Fanfic: Wenn rote Erde brennt
Nackenhärchen auf. Was es für eine Wunde geben würde, wenn sich dieses harpunenartige Geschoss in einen Menschen vergrub, wollte sie sich lieber nicht ausmalen.
Plötzlich erstarrte sie. Draußen hatte ein Zweig geknackt, sie hatte es deutlich hören können. In dem rechteckigen Sonnenfleck, den die Tür ins Innere des Schiffes warf, tauchte ein Schatten auf. Charly presste sich näher an die Wandung und starrte wie gebannt auf die breitschultrige Silhouette, deren Kopf eine eigenwillige Form besaß. Tausend Gedanken bahnten sich den Weg durch die Axone in ihrem Gehirn, während sie sich langsam an der Wand nach oben schob, den Pfeil fest umklammernd. Ein Gedanke manifestierte sich, wurde klarer, bestimmter: der Pfeil in ihrer Hand würde zu ihrer Verteidigung dienen, egal wer oder was da zur Tür herein kommen würde.
Sie ergriff den Schaft so, dass eine abwärts gerichtete Bewegung ihres Unterarmes die messerscharfe Spitze auf ihren Widersacher zuschnellen ließ. Mit erhobenem Arm und wild klopfendem Herzen stand sie neben der Tür und harrte der Dinge, die da kommen würden...
Als erstes sah sie eine Hand, die den Rahmen der Luke ergriff, dann ein Bein, dass hereintrat. Zitternd verstärkte sie den Griff um den jetzt plötzlich viel zu dünn erscheinenden Pfeil. Schließlich zog die Hand einen muskulösen Oberkörper durch die Luke. In diesem Moment schloss Charly die Augen und stieß zu.
Eisern schlossen sich Finger um ihr Handgelenk und stoppten so den halbherzigen Angriff, dazu erklang ein verblüfftes und zugleich beschwichtigendes: „Woah!“ Dann wurde sie mit einem Ruck hinaus in den Sonnenschein gezogen, der nach dem kühlen Schatten im Schiff erschreckend heiß auf ihre nackten Schultern fiel. In einem letzten Aufbäumen öffnete Charly die Augen und umfasste den Pfeil, den sie noch immer in der Hand hielt, wieder fester. Sie sah nach oben und erstarrte.
Ihr Spiegelbild blickte ihr aus den zwei grünen Gläsern einer ihr wohlbekannten Sonnenbrille entgegen. Ihr Blick schweifte müde über die mit gelbbraunem Fell überzogenen Züge, bis hinunter zu den Lippen, die ein ernüchterndes: „Charlie.“, ausprachen. Eher mechanisch antwortete sie: „Rico?“, dann gaben ihre Beine nach. Die ganze Anspannung der letzten Minuten wich von ihr, löste sich auf und sie sank in eine wunderbar ruhige Dunkelheit hinab.
„Du hast sie verfehlt.“ Spott und leichter Zorn schwang in der eigentlich wohl klingenden Frauenstimme mit. Eine männliche Stimme knurrte: „Ja, aber sie hat sich geduckt. Das konnte ich nicht ahnen. Der Schuss hätte gesessen.“ Er schien sich verteidigen zu wollen. „Hätte.“, spöttelte die Frau weiter. Ihr Gegenüber knurrte nur. Die beiden hockten auf den mittleren Ästen einer kräftigen Buche, die den Absturz des Schiffes unbeschadet überstanden hatte und zwischen deren Wurzeln die fehlende Flosse lag. Eine dritte, sehr junge Stimme fragte: „Was sollen wir tun? Runter gehen und sie erledigen?“
Die Frau lachte leise: „Kleiner, wenn wir immer erst schießen bevor wir reden, sind wir nicht besser, als die <i>Nirgrida</i>.“, dabei warf sie ihrem anderen Begleiter einen flüchtigen, aber leicht bösen Blick zu. Dieser beachtete sie kaum. Der Dritte verstummte und blickte stumm zu dem Schiff hinüber, mit dem sie gelandet waren. Plötzlich entwich ihm ein „Schau!“, aber ein Blick auf seine Gefährten und er wusste, dass sie die drei Neuankömmlinge bereits erspäht hatten.
„<i>Nirgrida</i>“, knurrte sie düster, während eine vierte Gestalt behende zu den Dreien hinauf kletterte. Der Mann flüsterte leise, aber scharf: „Solltest du nicht unten bei den anderen bleiben?“, doch da fiel ihm die andere Frau ins Wort. An den Neuankömmling gewandt fragte sie: „Kennst du einen von denen?“ Ohne Worte hob die andere ihr Fernglas an die Augen und musterte die drei fremden, die in Motorradkluft bei Schiff standen und sich um den Menschen kümmerten, den ihr Mitstreiter angeschossen hatte. Schließlich ließ sie das Fernglas sinken und nickte. „Ja, alle drei.“, erwiderte sie kurz und setzte in zwei Sprüngen wieder von den Ästen der Buche hinunter auf den Waldboden.
