Fanfic: Die Kreuzfahrer

Kapitel: Die Kreuzfahrer

Die Kreuzfahrer




Die Straße zum Roq




Im hellen Totenglanz des Tages




Marron kniete nicht als Erster in der Kammer des Auges des Königs und


dachte: Welchen Nutzen hat Ascariel? Warum hatte sein Vater, warum


hatten so viele Väter Kriege geführt und waren gestorben, um diese


goldene Stadt zu erobern, diesen Traum von Priestern und Königen,


wo es doch schien, als besäßen sie sie bereits? Wenn der Traum und


die Toten, wenn der Berg selbst in einem kargen, geröllübersäten und


kalten Raum untergebracht werden konnte, wo übel riechendes Schwitzwasser


aus den Wänden sickerte und lediglich eine einzige geflochtene Kerze


und die Worte eines fettleibigen und stinkenden Bruders erforderlich


waren, um Wunder zu beschwören?




Solche Gedanken freilich waren Ketzerei. Sie sollten gebeichtet und


die angemessene Buße geleistet werden. Aber Marron war gerade erst


von einem weit entfernten, liberaleren Land zurückgekehrt, wo er nicht


mehr wahrhaftige Magie als den Wechsel der Jahreszeiten gesehen hatte;


sein Verstand war benommen von den Wundern, und aus diesem ungewohnten,


sonderbaren Schwindelgefühl in seinem Kopf kamen derlei Worte und


Gedanken. Er glaubte aber, dass beide Seelen des Gottes ihn verstehen


würden.




Außerdem hatte Marrons Truppe erst am Tag zuvor ein ganzes Dorf wegen


Ketzerei niedergebrannt; er fürchtete sich vor seinem Beichtvater.




Er erinnerte sich, dass ihm schon damals, in der Hitze, dem grellen


Licht und der »Schneller-schneller!«-Hast der Ereignisse, alles wie


eine große Feier vorgekommen war. Nicht der menschliche Arm göttlicher


Gerechtigkeit wurde geschwungen, hier wurde lediglich etwas im Wahn


vollbracht, als Zeichen des baldigen Endes ihres langen Marsches,


ihr neues Zuhause, um das all ihre Gedanken kreisten, lag schon fast


in Blickweite. Sie hatten zu viele Tage im Sattel verbracht, ein Sturm


hatte sie zu früh ans Ufer getrieben; Tag für Tag nur Dörrfleisch


essen und auf staubigem Boden schlafen und reiten: Die Sonne brannte


sengend über den fremden Bergen, und ihre Leiber wurden so trocken


wie die Straße, der sie folgten, derweil ihre Schwüre in den Köpfen


widerhallten und sie die ungeduldigen, unbenutzten Stahlklingen, die


so heiß und durstig zu sein schienen wie die Männer selbst, auf die


Rücken geschnallt hatten.




Und eines Morgens hatte Fra` Piet sie von der Straße weggeführt, indem


er ihnen die Ankunft in der Burg für Sonnenuntergang morgen Abend


und Gottes Wirken für jetzt gleich versprach; danach waren sie einem


Pfad in die Berge gefolgt, bis sie im hellen Totenglanz des Tages


zu vernagelten Hütten mit Kuppeldächern und unebenmäßigen Lehmziegelmauern


kamen, zwei Dutzend alles in allem, mit einem Brunnen sowie einem


Tempel aus behauenen Steinquadern in der Mitte des Dorfes. Und hier


befand sich die Häresie, auf einem verwitterten Brett über der Tempeltür


deutlich zu sehen: die »Geblendeten Augen«, die zweifache Schleife


als Zeichen des geteilten Gottes, aber die Innenräume schraffiert,


wie um zu sagen, dass Seine unerbittlich schauenden Augen geschlossen


waren, ein für alle Mal. Fra` Piet hatte sie vor Schlimmerem in diesen


Hügeln gewarnt, vor dem Zeichen mit unten aufgehaltenen Wimpern, das


sagen sollte, dass der Gott schlief; doch das war vorsätzliches Aufbegehren,


ein Signal für die Revolte der Catari. Dies hier, die schraffierten


Runde, waren etwas vollkommen anderes.




Die Häresie des Korasch: dass der Gott sich wahrhaftig auf seiner zweifachen


Bahn bewegte, sich aber nicht um die Sterblichen kümmerte, dass er


ihren Taten auf Erden gleichgültig gegenüberstand. Zwar war Korasch


schon vor zweihundert Jahren durch das Feuer geläutert und seine Gebeine


zu Staub zermahlen worden, doch er hatte noch seine Anhänger, besonders


hier, in diesen Hügeln, die sich schon vor so langer Zeit von der


Stimme der wahren Kirche abgewendet hatten. So war es ihnen gesagt


worden, Marron und seinen neu verschworenen Brüdern, und so war es


gekommen.




Sie waren in das Dorf auf dem Hügel geritten, drei Dutzend Männer,


von den Schmerzen und Entbehrungen der Straße gezeichnet und von einer


Gier erfüllt, die über Nahrung weit hinausging. Fra` Piet hatte mit


seinen verkrüppelten Händen die Axt geschwungen, um das ketzerische


Zeichen zu zerschmettern, mit seiner heiseren Stimme hatte er Feuer


und Stahl beschworen, mit seiner eigenen Waffe auf den Priester im


schwarzen Gewand auf den Tempelstufen eingeschlagen. Danach indessen


hatte er nur noch auf seinem Pferd gesessen und zugesehen. Es war


eine Prüfung gewesen, dachte Marron später, oder eine Herausforderung;


vielleicht auch eine Taufe.




