Fanfic: Puppengelächter

Kapitel: Kein Titel

"Als ich erwachte war alles um mich herum in schwarz gehüllt. Ich vergewisserte mich noch einmal, ob meine Augen auch wirklich geöffnet waren und stellte dabei zu meiner Überraschung etwas ziemlich eigenartiges fest: sie ließen sich nicht mehr schließen.
Panisch versuchte ich nach ihnen zu greifen, aus Angst sie würden mir noch austrocknen, wenn ich sie nicht schnell genug zu bekäme, aber zu meinem Entsetzen hob sich mein Arm nicht wie sonst auf Kommando, er hob sich gar nicht, so sehr ich es auch versuchte. Es war eine merkwürdige Situtation, die mich in Panik versetzte, aber ich zwang mich selbst zur inneren Ruhe. Irgendetwas hier stimmte nicht, immerhin war mir dies bewusst.
Nun musste ich nur noch heraus finden, was es war. Ich beließ es bei dem einen Versuch und konzentrierte mich stattdessen auf meine Beine.
Der kleine Hoffnungsschimmer meine Augen würden sich an die Dunkelheit gewöhnen erlosch mit dem bewusstwerden noch immer keine Konturen wahrnehmen zu können.
Und überhaupt, wo war ich eigentlich? Nach unzähligen kläglichen Versuchen meine Beine in die Höhe zu stemmen oder zumindest ansatzweise von der einen auf die andere Seite zu bewegen bekam ich es mit der Angst zu tun." Melvin drückte mir eine Tasse heißen Tee in die Hand.
"Und dann?" fragte er mit ungläubigem Blick. "Was geschah dann?"
Ich starrte ihn an, als hätte er etwas ziemlich überraschendes von sich gegeben, dabei war es eine selbstverständlichkeit, dass er mich dazu aufforderte fortzufahren. Schließlich war ich genau deshalb hier. Er hatte mich gebeten meine Geschichte protokolieren zu dürfen, eher die anderen Zeitungen auf mich aufmerksam wurden und ihm eventuell auf die Art und Weise eine Story streitig machen könnten.
Melvin war Journalist für den "Freiflug", wobei es sich um eine in unserer Stadt weniger angesehene Zeitung handelte, die eigentlich nur dazu gedacht war die Sinnlosigkeit der Regenwaldausrottung noch einmal auf den Höhepunkt zu treiben. Und er war ein guter Bekannter, dümmlich, aber herzensgut, weshalb ich nicht ablehnen konnte, als mich mein Telefon am heutigen Morgen aus dem Bett riss und seine Stimme, seine freundliche Stimme, mich zu einem Mittagessen einlud. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, aber das offenbarte er mir zu seinem Glück sofort, statt mich damit bei einem Teller Kartoffeln mit Sauerkraut zu überrumpeln. Zu seinem Glück, andernfalls, dachte ich, hätte ich ihm sein Mittagessen dorthin gesteckt, wo es ohne meine Hilfe wohl nie von alleine gelandet wäre, zumindest nicht unverdaut.
Ich nahm einen Schluck aus der Tasse. Der Tee war grauenvoll, doch ich sagte nichts. Und nach dem noch grauenvollerem Essen war der Tee sogar etwas wie eine Erlösung. Überhaupt war alles, was mit Melvin zu tun hatte, auf eine Art und Weise grauenvoll, angefangen mit seinem Namen, aber den konnte sich der Gute schließlich nicht aussuchen. Verziehen, aber was war mit der grausamen Aufmachung, mit der er Tag ein Tag aus durch die Straßen schritt?
Ein gelbes T-shirt verborgen unter einem schwarzen Jacket und wenn er sich in sitzender Position befand kam die Frau von Heute sogar in den Genuss seiner weißen Tennissocken. Alles Kleinigkeiten, denken sie? Zu oberflächlich? Wäre möglich, aber Sie sind nicht derjenige, der bei diesem Mann einen ungesüßten Tee schlürfen darf und dabei erzählen muss, wie ein einziger falscher Schritt Sie beinahe das ganze Leben gekostet hätte.
"Und dann" sagte ich "ging das Licht an. Es wurde mit einem Mal verdammt hell im Raum. Meine Augen, gerade noch mit der Dunkelheit vertraut gemacht, begannen höllisch zu schmerzen, als der grelle Lichtstrahl direkt auf sie traf. Im Affekt versuchte ich meine Arme hochzureißen und sie mit meinen Handflächen zu schützen, aber es ging nicht. Wie konnte ich auch annehmen, dass es von einem Moment auf den Nächten wieder funktionieren würde? Ich war nachwievor bewegungslos. Atmete ich überhaupt? Es musste so sein, andernfalls hätte mich der Schmerz nicht so durchzucken können, ich meine wenn ich tot gewesen wäre. Und so lag ich da, stumm und hilflos und die Laute, die ich mit aller Kraft von mir geben wollte, blieben mir einer nach dem anderen im Hals stecken. Nur sehr unsanft gewöhnten sich meine Augen schließlich an die neue Situation und ich versuchte so gut es ging mich umzublicken. Mein Sichtfeld beschränkte sich jedoch nur auf die Zimmerdecke und auf die oberen Kanten der um mich herum stehenden Möbel.
Zumindest nahm ich an, dass es sich hierbei um Möbel handelte. Ich hatte dieses Zimmer noch nie zuvor gesehen. Alles war mir fremd, die dunklen Regalen mit den feinen Staubdecken und die verdreckte, weiße Zimmerdecke waren das einzige, das mir eine Möglichkeit zur Identifikation meiner Umgebung zur Verfügung stand. Dann begann ich zu warten. Ich wartete darauf, was nun passieren sollte. Immerhin war ich der festen Überzeugung nun nicht mehr alleine im Raum zu sein, denn ganz von allein konnte das Licht einfach nicht angehen."
Mitten in meinem Bericht sprang Melvin plötzlich auf. Er gab an etwas holen zu müssen und verschwand in der nebenan liegenden Küche.
Ich blieb alleine zurück, mit seinem Tee in der Hand, den ich bis auf den Schluck vor einigen Minuten nicht mehr angerührt hatte.
Es war das erste Mal, dass ich in seiner Wohnung saß und so nahm ich mir die Zeit mich einwenig umzublicken.
Gemütlichkeit war ein Wort, das diesem Raum verwehrt bleiben würde. Ich hätte eher zu "überfüllt", "unordentlich" und "unheimlich" tendiert, wenn mich jemand gezwungen hätte die Atmosphäre zu beschreiben. Im Raum befanden sich zwei Sofas. Eines von ihnen nutzte der Herr Journalist zum Schlafen, das andere, worauf meine Wenigkeit Platz genommen hatte, war für die Gäste gedacht, hatte er mir gleich nach meiner Ankunft erklärt. Dicht daneben stand ein kleiner Fernseher, der nicht mehr funktionstüchtig aussah, aber der erste Blick vermochte meist zu täuschen. Dahinter türmten sich unmengen von Bücherregalen. Allesamt sehr antik und gebraucht und vollgestopft mit aller Art Literatur. So dümmlich Melvin auf mich auch immer gewirkt hatte, seine Begeisterung für Bücher ließ mich diesbezüglich einwenig anders denken. Wobei ein volles Bücherregal natürlich keine Vorraussetzung für einen intelligenten Besitzer bildet.
Manche Menschen nutzen diese teilweise heiligen Schriften Goethes oder Schillers als eine Art Dekoration, wenn ihre Blumenvasen und Porzellankatzen nach Gesellschaft kreischen. Ich hielt meinen Blick nicht mehr lange daran auf und schaute mich stattdessen mehr oder weniger fasziniert weiter um.
Rechts von mir hatte Melvin seinen Schreibtisch plaziert. Dieser war vollgestopft mit unmengen von Notizbüchern und Papierstapeln, aber auch einige Ausgaben seines Arbeitgeberblattes fanden sich darauf. Weniger spektakulär, daneben eine Stereoanlage. Ebenfalls wie der Fernseher scheinbar aus einem Jahrhundert, in dem sich die Menschen noch mithilfe von Pferdekutschen voran bewegten. Eine alte Uhr schmückte die Wand, das einzige ansehnliche Stück mit einem rot-braunen Rand, verziert mit kleinen, goldenen Formen und völlig deplaziert zwischen dem ganzen - Schrott.