Die Drei in luftiger Höhe wechselten kurze Blicke. „Was nun?“, wollte schließlich der Jüngste wissen. Die Frau erwiderte: „Nichts. Wir warten ab.“, damit setzte sie ihr Fernglas wieder an die Augen und konnte gerade noch sehen, wie die drei Biker den Menschen wegbrachten. Langsam ließ sie es wieder sinken und blickte weiter auf die Stelle, wo die Vier verschwunden waren. Geräuschlos verschwanden ihre beiden Gefährten nach unten durch das Blätterdach, doch sie kletterte ihnen erst nach, als von unten ihr Name erklang, der sie aus ihren Gedanken riss.
Mit zwei Sprüngen stand auch sie bei der kleinen, schäbig aussehenden Gruppe. Die vier Soldaten, die man ihnen zum Schutz für die Kinder mitgegeben hatte, waren selbst noch halbe Kinder und schauten sich ebenso verängstigt um, wie jene, die sie schützen sollten. Der Großteil der Gruppe bestand aus Kindern oder Alten, nur die junge Frau selbst und ihre drei Begleiter waren aus dem Schulalter heraus und trotzdem noch jung genug, um nicht an irgendeinem Gebrechen zu leiden. „Und was jetzt?“, wollte eine ältere Frau wissen, „Kamyra, wir müssen eine Bleibe finden, die Kinder holen sich hier draußen den Tod.“, und sie wies auf die kleinsten, die bereits am Boden saßen und wegen der Hitze schwer atmeten. Kamyra nickte. „Ich weiß. Bleibt ihr hier, wir suchen eine geschützte Stelle beim Wasser, wo wir ein Notlager aufschlagen können.“ Damit verließen sie und eine weitere Frau die Gruppe.
Schweigend stiegen die beiden über umgestürzte Bäume, Felsen und bahnten sich einen Weg durch dornige Gebüsche, bis sie vor sich die blaue, glitzernde Fläche des Sees durch die letzten Bäume schimmern sahen. „Das ist der See, den wir gesehen haben, nehme ich an.“, bemerkte Kamyra, um überhaupt irgend etwas zu sagen. Ihre Begleiterin stimmt nur mit einem leisen „Hm.“, zu. Kamyra betrachtete sie eine Weile von der Seite, bis die andere schließlich den Kopf wand und ihr direkt in die Augen sah. „Was ist?“, wollte sie wissen. Kein abweichender Ton in ihrer Stimme verriet etwas über ihre momentanen Gefühle. Sie klang weder gereizt, noch gelangweilt oder traurig. Diese beiden Worte entwichen ihren fein geschwungenen Lippen in einem so monotonen Tonfall, dass Kamyra fast vergaß zu antworten. Ebensogut hätte Kamyras Begleiterin auch nichts sagen können, es hätte den gleichen Eindruck hinterlassen, die gleiche leere Stille. „Nichts.“, beeilte sich Kamyra zu sagen.
Sie gingen weiter, hielten sich dabei im Wald, aber dennoch in Ufernähe. Doch dann kamen sie aus dem Wald heraus auf eine Wiese, deren Gewächse den beiden Frauen bis zu den Hüften reichten. „Carbine?“ Der Name ihrer Mitstreiterin klang für Kamyra immer noch fremd und fühlte sich ungewohnt hart auf ihrer Zunge an, die nur die weiche Sprache ihres eigenen Volkes kannte. Angesprochene drehte sich um. „Ja?“ – „Hier muss ein Fluss oder zumindest eine Quelle sein. Sieh dir die Wiese an. Trotz der Hitze und Trockenheit ist sie saftig und grün.“ Carbine nickte langsam, so als würde sie jedes Wort auskosten, auswerten und auf ewig in ihrem Gedächtnis abspeichern. Kamyra wunderte sich immer wieder über diese Frau.
Sie kannten sich noch nicht lange. Carbine war eine Kriegsgefangene gewesen, eins der Opfer des sinnlosen Kampfes ihres Volkes mit dem Kamyras. Man hatte sie schwer verletzt in das Kriegsgefangenenlager gebracht, wo sich Kamyra Carbines angenommen hatte. Als ausgebildete Heilerin musste sie ausnahmslos jedem helfen, sei es nun Freund oder Feind, und so hatten die Helfer Carbine nach Kamyras Anweisungen wieder zusammen geflickt. Jetzt verdeckte das dunkel grau-braun schimmernde Fell Carbines die alten Narben, nur eine war deutlich zu sehen: das Brandmal auf ihrem bloßen Oberarm, das Zeichen der Zwölf.
Kamyra folgte ihrer Schülerin, denn zu dem war Carbine in der kurzen Zeit, die sie sich kannten, geworden, durch das endlose Grasmeer weg vom See. Plötzlich blieb Carbine stehen. „Hörst du das?“, fragte sie und ihre Ohren zuckten nach Bestätigung heischend. Kamyra lauschte in die Ferne. Ihre Ohren waren kleiner als die Carbines, da sie nicht wie die diese in einer Wüstengegend leben musste. Doch dann konnte auch sie es hören: ein leises, aber stetiges Rauschen, leicht zu überhören, aber dennoch allgegenwärtig. Die beiden setzten sich wieder in Bewegung und setzte Kurs nach Gehör. Bald wurde das Rauschen lauter, schwoll immer weiter an und endete schließlich in einem Getöse, als Carbine und Kamyra am Ufer des wild durch sein Bett stürzenden Flusses ankamen.
„Perfekt.“, erklärte Kamyra zufrieden, noch bevor Carbine überhaupt die Frage aussprechen konnte,