Die eine Hälfte einer Taufe, dachte er jetzt; das einleitende Ritual.


Dies war die Vollendung, hier unter der Burg, eine wunderbare Gabe


vom Auge des Königs.




An jenem Tag waren sie wahnsinnig gewesen, junge, von der Sonne irre


gewordene Männer, ausgezehrt und tödlich. Er erinnerte sich, dass


sie geschrien hatten, lauter als die Frauen und Kinder zusammen; nun


waren sie stumm, gebannt. In sich Embleme des Gottes auf ewigem Kreislauf,


jeder ein Reisender auf zwei Wegen: hin zum Wilden, hin zum Verklärten.


Stets wieder zum Mittelpunkt zurück, zur Gottheit, und immer wieder


hindurch …




Keine Stunde war seit ihrer Ankunft vergangen. Sie waren den abschüssigen


Hang hinauf und durch das Tor der Ehrfurcht gebietenden Burg geritten,


die flachen, breiten Stufen und die anschließende Rampe empor, so


erschöpft wie ihre Pferde und inzwischen von mehr als nur den Spuren


der Reise gezeichnet. Im Hof, beim inneren Graben, hatten ihnen magere


Knaben mit schwarzen Haaren – Scharai-Sklaven, hatte jemand gesagt


– die Reittiere und Rucksäcke abgenommen, woraufhin sie ohne Gelegenheit,


die Kleidung zu wechseln oder den verkrusteten Staub von der Haut


zu waschen, den Befehl zu schweigen erhalten hatten, obwohl sie ohnehin


schwiegen, und eine zweite, für die Pferde zu schmale Rampe hinauf


und damit auf den eigentlichen Grund der Burg geleitet worden waren.


Dann abwärts: Immer weiter abwärts ging es, und schon bald waren sie


verwirrt durch die Wendeltreppen und unzulänglich beleuchteten Flure


und zitterten in der plötzlichen Kälte und Unsicherheit.




Endlich eine Tür, mit Eisen beschlagenes Zedernholz. Und dahinter dies.


Keine Ähnlichkeit mit den enormen, wie Blasen im Felsgestein über


ihren Köpfen eingeschlossenen Sälen und Säulenhallen, von denen sie


gehört, die sie aber noch nicht gesehen hatten; mit einer Schar von


Männern wirkte diese Kammer überfüllt. Als sie in etwa im Kreis knieten,


berührten Beine und Schultern jedes Bruders die seiner Nachbarn, doch


hier stellte die Berührung durch einen anderen Menschen eine Erleichterung


dar. Selbst die Ausdünstungen seines zu lange nicht mehr gewaschenen


Körpers und die seiner Brüder, der klamme Gestank von schweißnassen


Wollhemden gaben Marron etwas, woran er sich klammern konnte, um an


diesem Ort seltsam verwobener Wunder und Schrecken mit der bekannten


Welt verbunden zu bleiben.




Was ist das? war die Frage, die sie sich alle insgeheim gestellt haben


mussten, während sie dem Bruder mit der Fackel in einer Reihe folgten.


Keiner hatte sie laut ausgesprochen, aber Marron hatte sie in ihren


Augen gesehen, als sie sich selbst, die grob rundgeschliffenen Wände


und den unebenen Boden ansahen, während einige von ihnen das feuchte


Gestein berührten und die Nässe an ihren Fingern zu staubigen Lippen


führten. Auch er hatte das getan und ausspucken wollen; doch stattdessen


hatte er geschluckt, obwohl ihm der ranzige Geschmack den Mund zusammenzog.




Fra` Tumis, der Bruder mit der Fackel, hatte ihnen bedeutet, sich im


Kreis aufzustellen und niederzuknien, derweil Argwohn sein Gesicht


mit dem kantigen Kiefer verzerrte und er sich mit unstetem Blick nach


Ungehorsam umschaute, nach jemandem, der seinem Befehl widersprach.


Da nichts geschah, sprach er schließlich selbst, aber nur, um zu sagen:


»Dies ist die Kammer des Auges des Königs«, was keinerlei Sinn für


die Männer ergab. Dann hatte er sich zum einzigen Möbelstück in dem


Raum begeben, einem Dreifuß mit einer Kerze mit vier Dochten – zwei


weiße und zwei schwarze Stränge zu einer einzigen Säule geflochten.




Er hatte die Dochte mit seiner Fackel entzündet, worauf er die Fackel


über den Kreis der knienden Männer hinweg an Fra` Piet übergab, der


sie nach draußen getragen und die Tür hinter sich geschlossen hatte.




Als das Klicken des Riegels erklang, überlief es Marron kalt, doch


hatte das nichts mit der Kälte oder der klammen, feuchten Luft zu


tun. Fra` Piet machte ihm Angst, das stand außer Frage; aber es war


eine aus Wissen und Sehen geborene Angst, hatte er doch immerhin viele


Wochen in Gegenwart des Mannes verbracht und sich eine Stunde lang


von seinem Wahnsinn anstecken lassen, da er ihn andernfalls der unbarmherzigen


Obhut des Gottes übergeben hätte. Diese Angst konnte Marron verstehen


und
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