Fanfic: Shinyu - Die Welt im Spiegel
Kapitel: Der weise Drache Kashikoi
Shinyu blieb den ganzen Weg vom Berg bis zum Tal verschwiegen. Der Inhalt des Zettels bedrückte sie sehr. Kami hoffte, dass, wenn Shinyu und Kami im Tal waren, der eigentlich nur aus Wäldern bestand, Shinyu wieder etwas sagen würde, doch Fehlanzeige. Sie blieb weiterhin stumm und setzte sich auf den Boden. Diese Stelle war frei von Bäumen und sie schaufelte die lockere Erde zu einen kleinen Haufen zusammen. „Was machst du da?“, fragte Kami, ohne auch nur einen Anflug von irgendeiner Ahnung zu haben. Doch Shinyu sagte nichts und holte nur ein Räucherstäbchen aus ihrer Jackeninnentasche und steckte es in den Sandhaufen. Plötzlich sagte sie mit tränenerstickter Stimme: „Ich halte eine Totenandacht.“ „Und wo hast du das Räucherstäbchen her?“, bohrte Kami weiter. „Man kann... ja nie wissen... wann man ... eins braucht... Ich habe... immer eines ... dabei“, ihre Stimme wurde immer schwächer und schwächer. „Shinyu, ich glaube du nimmst dir das viel zu sehr zu Herzen, du kanntest die Dorfbewohner doch nicht mal richtig!“, Kami versuchte sie zu trösten, doch das schien nichts bewirkt zu haben. Shinyu stand auf und rief halbwütend und halbtraurig: „Wann merkst du es denn endlich? Wann begreifst du es endlich? Wir sind verantwortlich... wir sind verantwortlich für diese vielen Toten! Wir sind dafür verantwortlich, dass diese vielen Menschen umgekommen sind und dass die Stadt in Flammen niedergebrannt ist!“ Sie drückte sich an Kami, der tröstend seine Arme um sie legte. „Ich verstehe es nicht, seitdem ich hier bin... Seitdem ich hier bin, passieren so schlimme Dinge... Nur weil wir diese Hebijohei umgebracht haben... Nur deswegen sind jetzt Keikan, Fushin, Jidai – Okure und alle anderen tot!“, schluchzte sie weiter. „Oh man, jetzt verstehe ich das auch alles. Deswegen nimmt sie sich das ach so zu Herzen. Ich schätze, ich sollte in nächster Zeit nicht nur guter Kumpel, sondern auch als sehr guter, tröstender Kumpel, der immer für sie da ist und alles für sie tut, sein“, dachte sich Kami als Shinyu ihr Gesicht weiter in sein Shirt vergrub.
Nach einer Weile schien sie sich wieder beruhigt zu haben und alles weniger tragisch zu nehmen. „Ähm, können wir jetzt normal weiter?“, fragte Kami, als Shinyu zwar etwas geknickt, aber trotzdem noch normaler als vorher, neben ihm ging. Doch es kam eine Antwort die er nicht erwartet hatte. „Nein.“ „Nein? Warum nein?“ „Ganz einfach, wir suchen den weisen Drachen Kashikoi, damit der mir meine Fragen beantwortet!“, sagte Shinyu, setze sich auf den Boden und breitete eine Karte vor sich aus. „Hey! Kein Mensch weiß wo der lebt und zweitens dürfen nur Menschen mit reinem Herzen zu ihm hoch! Andere trifft ein schwerer Fluch! Und hast du vergessen das wir am Mord von ein paar hundert Menschen schuld sind?!“ „Musst du mich immer daran erinnern?“, Shinyu versetzte ihm einen kalten Blick, die ihn sofort verstummen ließ, „Und woher weißt du, dass Kashikoi irgendwo oben auf einem Berg sitzt?“ Kami pfiff unschuldig und Shinyu fuhr voller Misstrauen fort: „Jetzt weiß ich! D- du... Du weißt wo er ist! Warum... warum hast du mir das verschwiegen? Und es ist mir egal was du davon hältst, ich suche jetzt den Drachen Kashikoi, und DU bleibst hier!“ Wütend rollte Shinyu die Karte wieder zusammen, richtete sich auf und stapfte davon. Sie wusste nicht wohin sie gehen sollte und noch weniger wusste sie, wo der Drache Kashikoi war. Sie setzte sich auf einen großen Stein und breitete die Karte wieder vor sich aus. Das war eine “magische“ Karte, hatte ihr Fushin erzählt, als er Shinyu die Karte gab. Man müsse einfach nur sagen, wo man hinwollte. Tja, aber woher sollte die Karte wissen, wo sich Kashikoi aufhielt, wenn kein Mensch wusste wo er war? Na ja, kein Mensch wäre übertrieben, denn Kami, dieser Verräter, wusste es schließlich. „Der Berg des Drachen Kashikoi!