Warte, wann wirst du wieder zuhause sein? Akane? Akane?”
Vorsichtig legte Akane den Hörer auf die Gabel, als eine Träne ihre Wange hinabrann. „Er hat mich verlassen. Ich kann es einfach nicht fassen, dass er mich wirklich verlassen hat. Vielleicht sehe ich ihn nie wieder.“ Auf ihrem Gesicht floss noch eine Träne hinunter, der weitere folgten. Wütend wischte sie sie sich mit dem Handrücken weg. „Hör sofort auf, Akane! Das weißt du doch gar nicht. Es ist erst ein einziger Tag und du selbst bist von zuhause fort. Er wird zurück kommen. Und genau das werde ich auch tun. Im Moment muss ich mich nur konzentrieren, um herauszufinden, wann für mich der richtige Zeitpunkt sein soll. Bis dahin wird er sicher wieder da sein. Da bin ich mir ganz sicher.“ Trotz ihrer Worte schaffte sie es nicht, sich vollständig zu beruhigen.
Nachdem sie sich wieder auf den Rücken rollte, starrte sie an die Decke. Langsam ließen ihre Tränen nach.
„Warum vermisse ich ihn bloß so sehr?“
Als sie ein weiteres Mal auf das Telefon blickte, wünschte sie sich, sie könnte mit Jenji reden. Oder zumindest irgendjemandem.
„Oh bitte, Akane. Er hat dich sitzen gelassen. Du kannst doch nicht ernsthaft darüber nachdenken, ausgerechnet ihn jetzt anzurufen. Das ließe dich ganz schön verzweifelt wirken.“ Einen Moment lang hielt sie inne, den Blick nicht vom Telefon lassend. „allerdings sollte ich ihm für das Essen danken und ihm anbieten, es zurückzuzahlen. Er hätte wirklich nicht für mich zahlen brauchen, wenn er nicht einmal da war.“ Etwas zögerlich nahm sie den Hörer ab und wählte die Rezeption des Hotels an.
„Ja, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Hallo, könnten Sie mich bitte mit dem Zimmer von Herrn Kenji Saotouyo verbinden?“
„Ja, einen Augenblick bitte.“
Akane vernahm ein Klicken durch die Ohrmuschel und wartete dann, als es zu klingeln begann.
* * *
Nach dem Abendessen wollte Ranma noch etwas Spazieren gehen. „Man, was für ein Tag. Eine Überraschung jagt die nächste. Da denkt man, man kennt sich selbst und dann... Ich meine, zu aller erst verlasse ich die Stadt, sodass ich etwas nachdenken kann. Dann gerade wenn ich glaube, Akane zu vermissen, treffe ich dieses andere Mädchen und verknalle mich irgendwie in sie. Heißt das etwa, dass ich wirklich so sprunghaft bin oder bedeutet das nur, dass Akane genau die Richtige für mich ist? Ich meine, schließlich war sie es, in die ich mich ’verliebt’ habe...“ Etwas Nasses berührte sein Gesicht. „Hä? Was zur... Weine ich etwa?”
Fast wie eine Antwort begann der Himmel im selben Moment in einem Tosen und Donnern hell aufzuleuchten und dem einzelnen Regentropfen, der auf sein Gesicht schlug, folgten in kürzester Zeit weitere, als es heftig zu regnen begann. Ranma, jetzt in weiblicher Form, schrie wütend auf. „Oh man! Ich dachte Nerima wäre der einzige Ort auf der Welt mit so unberechenbarem Wetter! Oder folgst du mir bloß, he?!“ rief sie zu den Wolken hinauf. Als sie keine Antwort erhielt, rannte sie schließlich los, zurück in ihr Hotel. Sobald sie die Tür ihres Zimmers hinter sich geschlossen hatte, schnappte sie sich ein paar trockene Kleider. „Sieht so aus, als müsste ich heute ein zweites Mal in die heißen Quellen.“ Gerade wollte sie wieder hinaus, als das Telefon klingelte. Mit der Hand am Türknopf blieb sie stehen, hin und hergerissen, ob sie nun abheben sollte oder nicht. Schon wieder klingelte das Telefon. Sie seufzte. Ihre Neugier, die mit der Antwort gefüttert werden wollte, wer wohl am Telefon war, siegte schließlich und so nahm sie den Hörer ab.
„Hallo?“
„Oh, Verzeihung. Ich versuchte eigentlich Kenji Saotouyo zu erreichen. Ich muss wohl das falsche Zimmer oder so erwischt haben.“
„Nein, das ist schon das Richtige.“
„Oh...“ Das Mädchen am anderen Ende der Leitung klang sehr überrascht. „Naja, egal, ich will nichts unterbrechen.“
„Oh keine Sorge. Hier gibt es nichts zu unterbrechen.“
„Em... Also gut. Hier spricht Ayame Higarashi. Du musst Kenjis Verlobte sein, stimmt’s?“
“Mist! Es ist Akane!” fuhr es Ranma durch den Kopf. „Warum ruft sie an?“
„Seine Verlobte? Nein... em… Ich bin… äh… seine Zwillingsschwester! Yah, so ist es“, antwortete Ranma.
„Ach...? Kenji hatte gar nicht erwähnt, dass er mit seiner Schwester hier ist.“
„Ja, also... Er hatte mich nicht wirklich erwartet. Ich bin ganz plötzlich aufgetaucht.“
„Zumindest ist das nicht wirklich eine Lüge“, dachte er sich dann.
