. Sie war wie gelähmt. Wieso musterte er sie so bohrend?
Wenn er nicht floh, was würde er stattdessen tun?
Was würde er mit ihr anstellen?
Was ging in den Tiefen der undurchschaubaren Schwärze seiner Augen nur vor sich?

Minutenlang geschah nichts. Minuten, in denen sie unter Sasukes Blicken schier wahnsinnig wurde. Ihr war, als lastete der Druck eines kompletten Ozenas auf ihr, raubte ihr die Luft als auch die Fähigkeit, zu Atmen.
Sie hielt es nicht mehr aus. Sie konnte seine Blicke und seine Anwesenheit nicht läner ertragen. Lieber würde sie sterben, als sich ihm auch nur noch einen weiteren Augenblick ausgesetzt zu sehen.
Also nahm sie all ihren Mut zusammen und sprach so deutlich wie ihre verängstigte Stimme es nun mal zuließ: „Was wollt ihr von mir?
Sasuke hatte nur darauf gewartet, dass sie endlich eine deutliche Regung zeigte. Er löste sich aus seiner Starre und kam vorsichtig wieder ein paar Schritte näher: „Nichts. Vorläufig zumindest. Aber du könntest eine Feindin sein. Du scheinst harmloser als ein Kanninchen. Doch wer sagt, dass du das auch tatsächlich bist? Denn, weißt du, der Schein kann trügen. Es könnte eine Falle sein. Du könntest für mich und mein Team sehr gefährlich sein...“
„Bin ich nicht!“, versicherte sie eilends und zog die Knie noch enger an den Oberkörper, als sie sah, dass der düstere Fremde sich ihr wieder weiter näherte.
„Das bestimme ich“, wischte Sasuke die Bemerkung mit einer beiläufigen Handbewegung weg und blieb derweil stehen. „Zuerst einmal; wie lautet dein Name, Mädchen?“
„Michiru.“
Wenn es wirklich nur darum ging, heruaszufinden, wer sie war und ob sie eine Bedrohung für ihn und die Seinigen darstellte, musste sie ihm nur die Informationen geben, die er haben wollte. Dann würde er wieder verschwinden und sie nicht mehr mit der Kälte seiner Anwesenheit quälen. Das war zumindest Michirus Hoffnung.
Sasuke nickte verständig und fuhr fort: „Michiru also… Was tust du hier? Du scheinst die einzige der Insassen zu sein, die übrig geblieben ist. Demnach hat sich auch hier herum gesprochen, dass Orochimaru nicht mehr lebt. Ich gehe natürlich richtig mit der Annahme, dass die hiesigen Wärter schon lange nicht mehr am Leben sind. Welchen Grund hat es also, dass du dich noch immer hier aufhälst? Es muss einen geben. Warum bist du nicht abgehauen, sobald du endlich die Chance dazu hattest?“
Michiru seufzte und ließ den Kopf hängen. Diesmal jedoch mehr aus Wehmut als aus Furcht, wie Sasuke an ihrer Antwort erahnen konnte: „Und wohin hätte ich schon gehen sollen?“
„Keine Familie, die dich vielleicht gern wiedersehen würde?“, fragte Sasuke weiter.
Es war nicht seine Art, viel zu reden und noch weniger, auch noch viele Fragen zu stellen. Aber besondere Fälle erfordern besondere Maßnahmen. Um ihr Vertrauen zu gewinnen – und das würde er müssen, wenn er sie als Waffe für sich nutzen wollte – musste er so viel wie nur möglich wissen. Auch wenn es ihm unendlich zuwider war, musste er hierzu widerrum viele Fragen stellen. Sein Glück also, dass Michiru mit ahnungsloser Blauäugigkeit die Antworten mit größter Bereitwilligkeit gab:„Weiß ich nicht … Ich kann mich nicht erinnern. Bin wohl schon zu lange hier...“
„Du weißt, wenn du noch lange allein hier bleibst, stirbst du über kurz oder lang. Vor Hunger, Durst, Kälte oder irgendwas anderem“, näherte sich Sasuke ihr um noch ein paar weitere Schritte, „Und wie’s aussieht hast du auch niemanden, zu dem du könntest oder wolltest.“
Das Herz schlug Michiru zwar bereits schon bis zum Hals, sodass sie das Blut in den Ohren rauschen hörte, und es machte sie nur noch nervöser, aber dennoch ließ sie ihn kommentarlos näher kommen. Einige Augenblicke später reagierte sie auch auf Sasukes Frage: „Was schert es dich? Es kann dir doch egal sein.“
Da lag sie richtig. Es müsste ihn weder scheren noch interessieren, ob sie hier im Laufe der Zeit allein krepierte oder nicht. Und eigentlich tat es das auch nicht. Aber damit würde auch diese seltsame, aber machtvolle Gabe verloren gehen. Das wäre doch die reinste Verschwendung und deswegen musste es Sasuke doch interessieren. Nach Außen hin zumindest.
