Fanfic: Animus viam monstrat 21
‚Dann ist auch Gebetszeit und hier sind mehr Leute!’ Sind sie etwa unter den Trümmern der Kathedrale verschüttet? Nur das fällt mir ein, wo wir helfen könnten.
„Vielleicht sind in der Kathedrale einige verschüttet!“, rufe ich Nini zu und laufe schon los. Sie ist nicht weit entfernt! Da, hinter dem nächsten Gebäude, nein, eher der nächsten Ruine eines Hauses, müsste der Platz sein!
Geschockt bleibe ich stehen und Nini läuft direkt in mich hinein. Doch ich registriere es gar nicht. Der Platz ist ein einziger Trümmerhaufen. Von der Kathedrale sind nur noch Steine und Rauch zu erkennen. Vorsichtig, fast in Trance laufe ich weiter, klettere über riesige Trümmerhaufen.
Und dann sehe ich ihn. Ein kleiner Junge sitzt mitten auf dem Platz. In seinen Armen hält er eine Frau. Sein Gesicht ist Dreck und Blutverschmiert und seine Kleidung größtenteils zerfetzt. Tränen laufen seine Wangen hinunter. Verzweifelt schreit er, rüttelt die Frau immer wieder: „Mama! Wach auf! Komm schon, wach auf!“
Tränen schießen mir in die Augen. Ich will zu ihm hinlaufen, ihn trösten, doch meine Beine bewegen sich nicht. Sie sind kalt, gelähmt. Und diese Kälte schleicht langsam höher. Und mit der Kälte steigt noch etwas anderes in mir hoch. Ich versuche es zu unterdrücken, aber dieser Junge erinnert mich zu sehr an mich selbst. Lässt alle meine Erinnerungen wieder hochkommen. Und mit ihnen die Schmerzen. Diese unerträglichen Schmerzen.
Unter mir öffnet sich ein riesiges schwarzes Loch. Langsam, ganz langsam falle ich hinein. Kann mich nicht wehren, nirgendwo festhalten. Ich werde von Schwärze umfasst und hineingezogen. Mein Brustkorb droht zu platzen und doch bekomme ich keine Luft. Die Kälte schnürt mir den Hals zu, lässt mich nicht die nötige Luft einsaugen. Alles um mich herum dreht sich. Die Schmerzen haben also Überhand ergriffen. Wieder einmal! Ich dachte, ich wäre stark, würde fest auf dem Boden stehen. Doch ein einziger kleiner Windhauch pustet mich um. Nur ein kleiner Funke und schon entzünde ich mich. Entzünden sich meine Schmerzen. Ich werde sie wohl nie besiegen können.
Mein letzter Widerstand stirbt. Willenlos lasse ich mich ins Loch ziehen. Doch plötzlich stocke ich. Etwas hält mich fest. Lässt mich nicht los, lässt nicht zu, dass ich in diesem schwarzen Loch meiner Seele verschwinde. Wärme breitet sich in mir aus. Lässt mein Blut pulsieren. Endlich strömt wieder Sauerstoff in meine Lunge. Eine beruhigende Stimme dringt an mein Ohr. Langsam fängt alles wieder an normal zu arbeiten. Ich will die Augen nicht öffnen, will nicht den Jungen sehen, doch ich muss. Ich kann nicht blind durch diese Welt laufen.
Ja, da sitzt er immer noch. Wimmert, hält seine tote Mutter in den Armen. Es schmerzt das zu sehen, doch etwas gibt mir Kraft. Stärkt mich. Hilft mir, dass kein schwarzes Loch mehr entsteht.
(Nini´s Sicht)
Sonnenlicht streicht mir über die Wange und weckt mich sanft auf. Gähnend richte ich mich auf und blinzle in die Sonne. Ich reibe mir die Augen und schwinge meine Beine aus dem Bett. Ich gehe zum Kleiderschrank und ziehe mich an.
„Guten Morgen!“ flüstert mir Kai ins Ohr und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihm in die Augen. „Guten Morgen!“ meine ich und küsse ihn.
„Wir wollen euch heute gerne in ein Municipium bringen! Ihr sollt sehen, wie wir leben!“, sagt Gabriel.
„Was ist ein Municipium?“ frage ich und sehe Gabriel fragend an.
Gabriel überlegt: „Nun, in eurer Sprache heißt das soviel wie: Gemeinde. Es sind halt viele Ansammlungen von Häusern und dort leben viele Menschen.“
„Also wahrscheinlich so etwas, wie Städte!“, meine ich.
„Genau! Man könnte es auch als Urbs (Stadt) bezeichnen! Und doch ist es etwas anders! Aber ihr werdet es noch früh genug sehen!“
Als Kai und fertig gefrühstückt haben bringen uns Gabriel und Michael in die Stadt, oder in das Dorf. Wir stehen mitten auf einem großen Platz. Um uns herum herrscht buntes Treiben. Lebewesen tummeln sich, lachen, reden und verkaufen ihre Sachen. Ich will nicht Menschen sagen. Denn ich weiß dass es diese Lichter sind. Sie haben nur Menschengestalt angenommen. Ich lasse meinen Blick über den Platz schweifen. Plötzlich weiten sich meine Augen. Vor uns erhebt sich ein riesiges Gebäude. Weiße Tauben sitzen auf den spitzen Turmdächern und die Zinnen glitzern in der Vormittagssonne wie Gold. Ich bin verzaubert von dem Anblick des Gebäudes. Es sieht aus wie eine Kirche.
„Das ist die Kathedrale. Sie ist unser ganzer Stolz! Lasst uns doch hineingehen!“ sagt Michael und blickt stolz auf die prachtvolle Kirche. Kai fasst nach meiner Hand und gemeinsam folgen wir Gabriel und Michael.