“, befahl Shinyu der Karte. Doch nichts geschah. Der Berg auf dem Kashikoi lebte wurde nicht angezeigt. Enttäuscht steckte Shinyu die Karte wieder in ihre Innentasche. Geknickt schlurfte sie weiter. Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr und lief einfach stumm weiter. Doch plötzlich stolperte sie über etwas. Für eine Baumwurzel war es zu groß, genau wie für einen Stein. Für einen Felsen war es zu weich. Erschrocken drehte sie sich um und sah, über was sie da gestolpert war. Es sah aus, wie ein mittelgroßer Felsen. Doch es sah aus, als hätte es schwarzes Fell. „Bestimmt nur schwarzer Moos“, sagte Shinyu sich, doch als der “Stein“ seinen schwarzen Kopf hob, war sie sich sicher, dass sie sich geirrt hatte. Es schien lebendig zu sein! Shinyu kniete sich neben den “lebendigen Stein“. Dieser richtete sich jetzt ganz auf. Es sah aus wie ein großer schwarzer Wolf, halt nur, dass zwei riesige, schwarze Lederflügel hatte. Sein goldener, gezahnter Schnabel blitzte im Licht und seine Ohren waren wie die eines Wolfes, wenn sie angelegt waren. Sein Schwanz war nicht so buschig wie der eines Wolfes, mehr wie der eines Panthers. „Wa- was bist denn du?“, fragte Shinyu ängstlich, und es war ja nicht so, das sie eine Antwort von diesem wolfsähnlichem Wesen erwartet hatte, aber es wäre schon schön, wenn sie es erfahren würde. Sie erschrak als dieses Wesen plötzlich den Mund öffnete und antwortete: „Ich bin ein Okamitori. Mein Name ist Yoru. Wer bist du, Menschenmädchen? Und was willst du hier in diesem Wald? Was suchst du im Wald der Okamitori?!“ Auch wenn er am Anfang noch sehr freundlich klang, wurde er am Ende eher wütend und knurrig. Shinyu erschrak und wurde ängstlich. Und als Yoru sie mit einem stechenden Blick ansah, stotterte sie: „ Ähm, ich... Ich... Ich suche den... Ich suche den Drachen Kashikoi... Da habe ich mich... da habe ich mich hierher verlaufen!“ Die Augen des Okamitoris leuchteten auf und man könnte sagen, dass ein leichtes Lächeln über sein Gesicht huschte. „Ich kann dich hinbringen. Wir Okamitoris sind ihm treuergebene Diener. Er ist hier für das Schicksal der Menschen zuständig. Und wenn er grade dich, dich die Kashikoi sucht, in diesen Wald führt, dann erwartet er dich bereits. Worauf wartest du? Steig endlich auf“, erwiderte Yoru. Shinyu zögerte kurz, ging dann allerdings nahe an den Okamitori heran und streichelte das struppige Fell. Dann setzte sie sich zwischen seine Flügel und klammerte die Arme um seinen Oberkörper. Reiten war eine Sache – aber Fliegen? Yoru bewegte die ledrigen Flügel auf und ab. Erst schwächer, dann stärker. Schließlich hob er in die Lüfte ab. Er flog ohne Bedenken durch die Bäume, die dadurch einige Äste verloren. Shinyu hatte sich grade alle Blätter und Zweige aus ihren Haaren gezupft, als Yoru schon wieder durch einen neuen Baum flog, und Shinyus Haare waren erneut voller Blätter, sodass sie einfach aufgab ihre Haare in Ordnung zu bringen. „Yoru, wie lange dauert’ s noch?“ „Wir müssten bald da sein. Noch höchstens eine halbe Stunde“, antwortete er. Yoru flog höher und geschmeidig wie ein Blatt im Wind. Shinyu konnte die rosa und hellblauen anfassen, wenn sie die Hand ausstreckte. Als Yoru noch einmal höher flog, war Shinyus Kopf plötzlich in den Wolken. „Die Jugend von heute, immer den Kopf in den Wolken!“, lachte Yoru und flog ein Stückchen tiefer. „Danke, in Wolken rumhängen macht zwar am Anfang Spaß, aber die ganze Zeit...? Nein danke!“, sagte Shinyu lächelnd.
