Offenbarung
nein fast umgerannt hatte, genauer betrachten. Sein Haar war durcheinander, aber nicht ungepflegt. Die Farbe beinahe undefinierbar, nicht braun und nicht grau, irgendetwas dazwischen, oder eine Mischung?
Seine Kleidung war schon zerschlissen und alt. Besonders die Hose musste dringend geflickt werden, die Nähte waren stellenweise aufgegangen und die Knie schon lange durchgescheuert. ‚Wenigstens reicht sie ihm noch bis zu den Knöcheln.’ Ihr waren noch genau die abgerissenen Hosenbeine der beiden Männer von vorhin in Erinnerung. ‚Es ist nicht gerade warm hier.’ Sein grobmaschiger Pullover musste einmal grün gewesen sein, mit einem Rentiermuster, wirkte aber schon ziemlich ausgewaschen. ‚Wie hab ich diese Rentiermuster immer verabscheut, aber jetzt wäre ich ganz dankbar für einen solchen Pullover.’ Unbemerkt hatte sich wieder eine unbedeutende Erinnerung in ihre Gedanken geschlichen. Sie sah an sich hinunter und begutachtet ihr kurzes Kleidchen und ihre luftigen Schuhe. ‚Warum in aller Welt hab ich bloß so sommerliche Sachen an. Das ist doch total unsinnig bei diesen Temperaturen.’ Sie achtete nicht mehr wohin sie ging, lies sich einfach von Sophus führen, der plötzlich stehen blieb. Immer noch den Blick auf ihre Kleidung gerichtet, hatte sie dies zu spät bemerkt und war wieder in ihn hinein gelaufen. Sie genoss einen Moment lang die Wärme die von ihm aus ging, bevor sie sich verlegen von ihm wegdrückte. „Was ist los?“ „Wir sind da.“ Die Antwort war kurz und knapp, anscheinend war er kein Freund vieler Worte. Sie wollte ihn noch Fragen, wo sie denn wären, verkniff es sich aber dann. Die Antwort die sie bekäme, würde wahrscheinlich eh nicht zufrieden stellend sein. Die beiden standen vor einem Haus, es sah nicht viel besser aus als die anderen, eher schlechter. Irgendwie hob es sich dennoch hervor. Sophus sah sich nach allen Seiten um, ob auch niemand sie beobachtete. Als er sicher war, das dem nicht so sei, zog er sie durch die Tür in das Innere. Kaum schloss sich die Tür hinter ihnen, wusste sie auch schon, was an diesem Haus so besonderes war; es hatte Atmosphäre. Ganz eindeutig, hier lebte jemand. „Wohnst du hier?“ brach sie ihr Schweigen. „Ja.“ Seine Hand umfasste noch immer fest die ihre. Langsam drehte er sich zu ihr um. Seit er sie mit sich fort gezogen hatte, hatte sie nur seinen Rücken zu sehen bekommen und nun konnte sie ihm das erste Mal wirklich ins Gesicht sehen. Nicht nur seine Augen, sondern sein ganzes Gesicht. Und was sie sah, lies sie einen Moment lang erstarren, das hatte sie nicht erwartet und dabei schien er noch recht jung zu sein. „Also, wer bist du? Und wieso bist du davon gerannt?“ Ergriff er nun endlich das Wort. Es dauerte etwas bis sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte. „Ich ... ich weiß es nicht. Ich hatte einfach Angst.“ Dieses Gesicht war ihr noch immer unheimlich, auch wenn seine Augen warm und freundlich waren.