ihm, will ihm vor Freude um den Hals fallen, doch er sieht mich nicht. Seine Augen sind trübe, ohne jedes Feuer, sein einst stolz erhobener Kopf ist wie von schweren Lasten gesenkt. Was haben sie mit ihm gemacht?
„DRANZER!!!“ Der Schrei dringt aus meiner Kehle, meine Finger wollen sich in seinem Gefieder vergraben, doch sie gleiten hindurch. Ganz kurz lodert etwas in Dranzers Augen auf, als habe er meinen Schrei gehört, als wüsste er, dass ich da bin, doch sofort erlischt es wieder. Tränen laufen meine Wangen hinunter. Ich merke, wie ich von hinten umarmt werde und höre Ninis Stimme flüstern: „Das ist deine Welt? Hierhin wolltest du zurück?“ Ich höre dass sie versucht mich zu verstehen, aber auch ihre Verletztheit.
Ich nehme Ninis Hand und gehe mit ihr weiter. Auf dem Weg begegnen wir Schülern. Sie blicken alle auf den Boden, ihre Mimik ist erloschen, ihre Körper ausgelaugt. Ich habe die anderen Schüler nie beachtet, war immer zu sehr mit mir selbst beschäftigt, deshalb ist mir noch nie aufgefallen wie schlecht es hier allen geht. Ich führe Nini in mein Zimmer. Ein kleines Zimmer ohne Fenster mit einem Bett einem Schrank und einem Tisch mit Stuhl. Obwohl solch ein Zimmer nicht persönlich sein kann, erkenne ich sofort, dass hier nun jemand anderes wohnt. „Nun ist es nicht mehr meins“, kommt über meine Lippen. Nini sieht mich verständnisvoll an. Dann fragt sie traurig: „Was ist dir in der anderen Welt schlimmes passiert, dass du wieder in diese schreckliche Welt zurück willst, dass du von mir wegwillst?“
Die Erinnerungen kommen zurück und mit ihnen die Schmerzen. Soll ich es Nini wirklich zeigen? Was wird sie von mir denken? Wird es sie nicht noch mehr verletzen? Doch als ich in ihre Augen schaue sehe ich Entschlossenheit. Sie will es also sehen.
Ich konzentriere mich, versuche die Bilder aus meinem Gedächtnis heraufzubeschwören. Und tatsächlich, es klappt! Nun befinden wir uns wieder in der Stadt. In der brennenden zertrümmerten Stadt, doch mein Blick gilt einzig und allein mir und dem schwarzen Licht. Noch deutet nichts darauf hin, was ich gleich machen werde, welches Verbrechen ich begehen werde. Und dann. Ich sehe mich nach der Waffe greifen, spüre, wie ich von den Schmerzen erfasst werde. Der Schuss tönt und die Welle rollt über mich, reißt mich in die Tiefe. Meine letzten Gedanken bevor mich die Schwärze umhüllt sind: Was wird Nini jetzt tun, wie wird sie sich verhalten und in welcher Welt werde ich aufwachen? Werde ich überhaupt wieder aufwachen? Ist diese Schwärze nicht viel besser? Ich lasse mich einfach fallen und werden ohne Gedanken, ohne Schmerzen, Erinnerungen, ohne meine Persönlichkeit davongetragen.
(???-Sicht)
„Wie konnte das passieren?“ Er sieht mich vorwurfsvoll an. Sofort senke ich meinen Blick und antworte: „Wir hätten auch nicht gedacht, dass er so labil ist! Dass mit seiner Vergangenheit ist eine Sache, aber es muss einen Grund geben, warum er so ausgetickt ist! Kennt ihr ihn?“ Fragend schaue ich ihn an, doch er schüttelt nur den Kopf: „Ihr hättet es aber auch nicht so heraufprovozieren sollen! Ihr habt ihn zu sehr mit seiner Vergangenheit und den neuen Geschehnissen konfrontiert! Aber jetzt können wir nichts mehr ändern. Versucht das beste aus der Situation zu machen!“
„Ja, und zum Glück haben SIE die beiden ja wieder zur Vernunft gebracht. Ich hätte nicht gedacht, dass SIE so stark auf Nini und Kai reagieren. Wenigstens wissen wir jetzt wirklich, dass sie die Richtigen sind!“, sage ich.
