Der Schwarze Stern
Eine Geschichte aus Mittelerde
Rhudaur
Im Jahre 861 des Dritten Zeitalters zerfiel das mächtige Königreich Arnor. Das einst mächtige Reich Elendils und Isildurs war dahin. Hatte Arnor einst den Frieden im Norden Mittelerdes gewahrt, versank es nun in einem nie enden wollenden Bürgerkrieg, denn an seiner Stelle entstanden drei kleine, untereinander zerstrittene Königreiche.
Arthedain im Nordwesten führte den Glanz Arnors fort. Es war das größte der drei Reiche und es hatte den Reichtum und Glanz Arnors geerbt. Die Wirtschaft florierte, die Bevölkerung wuchs und die Könige Arthedains waren hoch angesehen. Cardolan jedoch war ein schwindender Stern. Denn anders als Arthedain, erbte es nichts vom Glanze Arnors. Die Steuern waren hoch und der Handel lief vergleichsweise schlecht. Immerhin war das Land fruchtbar, dennoch war das Leben hart. Die Winter waren hart und die Flüsse Baranduin und Gwathlò überschwemmten oft. All das führte auch dazu, dass immer mehr Bewohner Cardolans ihrem Land und ihren Königen den Rücken kehrten und nach Arthedain übersiedelten. So verlor Cardolan immer mehr seines Volkes. Aber trotz dieses Aderlasses blieben die Cardolaner stolz auf ihre Abstammung und das Reich blieb wehrhaft genug, sich seinen Nachbarn im Norden zu widersetzen.
Am schlimmsten hatte der Zerfall Arnors sein ärmstes Nachfolgereich getroffen. Rhudaur im Osten war von den Dúnedain nur schwach besiedelt gewesen. Während sie in den weiten Grasebenen des Westens gesiedelt hatten, lebten im hügeligen und bewaldeten Osten die primitiven und wilden Ureinwohner Rhudaurs in bitterster Armut. Lange Zeit von den Dúnedain in Knechtschaft gehalten, hatten sie seit dem Zerfall Arnors sich erhoben. In einer Reihe blutiger Aufstände und Kleinkriege kämpften sie um ihre Freiheit. Doch umgekehrt zeigten sich auch die Bergmenschen als unbarmherzige Krieger, die auch vor Frauen und Kindern nicht Halt machten. Nur zu leicht bestätigten sie in ihrer Raserei die Vorurteile der Dúnedain, es handle sich bei ihnen um wilde und unzivilisierte Barbaren. Doch schafften sie es tatsächlich die Könige Rhudaurs in Bedrängnis zu bringen. Zeitweise hatten sie gerade einmal die größeren, von den Dúnedain besiedelten Städte, wie auch die größeren Straßen unter ihrer Herrschaft, während die Clans der Bergmenschen das restliche Land unter sich aufgeteilt hatten. Oft töteten und vertrieben sie dabei die Siedler der Dúnedain, so dass deren Zahl immer weiter schwand und deren Kultur in Rhudaur starb. Die Zeit ist vergessen als Dúnedain und das Volk der Hügel, wie sich die Bergmenschen selbst nannten, sich achteten und sogar untereinander heirateten. Denn mit der Armut, kam die Verachtung für den Nachbarn.
Doch im Jahr 1307 des Dritten Zeitalters kam in Rhudaur ein neuer König an die Macht, sein Name war Aldor. Unter seiner Herrschaft wurde die Armee massiv vergrößert, wofür alle Ausgaben gekürzt und die Steuern stark erhöht wurden. Schrittweise wurden die Bergmenschen wieder unterjocht und das Land allmählich befriedet. Zusätzlich lockte Aldor auch Siedler aus Cardolan und Arthedain in sein Reich. Sofern man nachweislich ein Dúnedain war, erhielt man von der Krone kostenlos Land oder in den Städten sogar ein Haus, da unter Aldor viele Bergmenschen aus ihren Häusern vertrieben und auf das Land verbannt wurden. So erhöhte sich tatsächlich auch die Zahl an Rittern von Rhudaur, denn nur Dúnedain waren als Ritter zugelassen. Aldor überließ seinem Sohn nach seinem Tod 1347 ein gefestigtes und stabiles Reich. Zumindest schien es so.
