Fanfic: Sternensuche
Kapitel: 1
Es wäre unvernünftig, von einer Person zu erwarten, dass sie sich an etwas erinnert, von dem sie nicht weiß, dass es stattgefunden hat.
Ich habe es nicht von ihm erwartet und ich habe ihn auch niemals gefragt um nicht noch mehr im Grauen zu versinken.
Trotzdem schwebte an diesem Tag das Gespenst meiner Vorstellungskraft grau und zäh wie nasser Zement vor meinen Augen hin und her und ließ sich nicht vertreiben, so sehr ich mich auch in die hinterste Ecke meines Bewusstseins verkroch.
Sein Mund auf ihrem. Seine Hüften, die sich zwischen ihren gespreizten Beinen auf und ab bewegten.
Seine Hand auf ihrer Brust und ihren Schenkeln.
Ich dachte an ihren heißen Atem, der sich mit seinem vermischte und musste mich fast übergeben.
Als er erfuhr, was die falschen, so ekelerregend falschen Gefühle in ihm gemacht hatten, hat er sich übergeben. Verständlicherweise.
Wer will schon erfahren müssen, etwas geliebt zu haben, was man dafür hasst?
Niemand. Und erst recht nicht Ranma.
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STERNENSUCHE I.
eine Ranma ½- fanfiction
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Mein erster Himmel war aus Pappe.
Es war der rechteckige Innendeckel eines großen, leeren Kartons auf den mir meine Mutter mit blauer und gelber Farbe einen Nachthimmel gemalt hatte, damit ich die Sterne auch sehen konnte, wenn es draußen schlechtes Wetter oder neblig war.
Davor war ein tiefroter Vorhang, durch den man reinkrabbeln konnte.
Ich liebte diesen Karton.
Wenn es draußen grau und dunstig war oder wenn mir das Grollen des Sturmes vor meinem Fenster Angst machte, verkroch ich mich in den Karton. Das leise, beruhigende Rascheln des Stoffes und die grauen, flauschigen Wollmäuse die in dem Karton lebten, wurden meine Freunde und ich blieb bei ihnen, bis sich das Unwetter gelegt hatte.
Er wurde für mich zum Inbegriff der Geborgenheit und des Schutzes vor allen Gefahren.
Immer spielten meine Mutter und ich mit diesem Karton, unter unserem eigenem Himmel.
Solange wir dort waren, lebten wir hinter einer dicken Mauer, die unsere eigene Welt von der wirklichen Welt trennte, und ich war nicht bereit sie jemals aufzugeben.
Als meine Mutter starb, stand ich plötzlich mit meiner Mauerhälfte alleine da und stellte erschrocken fest, dass eine halbe Mauer gar keine Mauer ist und ich in der Wirklichkeit war.
Ich gab den Karton auf.
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Früher oder später wächst jeder Mensch aus seinem Karton heraus, aus der Geborgenheit und selbsterdachten Wahrheit, aus der Unbesorgtheit, zu der nur Kinder fähig sind.
Die Welt wird größer.
Zuerst bestand meine Welt nur aus unserem Haus mit dem Karton, unserem Garten und der Straße mit ihren Bewohnern, wie Frau Watanabe, die klein und fast durchsichtig war und jeden Morgen mit einer hölzernen Schöpfkelle die Straße vor ihrem Haus wässerte.
Dann kam zuerst der Zebrastreifen hinzu, dann 85 Meter weiter um die Ecke, die zum Blumenladen führte, danach quer durchs Zentrum zum Spielplatz auf dem kleinen Berg.
Östlich von diesem kleinen Berg gab es neben dem Spielplatz mit der alten Holzschaukel um die sich immer alle Kinder stritten, einen Park.
Ich zumindest nenne es einen Park, eigentlich war es nur eine versteckte Lücke zwischen den Bäumen, wo eine einsame, schon altersschwache Holzbank stand, und wo in der Nacht der silberne Mond über den Wipfeln der unendlich hohen, schwarzen Fichten aufging.