Als wir das Innere der Kathedrale betreten schnappe ich verzweifelt nach Luft. Der Anblick der sich mir bietet ist atemberaubend. Diese Kathedrale ist fast noch schöner als der Petersdom in Rom. Vielleicht ist diese Kathedrale noch größer als der Sitz des Papstes. An der Decke sind wundervolle Zeichnungen. Mit weit geöffneten Augen sehe ich mir die Bilder an. Es sind Menschen abgebildet, Fabelwesen und die Natur. Aber etwas fehlt mir bei diesen Bildern. Irgendetwas ist andres als bei den Kirchen bei mir zu Hause. Ich stehe da, mit dem Blick zur Decke und grüble nach. Aber ich komme nicht darauf. Dann wende ich meinen Blick wieder nach vorne. Im hinteren Teil der Kirche steht aber kein Altar so wie ich es gewöhnt bin. Nur hier und da stehen einige Ständer auf denen kleine rote Kerzen brennen. Und auf dem Marmorboden liegen überall große Sitzpolster. Dieser Ort strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Ruhe überträgt sich auf mich und ich entspanne mich.
„Wie können nachher noch einmal hierher kommen! Dann ist auch Gebetszeit und hier sind mehr Leute!“, sagt Gabriel und wendet sich zum Gehen. Ich bleibe noch einige Augenblicke stehen und versuche mir alles einzuprägen. Ich will hier noch nicht weg. Am liebsten würde ich für immer hier bleiben. Ich nehme Kais Hand und gemeinsam folgen wir Gabriel und Michael.
Wir treten wieder aus der Kathedrale heraus und folgen Gabriel und Michael. Diese Stadt erinnert mich sehr stark an meine eigene Heimatstadt. Viele Dinge sind hier gleich. Und doch ist es anders. Ich grüble die ganze Zeit und versuche zu finden was mir an dieser Stadt fehlt. Jetzt laufen wir schon einige Zeit durch diese wundervolle Stadt. Ich bin verzaubert von ihr. Ich stehe neben Kai und lasse meinen Blick wieder über meine Umgebung gleiten.
Doch plötzlich dringt ein lauter Knall an mein Ohr und ich werde zu Boden geschleudert. Kai lässt meine Hand los und ich pralle hart am Boden auf. Steine regnen auf mich nieder und treffen schmerzhaft meinen Körper. Doch das ist mir egal. Ich springe auf, sehe zuerst zu Kai der am Boden liegt und dann in den Himmel. Meine Augen weiten sich und treten hervor, meine Pupillen werden klein und das Blut rauscht in meinen Ohren.
Ich kann es nicht fassen. Ich kann es nicht glauben! Das darf nicht wahr sein!!!!! Wie zu Stein erstarrt stehe ich da und sehe in den Himmel. Doch plötzlich trifft etwas hartes fest meinen Kopf und ich sinke zu Boden. Mir wird für kurze Zeit schwarz vor Augen.
„Nini, ist dir etwas passiert?“ holt mich eine Stimme aus der tiefen Schwärze zurück.
Ich hebe stöhnend meinen Kopf und blicke Kai an. In seinen Augen kann ich Furcht und Verständnislosigkeit erkennen. Kai hilft mir auf die Beine. Ich lehne mich leicht gegen ihn und sehe mich um. Um uns herum stehen Häuser in Flammen oder sind total zerstört. Plötzlich steigt Wut und Hass in mir hoch. Ich weiß wer das getan hat. Und ich weiß wer ihnen dabei geholfen hat.
„Sie haben die Kathedrale halb zerstört!“ Gabriel steht plötzlich neben uns: „Wir müssen euch leider alleine lassen, um uns um die Verletzten kümmern zu können!“ Ich sehe Gabriel an und merke wie schlecht es ihm geht. Doch bevor ich etwas sagen kann ist er verschwunden.
„Lass uns auch mithelfen!“ meine ich. Meine Stimme ist schwach und leise. Doch nur meine Stimme ist schwach. Ich spüre wie Hass, Wut und Trauer meinen Körper in Besitz nimmt.
„Vielleicht sind in der Kathedrale einige verschüttet!“ ruft Kai und läuft los. Ich setze mich auch in Bewegung und laufe ihm nach. Immer wieder werfe ich Seitenblicke neben mich. Der Rauch des Feuers brennt und treibt mir die Tränen in die Augen. Mit meinem Unterarm fahre ich über mein Gesicht und wische die Tränen ab. Und plötzlich knalle ich gegen Kai. Mit schmerverzerrtem Gesicht stelle ich mich neben ihn und folge seinem Blick. Mitten im Trümmerfeld sitzt ein kleiner Junge und hält eine Frau mit langen braunen Haaren im Arm. Das Gesicht der Frau ist durch ihre Haare verdeckt. Der Junge versucht seine Mutter aufzuwecken doch es ist vergebens. Tränen laufen über seine mit Blut und Dreck beschmierten Wangen und seine kleiner Körper zittert. Ich wende meinen Blick zu Kai und erschrecke. Er steht bewegungslos da und sieht mit leerem Blick zu dem Jungen. Ich weiß dass Kai sich in dem Jungen sieht. Er hat mir über seine Vergangenheit erzählt. Ohne lange zu überlegen schlinge ich meine Arme um ihn und flüstere ihm Worte ins Ohr. Ich merke wie Kai sich ein wenig entspannt und sein Blick nicht mehr leer ist.
Er sieht mich an und ich erkenne Tränen in seinen braunen Augen.
„Los komm. Wir müssen helfen!“ meint Kai, nimmt mich bei der Hand und gemeinsam klettern wir über die Trümmer.
Ich sehe Gabriel in einer Ecke Felsbrocken wegzerren und Michael Verletzte auf Tragen legen.