Fanfic: Der Pirat von Saros
Kapitel: Der Pirat von Saros
Der Pirat von Saros
»Morgen, Zauberer Radnor«, rief der Junge fröhlich. »Und könnten wir
einen Erfolgszauber für das Fischen haben?«
»Wenn ich den Dorsch rufen könnte, um ihn vor deiner Tür tanzen zu
lassen«, erklärte der rundliche und zunehmend kahle Mann grinsend,
»meinst du, ich würde dann hier sitzen und mich wegen der Steuern
sorgen?«
»Vermutlich«, warf Bon ein, die schlanke und um etwa zehn Jahre jüngere
Frau des Zauberers. »Vielleicht lebten wir dann nicht hier, vielleicht
hätten wir unsere eigene Fangflotte und ein hübsches Haus in Ticao
wie dein Bruder, aber du würdest dich trotzdem über den Anteil des
Königs ärgern. Stell dir nur mal vor, wie viel mehr es wäre, wenn
du die Flossentierchen herbeizaubern könntest.«
»Ja, so sähe das vermutlich aus«, gab Radnor zu. »Dazu noch die Kosten
für die Netze, ob meine Männer auch zufrieden wären, ob wir eine eigene
Pökelanlage brauchen, und so weiter und so fort. Wir sollten wirklich
lieber mit dem zufrieden sein, was wir haben. Obwohl mir zumindest
ein Spruch gefallen würde, um einen kleinen Dämon herbeizurufen, der
sich auf Addition und Subtraktion versteht.«
Er erhob sich von dem Tisch, der mit voll gekritzelten Blättern und
Federkielen mit abgebrochenen Spitzen übersät war, und ging zur Treppe.
»Gareth! Knoll wartet auf dich.«
Er erhielt keine Antwort. »Er pflegt schon den ganzen Morgen seine
schlechte Laune«, erklärte Bon Radnor.
»Weswegen? Gibt es den geringsten Grund, Trübsal zu blasen?«, fragte
Knoll N`b`ry. »Die Sonne scheint, die See ist ruhig, es weht fast
kein Wind, und die Flut ist zurückgegangen.« Er hob die Stimme. »Komm
schon, Gareth! Hör auf zu schmollen und setz dich in Bewegung!«
Schritte erklangen, und Gareth Radnor kam die gewundene Treppe herab.
Er war gerade fünfzehn, größer als sein Freund Knoll und eher schmal.
Wenn man gewillt war, seine schmollenden Lippen und den finsteren
Blick zu übersehen, wirkte er durchaus hübsch und sympathisch. Er
trug eine feste Leinenhose und ein oft geflicktes Hemd.
Wortlos ließ er sich bei der Hintertür nieder, zog sich kniehohe Stiefel
aus geteertem Leinen über und erhob sich dann wieder.
»Vergiss dein Ölzeug nicht, Liebling«, mahnte ihn seine Mutter.
»Gute Idee«, stimmte Knoll zu. »Später kommen bestimmt wieder höhere
Wellen.«
Gareth gab keine Antwort, sondern ging hinaus und ließ die Tür lautstark
hinter sich zufallen.
»Also ist er selber schuld, wenn er nass wird«, meinte sein Vater.
Knoll hob hilflos die Hände. »Auf mich hört er ja auch nicht«, erklärte
er und folgte Gareth.
»Ich bin versucht«, erklärte Radnor überdrüssig, »unserem einzigen
Sohn einen kleinen Wetterzauber nachzuschicken. Nur einen Schauer
von einer halben Stunde, mehr nicht.«
»Mach eine ganze Woche Platzregen daraus, wenn es nach mir geht«, setzte
Bon nach.
»Ich bin sicher, ich war nicht so eine Landplage, als ich in seinem
Alter war«, stieß Radnor zornig aus.
»Und ich bin sicher, dass du das warst«, stellte seine Frau fest. »Nehmen
wir jetzt mal an, die Jungs haben kein Glück, was wünschst du dir
dann eigentlich zum Abendessen?«
Knoll holte Gareth ein, während er der gepflasterten Straße zum Hafen
folgte.
»Was ist eigentlich los mit dir?«, wollte er wissen. »Ist ein Nachtgeist
in deinem Bett erschienen und hat dich verlassen, bevor du befriedigt
warst, oder so was Ähnliches?«
»Ach, halt den Mund«, schnauzte Gareth.
Knoll sah ihn von der Seite an und grinste betont höhnisch, ohne etwas
zu sagen. Die Straße wurde flacher, und sie kamen an den überwiegend
verlassenen Hafenanlagen vorbei.
»Hoffentlich haben wir so viel Erfolg wie die Flotte«, meinte Knoll,
der nicht lange schweigen konnte. »Ich habe Da geholfen, seine Fässer
zu laden, und vor der Dämmerung über jedem von ihnen ein Gebet gesagt.«
»Gebete nützen bei Fischen überhaupt nichts«, sagte Gareth.