König Elegost führte das Reich ähnlich wie sein Vater. Doch während sich sein Vater bedingungslos um die Unabhängigkeit seines Reiches bemühte, näherte sich Elegost ab 1349 König Argeleb von Arthedain an. Er suchte offen ein Bündnis mit diesem, weshalb er 1353 sogar seinen Anspruch auf die Krone Arnors anerkannte und bald auch Hilfstruppen aus Arthedain in Rhudaur zuließ. Doch zwei Jahre nach der Thronbesteigung von König Elegost brachen die Aufstände und Rebellionen der Bergmenschen wieder aus. Einer der Stammesfürsten namens Bhaltair forderte das Königreich heraus und stachelte die Bergmenschen immer heftiger gegen die Dúnedain an. Siedler aus Cardolan und Arthedain wurden ermordet und die Ritter von Rhudaur kamen immer häufiger in Hinterhalten um. Schon jetzt sahen viele der Bergmenschen in Bhaltair ihren Befreier und in immer größeren Zahlen schlossen sie sich dem Briganten, wie Bhaltair genannt wurde, an. Schlimmer noch war, dass Bhaltair viel geschickter operierte als alle seine Vorgänger. Zudem kämpften seine Rebellen nicht mehr mit primitiven Steinäxten, Holzpfeilen und Knüppeln, sondern traten inzwischen offen mit Schwertern, Speeren und Stahläxten in Erscheinung.
Um die Rebellion einzuschränken, wurden die Bergmenschen im Gegenzug aber immer schwerer durch die Dúnedain bestraft. König Elegost befahl die Besetzung ihrer Dörfer, die Beschlagnahmung von ganzen Ernten und manchmal auch der Vernichtung ganzer Ortschaften. Doch auch in Cameth Brin regierte Sorge. Denn König Elegost war selbst unter den hier lebenden Dúnedain nicht wirklich beliebt. Denn während auf dem Land oft Hunger herrschte, waren hier die Steuern seit Jahrzehnten viel zu hoch und auch hier gab es oft einen Mangel an Nahrung. Der einzige Grund, wieso sich die Stadtbewohner noch nicht auflehnten war, weil Elegost sie vor den Bergmenschen schützte und weil von ihm die derzeitige Stabilität im Land abhing. Zudem war auch sein Lebensstil, genau wie der seines Vaters sehr bescheiden geblieben. So blieb immer noch eine gewisse Nähe und Verbundenheit zur armen Bevölkerung des Landes. Der König leidet mit, so pflegten die Einwohner zu sagen. Zudem stand Elegost einem äußerst strengen Regime vor, wie schon bei dessen Vater. Jeder musste sich jeder an die Gesetze halten unter Androhung von Strafe, egal ob man arm oder reich, bürgerlich oder adelig war. Die häufigste Strafe in Cameth Brin war das öffentliche Auspeitschen. Auf dem zentralen Platz der Stadt, dem Arnor-Platz wurde man kaum bekleidet, gefesselt und ausgepeitscht. Selbst adelige Männer und Frauen waren schon zu dieser Strafe verurteilt worden und sein Vater, König Aldor hatte sogar Familienmitglieder auspeitschen lassen, doch wurden diese meist im Hof und nicht öffentlich ausgepeitscht. Einerseits zeigte es der Bevölkerung, dass er seine Familie oder den Adel nicht milder behandelte als sein Volk, andererseits förderte es die Disziplin. So jedenfalls dachten sowohl Elegost, wie auch damals sein Vater. Nicht umsonst betonte Elegost stets die Bedeutung von Symbolik in seiner Regierung.