Das wurde mein neuer Himmel.
Jeden Abend saß ich allein auf der Bank und beobachtete den Fluss, der sich als silberner Strom zwischen den Bäumen hindurchschlängelte und auf dessen schwarzer Oberfläche sich das Licht des Mondes und der Sterne spiegelte. Ein verschwommener zweiter Himmel mit einem zerbrochenen Mond und herabgefallenen Sternen.
Der Fluss, in dem meine Träume schwammen.
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Irgendwann kam Ranma dazu, in mein Leben, in meinen Himmel.
Plötzlich, wild und unberechenbar.
Und irgendwie gab er mir die Möglichkeit, wieder unbesorgt zu sein, auf eine seltsame, unterschwellige Art.
Eigentlich kamen mit ihm nur mehr Probleme, andere Verlobte, heiratswütige Väter, unterwäschestehlende Mitbewohner, eifersüchtige Verehrer, Feinde auf Leben und Tod, aber ich wusste, dass Ranma in meiner Zukunft für mich da sein würde und dass etwas auf mich wartete, dass ich erreichen konnte.
Als Kind ergriff mich immer Panik, wenn mein späteres Leben als Erwachsene ins Gespräch kam, die `Zukunft`. Sie, die mich von meinen Schwestern, meiner Kindheit trennen würde, meinem bisherigen Leben, wie sie es immer mit Familien macht.
Mit der Zeit ließ die Angst nach. Ranma wäre eine neue Familie. Was nicht heißen soll, dass ich mir das eingestand, nein, aber das Wissen war da und es beruhigte mich.
Man kann sagen... ich war glücklich oder hatte zumindest die Möglichkeit, es zu werden.
Das war natürlich damals. Vor dem Grauen.
Danach... danach schien keiner mehr das Recht zu haben, glücklich zu sein.
Wir mussten es alle wieder lernen. Und wir mussten lernen, es lernen zu wollen.
Zuerst erreichte das Grauen Mousse. Mousse, der sie fand und Mousse, der daran verzweifelte, dass Shampoo lieber eine von ihr erlogene Liebe wollte als seine aufrichtige.
Dann kamen wohl Ranma und ich. Ranma, der nicht verstehen konnte warum seine Liebe zu mir ihn nicht aufgehalten hatte und in ein tiefes, dunkles Loch fiel, ich, die versäumte ihn herauszuziehen. Für eine lange, sehr lange Zeit.
Im Grunde waren es nur ein paar Tage. Aber ein paar Tage können Menschen zerbrechen, ihre Seelen durchbohren, ihre Gefühle erdrücken, können sie dazu bringen, die Verbindung zu sich selbst und allen anderen abzubrechen... können sie sterben lassen, auf eine vielschichtige Art und Weise, die viel schlimmer ist als der physische Tod.
Ich habe gelitten, ja. Weil er litt.
Mein eigener Schmerz peinigte mich. Seiner brach mir das Herz.
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An einem sonnengefluteten Dienstag im April hat es begonnen, doch noch viel mehr hat an diesem Tag geendet.
"Greif mich endlich richtig an!", brüllte ich und starrte ihn wütend an. Das Sonnenlicht hinter Ranma blendete mich und ich musste die Augen mit der Hand abschirmen.
Es ärgerte mich, dass er wieder nur auswich, anstatt richtig mit mir zu trainieren wie er es mir versprochen hatte.
Es waren die Frühlingsferien, sonnige, helle Frühlingsferien und es hätte Ranmas und mein Frühling werden sollen.
Nachdem Shampoo überraschend nach China zurückgekehrt war, Mousse und eine reichliche Portion Enttäuschung im Schlepptau, hatte sich die Situation zwischen Ranma und mir verbessert. Keiner von uns beiden wusste, warum sie gegangen war, aber durch diese eine Verlobte weniger schien sich ein Knoten zwischen uns zu lösen.