„Du hast vollkommen Recht, Michiru“, bestätigte Sasuke also. „Es kann mir egal sein und wenn ich ganz ehrlich bin, ringt es mir dein Überleben kein allzu großes Interesse ab. Aber das gilt doch wohl nicht für dich. Für dein eigenes Leben solltest du sehr wohl etwas übrig haben. Es ist das menschlichste und natürlichste überhaupt. Oder scherst du dich darum genau so wenig wie ich – ein Fremder, dem du nichts bedeutest?“
Er wartete auf ihre Antwort. Michiru aber hüllte sich in hartnäckiges Schweigen, heftete ihren Blick stur auf den Boden und machte keinerlei Anstalten an diesem stummen Zustand so bald etwas ändern zu wollen.
Selbstverständlich wäre Sasuke absolut in der Lage gewesen, sie wenn nötig mit Gewalt zu einer Reaktion zu zwingen, doch welchen Eindruck würde er dabei bei ihr hinterlassen? Unter allen anderen Umständen wäre ihm das herzlich egal, aber wenn sein Vorhaben glücken sollte, musste er in ihren Augen einem barmherzigen Gott gleich sein. Nur so würde sie ihm tatsächlich bedingungslos folgen und gehorchen. Ganz egal, wie gleichgültig er Michirus Person gegenüber eigentlich war, ihrem Talent war er es ganz und gar nicht.
„Wenn du willst“, fuhr er deshalb weiter fort, „kannst du mit uns kommen. Jemanden wie dich könnte ich gut gebrauchen.“
„Jemanden wie mich?“, wiederholte Michiru, ohne dabei jedoch aufzusehen. „Warum? Weil ich die Macht dazu habe, jemanden in sekundenschnelle umzubringen, ohne dass er es überhaupt merkt? So, wie Orochimaru es von mir verlangt hat?“
Wieder lag sie vollkommen richtig. Sasuke sah in ihr nicht mehr als eine Waffe, die ihm jederzeit zur Verfügung stehen sollte. Aber das durfte er natürlich nicht zugeben. Sie würde ihm wohl kaum von Nutzen sein, wenn er jetzt so ehrlich war und ihr bestätigte, sie nur ausnutzen zu wollen. Dann würde sie nämlich nicht mitspielen. So gut konnte Sasuke die immer noch fast komplett fremde Michiru inzwischen doch einschätzen.
Deshalb ließ er sich zu einer der größten Lügen hinreißen, die jemals über die Lippen des jungen Uchiha gekommen war: „Ob du’s glaubst oder nicht, du tust mir einfach nur leid. Ich habe mehrmals gesehen wie Orochimaru seine Testobjekte behandelt hat. Dich scheint es noch etwas mehr mitgenommen zu haben, als die meisten anderen, die nun frei sind. Aber Orochimaru ist jetzt tot. Die Zeit, in der Versuche an dir ausgeführt wurden und in der du zu allem Möglichen und Unmöglichen gezwungen wurdest, ist vorbei. Es wäre ein erster Schritt, diese Zeit endlich hinter dir zu lassen, indem du dich uns anschließt und somit erst mal deine offensichtliche Angst vor Menschen verlierst.“
Zum ersten Mal sah Michiru nun auf und hielt Sasukes Blick dabei, wenn auch nur unbewusst, sogar einige Sekunden stand. Sie konnte nicht so recht glauben, was sie da gerade gehört hatte. Dieser Fremde mit dieser düsteren Aura, die sie in Todesangst versetzte, hatte Mitleid mit ihr? Er wollte ihr helfen? Ausgerechnet er sollte ausnahmsweise nicht hinter ihrer Gabe her sein? Es fiel ihr ausgesprochen schwer, das zu glauben. Aber irgendwie täte sie das doch gerne...
Nun ja, hätte sie Sasuke gekannt, so hätte sie gewusst, dass er niemals irgendwem ein solches Angebot aus Mitleid oder sonst einem Gefühl heraus machen würde. Sein einziger Beweggrund war Eigennützigkeit.
Er lebte für die Rache. Alles, was ihn in irgendeiner Form aufhielt würde er eher beseitigen als Hilfe anzubieten – ein scheues, feiges Gör war hinderlich, eine Telekenetin hingegen äußerst nützlich. Michiru war bestenfalls ein Mittel zum Zweck.
Tatsächlich ließ sie sich aber dazu bewegen, die Möglichkeiten in Gedanken gegeneinander abzuwiegen : Entweder sie blieb weiterhin hier und kam, so wie der fremde Junge es ihr prophezeit hatte, aus irgendeinem banalen Grund wie Hunger, Durst oder
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