Fanfic: Der Traum
Kapitel: Das Buch
Kapitel 3
„Miryam!“
Ich zuckte zusammen. Diese Stimme war jetzt nun wirklich die letzte, die ich hören wollte. Schnell verkroch ich mich hinter einem Stapel Bücher und hoffte, dass diese Plage endlich verschwand. Eigentlich war ich ja recht geduldig… aber eigentlich gab es auch nicht so schlimme Menschen wie dieses Lebewesen, welches gerade auf der Suche nach mir die Bücherei durchpflügte.
Wobei mich wunderte, dass gerade Kaede Yomiku eine Bücherei betrat, da ihr IQ ungefähr bei dem Stellenwert 80 oder so lag – mit einem schönen deutschen Ausdruck benannt – sie war strohdoof. Daraus folgte auch ihre weitgehend bekannt Abneigung gegen alles, was buchförmig oder mit Buchstaben zu tun hatte. Die Natur hatte ihr auch bei ihrem Aussehen übel mitgespielt – unförmiges Fett umschwabbelte ihre Massen und verlieh ihr die Gestalt eines fettleibigen Sumoringers. Dies alles, gepaart mit einer nervigen Eintönigkeit und dem ständigen Drang, mir hinterherzulaufen, machte sie zu meinen meist gemiedenen Mitmenschen. Kaede ging nämlich leider in meine Klasse und ich weiß wirklich nicht, was sie an mir fand, da sie eine der wenigen war, bei der ich mich zusammenreißen musste, um sie nicht ständig anzufahren.
Um also ihrer Masse aus dem Weg zu gehen, duckte ich mich noch tiefer unter meine Bücher… Ein Blick – puh, sie hatte mich nicht entdeckt und klapperte missmutig die anderen Bücherreihen nach mir ab. Was sie wohl von mir wollte?
Unsere Büchereiaufseherin, eine kleine, strenge und resolute ältere Dame rollte schon auf ihre ganz besondere Art und Weise mit den Augen, was allen regelmäßigen Besuchern ein wohlbekanntes Zeichen dafür war, dass sie gleich jemanden wegen „Lautem Störens der benötigten Ruhe eines weihevollen Ortes“ hinausweisen würde.
Kaede schien das allerdings nicht weiter zu stören. Nachdem sie die ganze Bücherei laut schnaubend nach mir durchkämmt hatte, verließ sie mit Riesen-Schritten diesen Trakt der Schule.
Fräulein Naningu, die Aufseherin, starrte ihr finster hinterher, enttäuscht, die Missetäterin nicht vor dem Herausstampfen zur Rechenschaft gezogen zu haben. Ihre Unheilsmiene senkte sich nun vielmehr auf mich herab und ich verkroch mich schon wieder lieber schnell hinter den Büchern, wobei ich einen möglichst unschuldig aussehenden Gesichtsausdruck aufsetzte.
Schließlich verzog sie doch nur ihr Näschen und ich entkam dem Donnerwetter, in ihrem geliebtem Heiligtum für Aussehen gesorgt zu haben – ob ich wirklich schuldig war oder nicht, spielte keine Rolle.
Nun gut, zwei Probleme gelöst. Gerade als ich mich daran machen wollte, weiter in meinen – sehr spannenden – Büchern zu stöbern, erschallte erneut meine Name durch die Bibliothek, nun aber von jemandem, dessen Stimme ich noch nicht entziffern konnte – und ehrlich gesagt auch gar nicht wollte. Den Blicken von Fräulein Naningu zufolge, war ich für die nächsten Tage erstmal nicht mehr erwünscht, solange bis neue Störenfriede ihr empfindliches Gemüt von ihrer Ruhe abhielten.
Also packte ich in Windeseile meine Sachen und floh – meinen Namen im Ohr – aus der Tür am anderen Ende des Raumes.
Miryam… ja, so hieß ich. Allerdings mochte ich diesen Namen nicht besonders. Meine Eltern hatten ihn gegeben, weil ich in Israel geboren wurde – wie gesagt, meine Eltern waren Weltenbummler. Woher diese Abneigung stammte, wusste ich jedoch selbst nicht. Ich fand, er passe einfach nicht zu mir.
Nach dem ich also vor der allmächtigen Wut von Fräulein Naningu geflüchtet war, befand ich mich allerdings nicht wie beabsichtigt auf einem kleinen Nebengang wieder, der auf den Schulhof führte, sondern in einem Raum. Er war klein, duster, ziemlich staubig und außerdem mit Bücherregalen gefüllt.
Ich setzte vorsichtig einen weiteren Schritt in das Zimmer und besah mir das sich neben mir befindliche Regal. Wie nicht anders zu erwarten, standen Bücher darin, aber anders als irgendwelche, die ich jemals gesehen hatte. Sie waren auf eine seltsame Art gebunden und als ich – mich heimlich umschauend, ob ich auch allein war – eines aus dem Regal nahm und hineinschaute, konnte ich die fremden Buchstaben nicht lesen – und ich hatte eigentlich doch für mein Alter relativ große Erfahrung damit.
Dennoch faszinierten mich diese Bücher, denn eines fühlte ich instinktiv: Sie waren alt, sehr alt sogar. Vorsichtig, fast zärtlich strich ich mit einem Finger über eine vergilbte, zerbrechliche Seite. Ein Zauber ging davon aus…
Mühsam riss ich mich davon los, stellte das Buch wieder auf seinen angestimmten Ort und wanderte weiter durch den kleinen Raum, der insgesamt höchstens 4x5 Meter maß, auch wenn ich in dem düsteren Licht kaum etwas erkennen konnte. Dieser Platz war so wundervoll und doch schien er seit Jahren nicht mehr betreten worden zu sein. Zugleich wunderte ich mich, warum der Raum denn nicht abgeschlossen war, falls er denn verboten war. Doch wieso sollte jemand etwas so Kostbares verschwinden lassen?