Wir beiden wussten das ohne es jemals auszusprechen und vor allem genossen wir die Nähe des anderen. Es war nicht so, dass ich Shampoo gehasst hätte, jedenfalls damals noch nicht, aber sie war nunmal die einzige wirkliche Konkurrentin, die ich hatte und sie war die einzige, die Ranma mit einem nahezu irrationalen Besitzwunsch verfolgte. Ukyo liebte ihn ehrlich und stark, ja, aber sie war fair. Und sie wusste, dass Liebe nur gilt, wenn beide sie erwidern.
Ob Shampoo Ranma liebte oder ob sie sich wegen ihren Amazonengesetzen dazu zwang ihn zu lieben, wusste keiner. Vielleicht war sie auch nur in die Liebe zu ihm verliebt, aber sie setzte auf alle Fälle alles daran ihn zu bekommen.
Das war natürlich nicht die einzige Sache, die ein Näherkommen von Ranma und mir verhindert hatte, wir standen uns immer noch selbst im Weg, aber ich denke, dass wir uns selbst eine letzte Chance gaben.
Jetzt oder nie.
Ranma rang sich dazu durch, mich zu fragen ob wir in den Ferien nicht zusammen trainieren wollten, damit ich stärker wurde (und wir vor allem mehr Zeit miteinander verbringen konnten, was er allerdings nicht laut aussprach) und ich rang mich dazu durch, einfach das zu machen was ich in diesem Moment wollte, diesmal ohne dass mein Stolz mich dazu brachte auszurasten und ihm eine dafür runterzuhauen, dass er mir praktisch unterstellte ich sei zu schwach.
Ich sagte ja, schenkte ihm ein kleines Lächeln und er lächelte genauso befreit zurück. Befreit vom falschen Stolz.
Wir wählten den Park zum Trainingsplatz aus, aus dem einfachen Grund, dass man die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Wärme am besten ertragen konnte, wenn man sich in der Nähe von Wasser aufhielt.
Das Dojo erinnerte mehr an eine Sauna, die Klimaanlage war kaputt und mein Vater natürlich nicht bereit sie reparieren zu lassen. "Kämpfst du jetzt richtig oder nicht?! Hast du Angst, dass ich dir wehtun könnte, ein schwaches, kleines Mädchen wie ich?", schrie ich ihm entgegen. Er stand ein paar Meter entfernt am Ufer des Flusses, der grünblauschmimmernd und heimelig glucksend die Wiese durchfloss.
"Ich kämpfe aber nicht gegen Mädchen!"
"Du hast einfach nur Angst! Ich habe noch nie gegen dich verloren!"
"Weil ich noch nie richtig mit dir gekämpft habe! Ich könnte dich jederzeit schlagen!"
"Dann tus doch endlich!"
Ranma schien zu zögern.
"Verlierer! Ich gewinne eh!"
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und ich musste innerlich grinsen. Es klappte.
"Wenn ich jetzt richtig kämpfe, dich besiege, gibst du dann ein für alle Mal zu, dass ich- ein Junge- stärker bin als du?", sagte Ranma sehr langsam. Er schaute mich an, ein Glitzern in den Augen, das ich nicht deuten konnte. Leicht verwirrt nickte ich und nahm meine Kampfposition wieder ein.
"Und ich darf alles machen? Ein Kampf um `alles` oder nichts?"
"Äh...ja..."
"Gut." Zufrieden nickte er auch und verlagerte sein Gewicht auf das vordere Bein. Meine Sinne konzentrierten sich auf ihn, alles außerhalb es Kampfes rückte ab in die Bedeutungslosigkeit. Ich wollte ihn schlagen, ich MUSSTE ihn schlagen. Meine Augen fixierten seinen angespannten, gestrafften Körper vor mir und ich wartete auf