(Talas Sicht)
Ich muss heftig schlucken. Ohne dass ich etwas dagegen machen kann, beginnt mein Herz schneller zu schlagen, fängt mein Puls zu rasen an und kleine Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Im Türrahmen steht eine großgewachsene Gestalt. Ich kann leider das Gesicht nicht erkennen da hinter der Person helles Licht strahlt. Ich sehe mit die Konturen der Gestalt genauer an. Sie ist ziemlich groß und hat sehr breite Schultern. Die Muskeln zeichnen sich deutlich ab. Ich nehme an dass es sich um einen Mann handelt. Als diese Person einen Schritt auf Jenny und mich zumacht, kommt es mir so vor als würde der Boden erzittern.
Schließlich steht der Mann vor uns. Lange schwarze Locken umrahmen sein Gesicht und kleine braune Augen blitzen freundlich auf. Auf der linken Wange ziert eine große länglich nach unter verlaufende Narbe sein Gesicht. Seine schmalen, spröden Lippen sind zu einem Lächeln geformt. Sein Ruhiger dennoch strenger blickt ruht auf mir. Ich stehe da, und starre den Mann an. Seine schwarze Robe ist nur Knielang. Darunter trägt er eine graue Hose und schwarze Stiefeln.
„Ich bin Viktor. Von heute an werde ich euch den Umgang mit eurer Waffe lehren. Ich werde euch zeigen wie man sie richtig bedient, wie ihr mit ihr umgehen müsst und wie ihr sie pflegen müsst.“ Sagt Viktor. Ein Schauer läuft mir über den Rücken als ich seine Stimme höre. Sie ist tief, brummig, und dennoch warm. Wo er diese Narbe wohl her hat? Wie er sie bekommen hat? Was hat Viktor für einen Grund auf dieser Seite zu stehen? Warum hat er sich Uriel und Raphael angeschlossen? Für mich sind die beiden die Redensführer. Sie sind für mich so eine Art Oberhaupt. Sie planen, organisieren und achten auf jede Kleinigkeit. Die anderen „Lichter“ vertrauen ihnen bedingungslos. Raphael und Uriel genießen ein besonderes Ansehen bei den anderen. Ich frage mich wieso und weshalb. Was haben die beiden das andere nicht haben?
„Heute werden wir erst mal Theorie machen. Ich werde euch zunächst mal erklären wie ihr eure Waffen pflegen müsst. Es ist sehr wichtig dass ihr den Heilstein immer „aufladet“. Sie haben besondere Kräfte die eigens auf eure Persönlichkeit, auf euren Charakter abgestimmt sind. Ihr seht den Griff in der Mitte des Stabes?! Wenn ihr mit dem kleinen Finger einen Zentimeter nach rechts rutscht dann spürt ihr eine kleine Einkerbung. Legt euren Finger da drauf und drückt zwei mal fest dagegen.“ Gibt Viktor seine Anweisungen.
Ich wende meinen Kopf zu Jenny und sehe sie ein wenig skeptisch an. Auch sie sieht mir misstrauisch in die Augen, nickt dann aber. Ich hole noch tief Luft und mache dann was mir geheißen. Plötzlich klappen sich über die beiden spitzen Enden eine Art Schutzklappen und der Stab wird länger. Dann wird der Raum in dem wir uns befinden hell erleuchtet. Ich hebe geblendet meine Hand. Als ich sie wieder senke ist das Leuchten verschwunden und Viktor sieht uns beide geschockt an. Aber ich sehe keinen Stein. Nicht im Stab, noch in meiner Hand. Ist er vielleicht durchsichtig?