„Ah, und das würde erklären, warum er es nicht zum Essen schaffte.“
Ranmas Augen erhellten sich. „Äm ja! Das würde es erkären, hm?“ Nervös begann Ranma-chan zu lachen.
„Ich schätze schon. Aber wie auch immer, ist Kenji denn da? Ich wollte mich bei ihm dafür bedanken, dass er mir das Essen ausgegeben hat.“
„Äähm...“ Hektisch schaute Ranma sich im Zimmer nach etwas heißem Wasser um, aber unglücklicher Weise war dort keines aufzutreiben. „Nein, er ist eben nicht hier. Er ist gerade zu den heißen Quellen gegangen. Der Regen hat ihn ziemlich mies erwischt und daher wollte er sich etwas aufwärmen.“
„Ebenfalls keine Lüge“, lauteten seine Gedanken. „Ich werde langsam gut darin.“
„Oh okay. Naja, dann richte ihm bitte einfach einen Dank von mir aus.“
„Alles klar, kannst dich auf mich verlassen.“
„Oh und ich wollte ihm außerdem sagen, dass es, obwohl wir uns erst einmal getroffen haben, mir echt so vorkam, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Ich habe mich vorher noch nie jemandem wirklich so verbunden gefühlt. Es war sehr schön, ihn kennen gelernt zu haben.“
Ranma-chan lächelte. Genauso hatte auch sie empfunden bis sie herausgefunden hatte, dass Ayame eigentlich Akane ist. Sie wünschte sie nur, dass die erste Begegnung mit Akane so gewesen wäre.
Plötzlich erinnerte sie sich an ihre Unterhaltung in den heißen Quellen, wo sie beide sagten, dass sie sich wünschten, sie könnten ihre Verlobte noch mal von ganz Neuem kennen lernen. Und nun in einem verzwicktem Schicksalsstrang, wurde ihnen diese Chance geschenkt.
„Ehm.. Warum sagst du es ihm nicht selbst?“
„Hm... Ich weiß nicht.“
Seufzend erkannte Ranma, dass Akane höchstwahrscheinlich etwas verletzt darüber war, sitzen gelassen worden zu sein.
„Bitte. Ich meine, Kenji würde so gerne die Gelegenheit bekommen, sich bei dir zu entschuldigen. Es tat ihm unendlich leid, die Verabredung einfach so abgesagt zu haben. Weißt du, er ist wirklich nicht der Typ, der derartiges einfach so ohne einen guten Grund tun würde.“
„Ja, also, ich schätze, das spielt jetzt keine so große Rolle. Es gibt da ein paar Dinge, die ich für morgen geplant habe und ich denke, dann werde ich auch wieder nachhause gehen.“
„Aber Kenji wäre wirklich enttäuscht, dass er es verpasst hat, noch einmal mit dir zu reden. Bitte... Ich verstehe ja, dass du etwas verunsichert bist, wegen heute Nacht, aber gibt ihm doch eine zweite Chance, okay?“
Am anderen Ende der Leitung war es für einige Momente still und Ranma begann sich ernsthaft Sorgen zu machen, dass sie nein sagen würde.
„I-ich weiß nicht. Ich werde darüber nachdenken.“
Erleichtert atmete Ranma-chan aus. Zumindest hatte sie nicht abgelehnt. „Naja, wenn du dich entscheiden solltest, doch noch mit ihm zu sprechen, er wird in den heißen Quellen sein.“
„Alles klar, ich danke dir. Mach’s gut.“
„Tschüs!“ Aufmerksam lauschte Ranma dem Klicken, das aus dem Hörer drang. Dann hetzte sie zu den heißen Quellen, um noch vor Akane dort zu sein.
* * *
Über 45 Minuten später saß Ranma noch immer in der heißen Quelle und noch immer wartete er auf Akane. Er seufzte. „Ich schätze, sie entschied sich, doch nicht mehr zu kommen“, sagte er zu sich selbst. Enttäuscht und ein wenig verletzt stand er auf und watete zum Ufer, aus dem Wasser hinaus. Genau in diesem Augenblick hörte er eine schüchterne Stimme nach ihm rufen.
„K-Kenji? Bist du da?“
Überrascht drehte er sich um und eilte sofort zurück. Das Licht der Laternen, das die Quellen umgab, schien durch das dünne Papier der Trennwände, sodass er deutlich Akanes Silhouetten ausmachen konnte. Bei dem Anblick ihrer Figur fragte er sich schluckend, wie er jemals dazu im Stande gewesen war, sie hässlich zu nennen.
„J-ja. Ayame? Bist du das?”
„Mhm... Ich wollte dich anrufen, aber deine Schwester nahm ab und sagte mir, dass ich dich hier finden würde. Ich wollte mich bei dir für das Essen bedanken.“
„Essen, genau! Ayame, was das betrifft, tut mir so leid...“
“Es ist in Ordnung, wirklich. Deine Schwester hat mir die ganze Sache erklärt.“
„Oh, tat sie das?“
„Mhm.“ Kurz hielt sie inne. „Also, um dir die Wahrheit zu sagen, das war nicht der einzige Grund, weswegen ich angerufen habe. Irgendwie wollte ich wieder mit dir sprechen. Es ist so... ich habe etwas gehört, was mich sehr belastet.“
„Was ist passiert“ fragte er, angestrengt darüber grübelnd, was in solch kurzer Zeit passiert gewesen sein könnte, um sie so traurig zu machen.
„E-Er hat mich verlassen.“