Ich war nahezu hin und weg. Zwar wurde mir schon öfter mehr oder weniger scherzhaft gesagt, ich sei in Bezug auf Bücher verrückt und durchgedreht, oder sogar schlichtweg, ich sei eine Streberin, aber das war teilweise wohl noch untertrieben.
Ich liebe sie einfach. Bücher besitzen eine meist unkomplizierte, irdische Magie, die doch so von unserer Welt war, und die mich anzog wie Bienen von schönen Blumen bei Sommerwetter angezogen werden.
Und so ist es wohl kaum verwunderlich, dass ich von diesem kleinen, düstern Zimmer begeistert war und nicht vorhatte, es in geraumer Zeit zu verlassen.
Versunken schlenderte ich weiter durch die hohen Reihen. In diesen Regalen tummelten sich bestimmt Tausende von alten Büchern, jedes verschieden vom anderen. Mein Paradies…
Plötzlich bemerkte ich in der dunkelsten Ecke des Raumes ein leichtes Schimmern. Es mag vielleicht nur Einbildung gewesen sein, jedenfalls ging ich darauf zu und fand in der Ecke eines kleinen Regals ein Buch, das in seltsamen, dunkelroten Stoff eingebunden war.
Wie magisch angezogen bewegte ich mich darauf zu, ungeachtet aller anderen Bücher, die ringsherum standen. Sie waren plötzlich uninteressant geworden.
Ich weiß nicht, warum gerade dieses Büchlein - denn obwohl es dick zu sein schien, war es relativ klein, nicht größer als ein Taschenbuch vielleicht – es mir so antat. Wahrscheinlich war es dieses Kribbeln im Körper, welches ich schon heute schon einmal gespürt hatte: Heute Morgen, bevor ich dieses seltsame Kästchen ausgepackt hatte.
Irgendwo tief in meinem Innern schrillten die Alarmglocken auf, allerdings zog meine Neugierde es vor, jene einfach beiseite zu schieben und ich näherte mich weiter diesem faszinierendem Gegenstand, bis ich kurz davor stand. Nun wurden auch die letzten Bedenken beiseite gefegt…Ich wollte, ich musste dieses Dokument in meine Finger bekommen, musste es aufmachen und seine Geheimnisse lesen. Ich stellte mich also leicht auf meine Zehenspitzen, um an das Regal zu kommen und tippte – fast schon in Erwartung eines Schocks – gegen den Einband.
Nichts passierte.
Also zog ich es schließlich ganz heraus. Ein warmes, fast zärtliches Gefühl durchflutete mich, so, als hätte ich einen geliebten, aber vor langer Zeit verlorenen Gegenstand wieder gefunden. Sanft strich ich über den Einband. Mein Büchlein wirkte so klein und aufgrund seines Alters zerbrechlich, dass ich Angst hatte, etwas zu zerstören.
Als ich mich vergewissert hatte, dass nicht dergleichen passieren würde – es war zwar recht mitgenommen, aber die Materialien waren von guter Qualität und relativ stabil – schlug ich langsam den Einband um und strich mit dem Zeigefinger über die erste Seite.
Die einzelnen Blätter waren schon sehr vergilbt, die Seiten ein wenig lose und die Schrift stark verblasst, dennoch konnte ich sofort erkennen, dass das Buch in Japanisch geschrieben war – Altjapanisch vielleicht, aber ich konnte die Zeichen übersetzen.
Dieses Kribbeln in meinem Körper machte einer Vorfreude Platz, die mich irgendwo verwunderte und auch erschreckte, aber sie hielt mich weithin von allen anderen Einflüssen fern.
Heute vermag ich nicht zu sagen, ob nicht doch vielleicht doch ein Stückchen Magie mich in diesem Augenblick beherrschte.
Ich fing an, in dem gedämpften Licht des Raumes zu lesen. Leise Schauer fuhren mir über meinen Rücken.
„Wenn du dieses Buch liest, Miko (Priesterin? schoss es mir durch den Kopf) dann werde ich schon nicht mehr sein. Die Magie dieses Gegenstandes können nur auserwählte Menschen wahrnehmen.
Ich bin Shira, mächtige Priesterin des heiligen Hamayato-Schreins und Beschützerin des…“
Was diese Frau beschützte, konnte ich nicht mehr lesen, denn ich hörte ein Geräusch, welches mich zusammenzucken ließ und das Buch fiel aus meinen Händen auf den Boden.
Erschrocken tastete meine Hand danach, gleichzeitig war ich aber auch sehr darum bemüht, bloß keinen Laut von mir zu geben.
Der Instinkt sagte mir, dass, falls ich hier entdeckt werden würde, ich gewaltigen Ärger bekäme. Sicherlich, die Tür war nicht verschlossen gewesen und ich hatte auch kein „Betreten Verboten“-Schild gesehen. Dennoch –
Ich drückte mich leise in die dunkelste Ecke des Raumes, allerdings nicht ohne mein Büchlein an mich zu nehmen und es unter die Sweatshirt-Jacke zu stecken.
Als eine Weile nichts passiert war, schlich ich mich vorsichtig durchs Zimmer. Nein, keine zweite Tür. Ich würde mir wohl etwas anderes einfallen lassen müssen.
Also ging ich auf leisen Sohlen zu dem Ausgang, durch den ich schon hereingekommen war und öffnete vorsichtig die Tür. Niemand in der Nähe, sämtliche Schüler trieben sich auf der anderen Seite des riesigen Raumes herum und die Regale verbargen mich zusätzlich.
Leise schloss ich die Tür hinter mir, in meinem Innern mehr oder weniger fest