„Wir sind gleich da! Siehst du den Berg dort hinten? Das ist der Hikariyama, der Berg wo Kashikoi lebt. Noch höchstens zehn Minuten!“, sagte Yoru etwa eine Viertelstunde später. Shinyu freute es, das zu hören. Yoru näherte sich dem Berg schnell, diesmal ohne ständig durch Bäume zu fliegen oder sonstiges umzureißen. Der Berg war schneebedeckt und es schien eiskalt zu sein. Auch der Wind wurde kälter und Yoru schien es eilig zu haben, zu landen. „Du magst es wohl nicht gerne, wenn es kalt ist?“, fragte Shinyu und die Antwort von Yoru kam auch schnell: „Nicht wirklich, ich mag es lieber wenn es warm ist. Und ob du es glaubst oder nicht, auf dem Berg ist es unheimlich warm und gemütlich!“
„Wir werden gleich da sein. Ich kann leider nicht sofort bei Kashikoi landen, wir müssen noch ein ganz kleines Stückchen laufen“, sagte Yoru als er immer tiefer flog um sich zur Landung bereit machen. „Halt dich jetzt besser gut fest!“, wies er sie an. Shinyu klammerte sich fester an den Oberkörper des Okamitoris. Yoru schwebte nun nur noch ein kleines Stückchen über den Berg und landete dann sanft auf dem Boden. Der Schnee knirschte, als die großen Pranken von Yoru auf den Boden setzten. Shinyu wollte schon abspringen und den Rest des Weges alleine laufen, doch Yoru sagte gewohnt ruppig: „Bleib sitzen, ich werde dich schon noch tragen!“ „D – danke!“ Er spannte seine Lederflügel wieder an den Körper und lief den berg hinauf. Es schneite und der Wind wurde immer kälter. Mit Yoru zu fliegen war schöner als auf ihm zu reiten, stellte Shinyu fest. Sie rutschte hin und her auf dem außergewöhnlichen Tier, weil der Boden so uneben war. „Um die nächste Biegung müssten wir die da sein!“ Und als Shinyu s hin- und herrutschte, musste sie an Kami denken. Was er jetzt wohl machte? Gefolgt konnte er ihr ja nicht sein. Doch aus ihren Gedanken riss sie Yoru, der ihr sagte: „Hey, wir sind jetzt gleich da! Du kannst jetzt absteigen!“ „Oh, äh, danke fürs Tragen!“ Der Boden war nicht mehr kalt, er war eher... warm. Shinyu und Yoru gingen noch um eine Biegung. Da klappte Shinyu der Mund vor Erstaunen auf. Ein großes, langes, weißes, schuppiges Etwas lag vor ihr. Der Schnee war silbern, an einigen Stellen sogar golden. Hier und da kamen ein paar rote und blaue Blumen hervor und ein Bach plätscherte in der Nähe. Die rosa und blauen Wolken schoben sich vor die Sonne und ein Wind frischte auf. „Das ist der Drache