»Und woher willst du das wissen? Nur weil dein Vater ein Zauberer ist,
hast du noch lange nicht die Gabe«, stellte Knoll fest. »Als Nächstes
behauptest du noch, dass auch Zauberei nichts bringt. Vielleicht solltest
du die Eingeweide von Fischen als Köder auslegen und dich auf die
Vernunft oder eben die mangelnde Vernunft der Krebse verlassen, um
sie zu fangen.«
»Was vermutlich so viel nützt wie alles andere.«
Ein kleines Boot war an den letzten, halb im Wasser versunkenen Pier
gebunden. Das Boot war alt, aber gut gepflegt, weiß mit grünen Verzierungen,
ein Einmaster von etwas mehr als sechs Yards Länge, mit einer Ruderpinne
am Heck. Ein dritter Junge, der fast so dick wie groß wirkte und nicht
ganz Gareths Höhe erreichte, befestigte eifrig Köder an einer langen
Schnur und rollte die Schnur dann in einem hölzernen Eimer zusammen.
»Was hat euch so lange aufgehalten?«, fragte er.
»Gareth ist am Schmollen«, erklärte Knoll. »Ich habe schon versucht,
ihm das Kinn zu kraulen, aber das half auch nichts.«
»Man sollte einen Mann einfach nicht mit den Pissies ausgehen lassen«,
meinte der stämmige Junge und sprang mit einer für seinen Körperumfang
erstaunlichen Behändigkeit ans Ufer. »Komm schon, Gareth. Wir brauchen
ein Lächeln, das all die lieben Fischchen bewundern können.«
»Verdammt, lass mich in Ruhe, Thom«, stieß Gareth fast knurrend hervor.
»Ich werde schon wieder okay sein.«
»O ja, das wirst du«, erklärte Thom Tehidy fröhlich. »Dafür garantiere
ich sogar.«
»Thom, mit mir ist jetzt einfach nicht zu spaßen! Wie ich schon sagte,
lass mich in Ruhe! Wir müssen uns jetzt endlich um das Fischen kümmern!«
Tehidy hob Radnor mit seinen dicken Armen hoch und schleuderte ihn
herum, bis er mit dem Kopf nach unten hing, während seine Beine haltlos
in die Luft stießen.
»So, und jetzt tauchen wir ihn ein- oder zweimal in dieses angenehm
brackige Wasser da unten. Sieh mal, da treibt ein Stück Scheiße, direkt
unter deinem Kopf, und eins, und zwei.
»Schon gut! Schon gut!«, rief Gareth. »Ich bin jetzt gut gelaunt! Seht
ihr? Seht euch dieses Lächeln an!«
»Was meinst du, Knoll N`b`ry?«, fragte Tehidy. »Ich habe den Eindruck,
er täuscht es nur vor, und er braucht ganz dringend einen kräftigen
Schluck von Mutter Natur.«
»Thom, stell mich wieder auf meine Füße.«
Tehidy kam der Aufforderung nach, schwang Gareth herum und ließ ihn
am Hafenrand nieder.
»Ich hätte dich einfach reinwerfen sollen«, meinte er. »Mein Paps sagt
immer, der Tag fängt am besten an, wenn du bereits nass bist.«
Gareth sah seine beiden Freunde an und begann plötzlich zu lachen.
Sein Lachen klang laut und fröhlich.
»Na also«, sagte Knoll. »Jetzt geht es dir schon viel besser, und wir
lassen dich bei der Fahrt nach draußen sogar ans Ruder.«
»Was war also das Problem?«, fragte Knoll, während das Boot mit seinem
einzigen Segel aus dem Hafen lavierte.
»Alles«, sagte Gareth.
»Was soll das heißen, alles?«, fragte Thom.
»Sieh dich doch um, verdammt!«
Hinter ihnen, das ungefähre Drittel einer Wegstunde entfernt, befand
sich das Dorf, das den steilen Felsen nach oben folgte, die Häuser
hell gestrichen, die Dächer in Rot, Blau und Grün. Hinter dem Dorf,
auf der ansteigenden Ebene zu den Hochmooren, befanden sich Gutshäuser
und kultiviertes Land. Hier und da waren die Flecken der Ochsen auszumachen,
die Pflüge zogen, begleitet von ihren Besitzern.
Zwei der königlichen Signaltürme verloren sich in der Ferne. Sie verbanden
das Dorf mit der Hauptstadt Ticao und den übrigen Gebieten der großen
Insel von Saros.
Leere Strände und kahle Felsen erstreckten sich zu beiden Seiten des
Dorfes. Weitere Siedlungen waren in westlicher und östlicher Richtung
undeutlich zu erkennen.
Das Meer war grünlich blau, und die leichten Wellen hoben das Boot
nur wenig. Eine mäßige Brise blies über die Ruderbänke des Bootes.
»Was ist denn zu sehen?«, fragte Tehidy verwundert.
»Eben nur das, was wir jeden Tag sehen, das ist alles!«
»Was stört dich daran?«, wollte Thom wissen. »Wer will schon etwas
ändern, wenn alles gut ist?«
Gareth knurrte. »Was ist denn gut? Wir machen genau das, was wir jede
Woche getan haben, wenn nicht jemand unsere Hilfe auf einem der Boote
brauchen konnte oder wir einem der Schollentreter beim Anpflanzen
helfen durften! In den kommenden Jahren werden wir noch genug Zeit
für diese langweilige Plackerei haben!«
»Das ist unser Leben«, sagte Thom. »Das ist das, was wir tun und auch
weiterhin tun werden, oder nicht?«
»Ich weiß!«, stimmte Gareth zu. »Das ist ja das Problem! Für den