„Das ist nicht zu fassen. Ihr beide habt es beim ersten Mal geschafft eure Steine aufzuladen. Ich fasse es nicht. Das ist ein Wunder. Noch nie hat das jemand geschafft. Ihr beide seid Naturtalente!“ strahlt Viktor zufrieden als er sich wieder gefangen hat.
Wir verbringen noch einige Stunden mit Viktor. Er erklärt uns alles Wichtige. Wie wir die Waffe richtig halten müssen, wie wir sie abfeuern können und wie wir sie pflegen müssen.
„Morgen werden wir dann beginnen auf Ziele zu schießen. Ich bin gespannt ob ihr wirklich solche Naturtalente seid. Ich freue mich schon auf morgen.“ Verabschiedet sich Viktor von uns. Kau hat er den Raum verlassen stehen auch schon zwei Lichter vor uns und führen Jenny und mich in den Speisesaal. Jenny geht neben mir. Ich kann nicht anders und fasse nach ihrer Hand. Sie sieht mich zuerst ein wenig verwundert an, lächelt dann aber glücklich.
Gemeinsam betreten wir den Speisesaal wo uns schon Raphael und Uriel erwarten.
„Da seid ihr ja. Na wie habt ihr euch geschlagen? Habt ihr alles verstanden? Wenn ihr Fragen habt stehen wir euch gerne zur Verfügung.“ Meint Uriel und bittet uns Platz zu nehmen.
„Ich hätte eine Frage!“ meint Jenny und setzt sich neben mich.
„Und die wäre?“ Raphael lächelt sie an. Irgendwie stört es ich ganz gewaltig wenn er sie so anlächelt. Warum grinst der Typ denn so blöd? Kann er ihr nicht ganz normal eine Antwort geben? Muss er sich so dumm anlächeln? Ich spüre wie Wut in mir hochsteigt. Aber warum? Bin ich etwa....nein das kann nicht sein...das gibt es doch nicht. Bin ich wirklich eifersüchtig? Jenny bemerkt meinen Blick und drückt meine Hand. Hat sie es etwa bemerkt? Kann sie fühlen was ich empfinde? Ein wenig verwirrt schüttle ich leicht den Kopf.
„Ich wollte fragen, ob es etwas Neues von Kai und Nini gibt??!“
Genau das selbe wollte ich auch schon fragen. Habe es dann aber gelassen, da es sonst nur wieder Fragen geben wird. Und darauf kann ich im Moment echt verzichten.
„Ja, in der Tat. Da gibt es Neuigkeiten. Wir werden es euch nach dem Essen zeigen. Denn sonst, so glaube ich, würde es euch den Appetit verschlagen.“ Meint Uriel ein wenig betrübt. Was ist mit Kai und Nini? Was ist denn jetzt passiert? Panik macht sich breit und versucht meinen Körper in ketten zu legen, doch ich schüttle den Kopf. Jenny und ich werden unsere beiden Freunde befreien. Mit allen Mitteln. Um jeden Preis. Dafür werden wir sorgen! Und so esse ich das Abendessen. Doch meine Gedanken kreisen nur um Kai und Nini. Eine dunkle Vorahnung macht sich in meinem Herzen breit. Wie ein Schatten überzieht es mein Herz. Ich sehe zu Jenny hinüber. Auch ihr geht es nicht besser. Ihre wunderschönen Augen sind trübe und sorgenvoll. Ich kann verstehen was in Jenny vorgeht. Auch mir ergeht es gleich. Ich seufze und esse still zu ende. Als wir das Essen beendet haben, führen uns Uriel und Raphael wieder in den Saal. In den Saal, in dem wir auch schon das Video gesehen haben. Ich drücke Jennys Hand und bringe ein gequältes Lächeln zustande.