Fanfic: "Der Rosenkavalier" oder "Shinichis größter Konkurrent" (Teil 8)
gezögert, ob sie seine Einladung annehmen sollte. Obwohl sie Shinichi viel länger gekannt hatte als Yukio, hatten sie und ihr Schulfreund nie eine Nacht zusammen verbracht. Ging das nicht alles etwas schnell? Er bemerkte ihr Zögern wohl, denn nach einer Weile meinte er beschwichtigend: „Keine Angst! Es wird nichts geschehen, was du nicht willst.“
Da wurde ihr klar, dass sie bei Yukio ohnehin schon viel weiter gegangen war als bei Shinichi. Gott, sie hatte ihn schließlich zuerst geküsst! Da konnte sie den letzten Schritt auch noch wagen. Habe ich mir das außerdem nicht die ganze Zeit gewünscht? Sie dachte an das zurück, was sie unmittelbar nach dem Ball gefühlt hatte: Spürte sie mit Yukio nicht eine neue Zeitrechnung für sich anbrechen? Sah sie nicht einen zaghaften Streifen Licht durch die Wolken brechen, wo vorher nur Düsternis und Ausweglosigkeit geherrscht hatten? Sie hatte ihm zugesagt.
„Gut. Ich erwarte dich um sieben. Ich bin sicher, der Abend wird dir gefallen.“ Diese Worte, die Yukio ihr zum Schluss ins Ohr gehaucht hatte, flatterten Ran noch immer im Kopf umher. Er hatte ihr noch erzählt, die Hütte habe früher den Fischern als Unterstellplatz für ihre Boote gedient. Heute war sie zu einer Art Gartenlaube umfunktioniert, in der man es gut ein paar Tage aushalten konnte. Sie würden gemeinsam zu Abend essen und sich dann draußen am Kamin niederlassen. Yukios Erzählungen zufolge konnte man vom Ufer der Bucht aus die ganze Innenstadt sehen. Der Anblick der hellerleuchteten Straßenzüge aus der Ferne musste wundervoll sein. „Wenn unter dem sternenbedeckten Himmel ein Schiff den Hafen verlässt und ins offene Meer sticht“, hatte er gemeint, „dann bekommt man wieder ein Gefühl dafür, wie schön und weit unsere Welt eigentlich ist!“
Sie brauchte nicht mehr lange zu warten. Es war bereits nach fünf, als Ran endlich die Detektei erreichte. Sie war nach der Schule noch mit Sonoko zu Frau Uemori nach Shinjuku gefahren, um sich von dem Kochkurs wieder abzumelden. Sonoko hatte schon nach ein paar Sitzungen erkannt, dass ihre Talente nicht in der französischen Kochkunst verborgen lagen, wo auch immer sonst das der Fall sein mochte. Ran hatte ohnehin das Gefühl, die Tatsache, dass sich die männlichen Kursteilnehmer partout nicht für Sonoko erwärmen konnten, habe ihr eher den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben. Allein hatte Ran jedenfalls keine Lust, den weiten Weg zur Kochschule auf sich zu nehmen, also hatte sie ihre Schürze gleich mit an den Nagel gehängt.
Nun musste sie sich sputen, wenn sie um sieben draußen bei Yukio sein wollte. Das Bootshaus lag weit abgelegen vom Zentrum in einem entlegenen Vorort. Ran hatte sich bereit erklärt, für angemessene Getränke zu sorgen. Außerdem hatte sie noch nicht die geringste Ahnung, wie sie sich ihrem Freund heute Abend präsentieren sollte. Oder heute Nacht. Müsste sie sich besondere Gedanken über ihre Unterwäsche machen...?
Insofern war sie nicht erfreut, als sie auf der Türschwelle etwas vorfand, wovon sie nicht im Geringsten wusste, was sie damit anfangen sollte:
Auf der Matte lag ein Kassettenrekorder.
Das Band war angeschaltet und sie hörte eine männliche Stimme sprechen.
Die Qualität der Aufnahme ließ zu wünschen übrig, und dennoch hörte Ran nach ein paar Sekunden eindeutig Yukios Tenor heraus. Aber er klang fremd, eigenartig herablassend: „diese Ran... En bisschen blass, aber irgendwie ganz reizend...“ Was dachte er sich denn dabei ? „...läuft die ganze Zeit rum wie ne Betschwester...“ Sollte das ein Scherz sein? Dann war er ihm nicht gelungen. „Bestimmt noch Jungfrau, die Kleine“ Was? Wie sprach er nur über sie? Das konnte doch nicht wahr sein! Ran glaubte, sich verhört zu haben, und spulte etwas zurück. Ihre leichtfüßige Aufregung wich langsam echter Nervosität. „In etwas mehr als drei Stunden habe ich gewonnen.“ tönte Yukio selbstverliebt aus den Lautsprechern. Verwirrt warf Ran einen Blick auf ihre Armbanduhr. Was gewonnen ? „Dann habe ich Ran endgültig rumgekriegt.“ Das plötzliche Entsetzen lähmte Ran wie ein Schuss aus der Betäubungspistole. Ihr wurde schwindlig, doch nach einem Moment fasste sie sich.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass ein kleines Kuvert neben dem Rekorder an der Wand lehnte, auf das eine eilige Hand „Für Ran“ geschrieben hatte. Sie wusste nur zu gut, wem diese kritzelige Handschrift gehörte, traute sich jedoch kaum, an seinen Namen auch nur zu denken. Ihre Verwirrung steigerte sich noch. Ohne zu zögern riss sie den Umschlag auf. Sie runzelte die Stirn und las:
„Ran.