König Elegost hatte zwei Kinder. Seinen Sohn Beregor und seine Tochter Meriliel. Eigentlich hatte er seinen Sohn Beregor stets bevorzugt, doch war Beregor außerehelich gezeugt worden. So blieb ihm als Thronfolgerin nur seine Tochter Meriliel, denn seine Frau war schon lange verstorben. Natürlich liebte Elegost seine Tochter, obwohl ihm ein männlicher Thronfolger lieber gewesen wäre. Dennoch bildete er Meriliel hervorragend aus und hoffte, sie würde eines Tages eine ebenso starke und geschickte Herrscherin wie er selbst und ihr Großvater Aldor. Täglich war sie mit ihrem Bruder Beregor im Kampf geschult und einer anstrengenden körperlichen Ausbildung unterzogen worden. Zusätzlich hatte Aldor auch noch den Gelehrten Sirion aus Gondor geholt, damit er Meriliel und Beregor in Geschichte, Geographie, Diplomatie und Politik unterrichtete. Die Kinder sollten eine ideale Ausbildung erhalten. Doch anders als Beregor, hatte Meriliel all das verachtet. Damals als Mädchen hatte Meriliel keine Stunde und keinen Tag verbracht, ohne dass sie körperlich ertüchtigt oder durch Sirion unterrichtet wurde. Sie und Beregor hatten nie die Möglichkeit gehabt, so zu sein wie andere Kinder. Freundschaften zu schließen, zu spielen, geschweige denn sich zu verlieben. Wenn sie es auch nur versucht hatte, wurde sie von ihrem Vater verprügelt oder eingekerkert.
Nun war Meriliel eine erwachsene, junge Frau und Herzogin von Eldanaryar. Sie hatte wallendes, dunkelbraunes Haar, einen stets ernsten, aber bei näherem Hinsehen warmen Blick mit braunen Augen. Ihr Körper war athletisch, muskulös und durchaus attraktiv. Einzig die vielen Narben an ihrem Körper waren ein Makel, der jedoch von den Strafen ihres Vaters oder den vielen Schlachten zeugte, die sie in seinem Namen geführt hatte. Trotzdem war sie eine attraktive, junge Frau geworden und sie galt unter dem Adel und der Oberschicht aller drei Reiche als schönste Frau Arnors. Wären Arthedain, Cardolan und Rhudaur nicht immer noch zerstritten, hätten sich Könige, Prinzen und Würdenträger aller Länder bereits um ihre Hand gerissen. So zumindest sagte das gemeine Volk in Rhudaur.
Meriliel verdankte ihr gutes Aussehen ihrer Mutter, doch ähnelte sie charakterlich in mancher Hinsicht ihrem Vater, ohne es zu wollen. Sie hatte wie ihr Vater ein hohes Selbstwertgefühl und war durch die zahllosen Schlachten, die sie bereits an der Seite ihres Vaters kommandiert und geschlagen hatte rau und entschlossen. Denn bereits als Kind hatte ihr Vater sie und ihren Halbbruder gezwungen zuzusehen, wie die Menschen in ihrer Heimatstadt hingerichtet, gefoltert oder ausgepeitscht wurden. Später als Jugendliche hatten sie und Beregor selbst Menschen foltern oder hinrichten müssen. Einmal hatte sie an der Seite ihres Vaters und ihres Halbbruders sogar ein Dorf von Bergmenschen auslöschen müssen. All das sollte Meriliel abstumpfen lassen, da Elegost der festen Überzeugung war, dass eine Königin kein Mitgefühl empfinden dürfe. Hart wie die Rüstung auf ihrem Körper, scharf wie das Schwert in ihrer Hand und kalt wie sein Blut, welches durch ihre Adern fließe. So hatte es Elegost früher zu sagen gepflegt. Er hatte damit aber nur einen begrenzten Erfolg gehabt. Meriliel war zwar tatsächlich dem Leid anderer vollkommen abgestumpft,