Fanfic: Alarm

Kapitel: Alarm

Alarm
"Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie viele Feueralarmtests wir in der Vergangenheit absolviert hatten. Was ich weiß ist, dass niemand, auch ich, sie auch nur ansatzweise ernst genommen hat. Wir alle haben in Ruhe unsere Sachen gepackt, Jacke angezogen, Frühstück rausgeholt und die Freunde gesucht. So kam es also, dass niemand bei einem echten Alarm im entferntesten Ahnung davon hat, was zu tun ist. Auf die Lehrer hört ja sowieso niemand.
Es war ein Donnerstag, an welchem das schrille, beinahe ohrenbetäubend Laute Schellen meinen Kurs aus dem Halbschlaf des Geschichtsunterrichtes weckte. Wir alle brauchten einen Moment um zu realisieren, das dieses Geräusch nicht der Pausengong war, danach begannen alle Wild durcheinander zu reden, worüber ich mit meinem Kumpel debattiert habe ist mir entfallen. Unser Lehrer versuchte uns zur Ordnung zu rufen, verkündete, dass er über keinen Probealarm in Kenntnis gesetzt worden wäre.
Unsere Klassensprecherin öffnete ein Fenster und spähte hinaus um zu überprüfen ob sie Feuer oder Rauch sehen konnte. Allein an ihrer blassen Gesichtsfarbe war die Antwort abzulesen. Die Hektik die sich kurz gelegt hatte, brannte noch heftiger wieder auf, jeder Schrei etwas durcheinander, keiner wusste wohin mit sich.
In den anderen Räumen schien ähnliches vorzugehen, das rumpeln und rufen Drang durch die geschlossenen Türen.
Erst dann schaltete sich die Brandansage des Feueralarms ein. "Dies ist keine Übung! Feueralarm! Bitte begeben sie sich nach draußen! Dies ist keine Übung!" Die endlosschleife dieser Sätze hallte in meinem Kopf wieder und ließ mich keinen klaren Gedanken fassen.
So entging mir, wer bemerkt hatte dass der Rauch sehr nah an unserem Klassenzimmer des Ostblocks war.
Plötzlich versuchte jeder sich durch die Tür zu quetschen ohne auf die anderen zu achten, zu dritt im Türrahmen steckten sie fest, doch von hinten wurde weitergedrängt. Ich sah von hinten zu, hatte besseres vor als in dieser Traube zerdrückt zu werden. Zu meiner Überraschung hatte niemand in der Angst daran gedacht seine Sachen mitnehmen zu wollen, das hätte ich wirklich nicht erwartet.
Nach zwei Minuten die mir wie eine Ewigkeit erschienen waren, löste sich der Pulk in der Tür, und wie in einem Waschbecken in dem der Stöpsel gelöst worden war, strömten meine Mitschüler und ich nach draußen auf den Flur. Mein letzter Blick ins Klassenzimmer galt dem Fenster, ich meinte mich zu erinnern, dass es geschlossen werden sollte.
Auf dem Gang war es nicht minder voll, auch hier ging es teilweise nur in Schneckentempo voran, während manche sich rennend hindurchboxten. Auch hier dauerte es etwas bevor man sich wieder bewegen konnte. Die Luft wurde merklich wärmer. Der plan der Schüler und Lehrer des Ostblocks war, sie wollten den langen Gang in den Westblock nehmen und von dort auf den Schulhof gelangen, da die Lehrer vermuteten, der Nähe am Ostblock gelegene Haupteingang könnte zur Falle werden.
Wir waren eine große Schule. Die beiden Hälften, geteilt nach Ost und West, fassten jeweils tausend Schüler.
Nochimmer dröhnte die Bandansage aus den Lautsprechern, die auch auf dem Flur hingen, zusammen mit dem Feueralarm. Irgendjemand schrie, dass es doch jetzt gut sei, andere stimmten zu. Ich erinnere mich genau, das auch mich diese Wiederholung den letzten Nerv gekostet hat.
Schleichend ging es voran, mir kam es vor, wie eine endlos lange Schlange vor dem Popcornstand im Kino, wobei ih in diesem Moment den Vergleich als mehr als nur unpassend empfand. Rückblickend lag ich gar nicht so falsch.
Irgendwann, ich kann mich auf keine Uhrzeit festlegen, während dieser Momente verlor ich jegliches zeitverständnis, schrie ein Mädchen auf. Ich kannte sie nicht, ich hatte keinen Kurs mit ihr zusammen.
Völlig panisch, mit weit aufgerissenen Augen, gestikulierte sie in die Richtung hinter uns. Wir alle drehten uns um, hinter der Feuerschutztür hatte sich eine Menge Schwarzer Rauch angesammelt, und der Rahmen knackte und knirschte beängstigend. Jetzt wo sie uns darauf aufmerksam gemacht hatte, hörten wir die Geräusche ganz genau.
Erneut begann die Menge mit dem drängeln und ich gab mein bestes, an den Rand zu kommen, um mich festzuhalten, sonst wäre ich wohl überrannt worden.
Wieso ich trotz meiner Angst so ruhig warten konnte, bis alle an mir vorbei waren ist mir bis heute nicht klar, doch es war so.
Ich blickte den Flur entlang, er war beinahe ausgestorben. Unweit von mir lag ein Körper. Er war noch jung aber gehörte zu keiner Schülerin, ich erkannte die Referendarin aus meiner mathestunde wieder.
Mein Selbsterhaltungstrieb versuchte mich zu überreden den freien weg zu nutzen, um mich zu retten. Andererseits, sagte ein anderer Teil von mir, würde ich selbstverständlich auch gerettet werden wollen. Nach einem kurzen Schielen zur Tür, hastete ih zu ihr hin und rüttelte an ihrer Schulter. Die reagierte nicht, ihre schulterlangen Haare hingen ihr wirr in das fahle Gesicht. Ihre offenen Augen sahen mich nicht an, ihre Pupillen waren nach oben gerollt, sodass nur das weiße zu erkennen war.
Sie war tot, warum weiß ich nicht, ich hätte auch keine zeit es herauszufinden, die brandschutztür hielt dem Druck nicht mehr stand, und explodierte.
Dann machte sich mein Körper selbstständig und hetzte durch den heißen Scherbenregen hindurch nach draußen.
Ich schaffte es, doch das leblose Gesicht der Frau, nur ein paar Jahre älter als ich, werde ich wohl niemals mehr vergessen."
Auszug aus dem Traumatagebuch eines Überlebenden Schülers.
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