Und als ich mich umdrehte sah ich sie. Sie saßen nebeneinander in einer Reihe auf einem leeren Regal, das dem der anderen in diesem Raum bis ins kleinste Detail glich. Jede von ihnen trug einen weißen Hut mit einer blauen Schleife. Ihre Porzellankörper waren in weißen Stoff gehüllt und sie lächelten nicht.
Puppen.
An ihren zierlichen Füßen trugen sie braune Schuhe. Ihre Lippen waren zu kleinen, roten Schmollmündern geformt, ihre Augen glänzten lebensecht in diesem merkwürdigen Licht, das durch dieses noch viel merkwürdigere Zimmer ging. Es machte mir angst, wie sie mich ansahen. Und dennoch gelang es mir nicht, meinen Blick von ihnen zu nehmen. Sie saßen da, so akkurat und glichen einander wie Zwillinge, in ihren Posen und in ihrer Bekleidung. Den einzigen Unterschied bildeten ihre Augen- und Haarfarben, andernfalls hätte man begründet annehmen können, sie wären alle aus ein und derselben Produktion entsprungen.
Trotz der Perfektion war etwas faul. Es war einfach etwas falsch an ihrer Position und da bemerkte ich den leeren Platz. Anders als jeder andere Bereich des Regals lag kein Staub auf diesem freien Fleckchen, das sich neben der Puppe mit den blauen Augen und dem schwarzen Haar befand. Irgend etwas musste zuvor dort gewesen sein, irgendetwas...
"Ich habe Kekse gefunden." Als Melvins Worte durch die Stille hallten war mir, als hätte ich soeben mein Herz in die Hose plumpsen gefühlt.
"Kekse" wiederholte er abermals, als hätte ich ihn nicht gehört. "Ich dachte mir nur, vielleicht würde dir der Tee damit einwenig besser schmecken."
Ich war peinlich berührt, er hatte mich erwischt, sich rauszureden hätte keinen Sinn gemacht. In meiner herzlich charmanten Art, die mir dank meiner Mutter - und möge ihre Seele in Frieden ruhe- zur Verfügung stand, bedankte ich mich für die unnötige Gabe, doch legte ich auch die Kekse beiseite. Noch nicht einmal ein Schokokeks hätte es geschafft, einen Tee von Melvin Burderline schmackhafter zu machen. Ich verzichtete um weiteren Peinlichkeiten zu entgehen deshalb vorsichtshalber auf beides, lehnte mich stattdessen weiter zurück. Auch er nahm Platz und griff sich wieder seinen Block samt Stift, was für mich eine unverkennbare Aufforderung zum weitermachen darstellten sollte.
Ich würde fortfahren, dachte ich, doch vorher brannte mir eine Frage auf der Zunge und ich stellte sie, eher mein heiliges Sprechstück einem Kohleklumpen gleichen würde.
"Woher hast du die Puppen?" Während die Worte meinen Mund verließen achtete ich verstärkt auf die Reaktion seinerseits. Vorsichtig blickte er von seinem Block zu mir auf,
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