Es tut mir leid, dass ich nun, obwohl unsere Freundschaft beendet ist, dich noch ein letztes Mal belästigen muss. Es tut mir noch viel mehr leid, dass ich mit dem, was auf der Kassette zu hören ist, dein ganzes Glück zerstören werde. Das macht mir keinen Spaß, weißt du? Glaub’ mir, ich tue es nicht, um dich zurück zu gewinnen. Ich will dir nicht imponieren und schon gar nicht den großen Detektiv raushängen lassen.
Ich dachte einfach, du solltest es wissen. Dass Yukio dich von Anfang an nur benutzt hat. Dass du für ihn nicht mehr als ein Wettopfer warst. Den Rest wird er dir selbst erzählen. Verzeih mir, Ran. Verzeih, dass ich dich so hart mit der Realität konfrontiere. Alle Träume, die du sicher gehabt hast, ruiniere. Aber auch in der Liebe gibt es eben nur eine Wahrheit, und die kann bisweilen grausam sein.
‘BARA NI TOGE ARI’, Ran. ‘Keine Rose ohne Dornen.’
Lebwohl,
Dein Shinichi“
Ihre Augen verharrten lange auf dem letzten Wort. Shinichi. Dann wirbelten sie hoch und überflogen noch einmal die wenigen Sätze, die binnen Sekunden Rans Welt untergehen ließen. Was sollte sie gewesen sein? Ein ‚Wettopfer’? Konnte sie sich denn so sehr in Yukio getäuscht haben? Sie vermisste seine Unschuld und Zaghaftigkeit, mit denen er ihr gegenüber noch heute aufgetreten war. Er war doch so ein anmutiger, reiner, bescheidener Junge! Niemand konnte all dies nur schauspielern. „Wenn du sie flachlegst, gehört das Auto dir, versprochen.“ Das war nie und nimmer Yukio. Das konnte sie nicht glauben.
Eine Sekunde lang argwöhnte Ran, Shinichi habe auf hinterhältige Weise Yukios Stimme imitiert und diesen Quatsch selbst auf Band gesprochen. Er hatte ihre Abfuhr unter Umständen nicht gut vertragen. Vielleicht hatte ihm der alte Professor Agasa Unterstützung bei seinem Rosenkrieg zugesagt und irgendeine Erfindung für ihn gebastelt...
Völlig verunsichert und mit einem flauen Gefühl im Magen, hockte sich Ran auf die kalten Treppenstufen und spulte noch einmal auf Anfang zurück. Sie legte den Rekorder in ihren Schoß und hörte sich das Band vom Beginn bis zum Ende an. Es war die ganze Lüge ihrer gemeinsamen Beziehung, die Yukio dort vor ihr ausbreitete. Vom Ball der Tausend Lichter über das erste Date im Tropical Land bis hin zum heutigen Tag, so offenbarte er, war ihr Glück nichts weiter gewesen als ein Spiel, eine Wette, bei der es am Ende nur darum ging, welcher reiche Zögling dem anderen eins seiner teuren Spielzeuge überlassen musste.
Anfangs noch vereinzelt, flossen Ran schon nach wenigen Augenblicken Ströme heißer Tränen die Wangen hinunter. Es war unfassbar. Sie war die ganze Zeit betrogen worden und hatte nicht den geringsten Verdacht geschöpft. Vor Wut auf Yukio und sich selbst hätte sie den Rekorder am liebsten mit aller Kraft die Treppe runtergeworfen und zugesehen, wie er unten auf der Straße in tausend Teile zerschellte. Sie war sich inzwischen sicher, dass er es tatsächlich war. Trotzdem zwang sie sich, die ganze bittere Wahrheit bis zum Ende zu hören und Yukios Hohn über ihre himmelschreiende Dummheit und Naivität stillhaltend zu ertragen.
Dann schaltete sie den Rekorder ab und legte ihn beiseite. Sie nahm ein Taschentuch und trocknete ihre Tränen. Es schien ihr unbegreiflich, beinah ein Wunder, und doch merkte sie in dem Moment, dass sie Yukio schon vergessen hatte. Er bedeutete ihr nichts.
Ran griff erneut nach dem Bogen Briefpapier.
Shinichi! Zum dritten Mal las sie die Nachricht und erkannte ihren langjährigen Schulfreund in jedem Satz, in jedem Wort. Es war ganz unverkennbar Shinichi, dieser selbstlose, mutige Detektiv, dem nichts so wichtig war wie die Wahrheit, um deren Willen er sich andauernd in Gefahr brachte.
Doch nicht genug damit, dass er einen Mörder nach dem andern zur Strecke brachte, nun hatte er es sich wohl auch noch zur Aufgabe gemacht, Rans Herz vor allen Übeltätern tapfer zu beschützen. Das war ihm mit Bravour gelungen, dachte Ran.
In einer Stunde wäre ich voll in Yukios Falle getappt, wenn er mich nicht rechtzeitig gewarnt hätte. Ich Idiot habe Shinichi vor ein paar Wochen eiskalt abserviert und war sogar zu feige, ihm ins Gesicht zu sagen, daß es vorbei ist. Mein Gott! Den Menschen, mit dem ich großgeworden bin, den ich so gut kenne wie keinen zweiten auf dieser Welt und mit dem ich mein ganzes Leben zusammen verbringen wollte, habe ich einfach in die Wüste geschickt. Und das nur, um Yukio Taniguchi nachzulaufen, diesem intriganten Schönling, der es lediglich auf meine Unschuld abgesehen hatte.
Und Shinichi? Er hat mich trotzdem nicht ins offene Messer laufen lassen, sondern mich vor dem Betrüger gewarnt, ehe ich ihm endgültig zum Opfer fallen konnte. Man kann sich wohl keinen größeren Liebesbeweis vorstellen!
Aber ich, ich