Fanfic: Sternenkrone 2
Kapitel: Sternenkrone 2
Sternenkrone
Der Blumenpfad
Bei Sonnenuntergang verließ Adica das Dorf. Die Ältesten verneigten
sich respektvoll vor ihr, hielten aber sicheren Abstand, während sie
an ihnen vorbeiging. Väter zerrten ihre Kinder zur Seite. Frauen,
die mit frischen Korngarben von den Feldern kamen, wandten ihr den
Rücken zu, damit ihr Blick nicht auf den gerade erst geernteten Emmer
fiel, aus dem sie ihr Brot backen würden. Selbst Weiwara, einst ihre
geliebte Freundin, trat von der Türschwelle des Hauses zurück, in
dem sie mit ihrer Familie lebte, um ihren hochschwangeren Bauch vor
Adicas Blicken zu schützen.
Die Dorfbewohner sahen sie jetzt anders an als früher. Das heißt, eigentlich
sahen sie sie gar nicht an, jedenfalls sahen sie ihr niemals direkt
ins Gesicht, seit die Geheiligte die zukünftige Pflicht Adicas - und
damit ihr Schicksal - verkündet hatte.
Selbst die Hunde wichen vor ihr zurück, wenn sie an ihnen vorbeiging.
Sie passierte das geöffnete Palisadentor und achtete nicht weiter auf
die Holzplankenbrücke, die über den Graben führte, der sich um das
Dorf zog. Die Sonnenstrahlen tauchten die Wolken in eine Mischung
aus Rosa und Lila, so zart und hell wie blühender Flachs. Die Felder
entlang der Flussebene schimmerten golden, willkürlich, ohne einer
bestimmten Ordnung zu folgen, gesprenkelt von den alten Häusern der
Großmütter. Diese Häuser waren inzwischen verlassen, da das neue Dorf
mehr Schutz bot. Die Großmütter hatten noch nicht in der ständigen
Furcht gelebt, wie die Leute es heute taten.
Als sie die andere Seite des Grabens erreicht hatte, reckte sie ihren
Stab dreimal in die Luft und sprach einen Segen über das Dorf. Dann
ging sie weiter.
Am Fluss standen drei Männer und beugten sich über das Wehr. Als sie
näher kam, richtete sich einer von ihnen auf; und sie erkannte Beors
breite Schultern, seine entschlossene Art, das Kinn zu recken, wenn
er verärgert war.
Wie sehr hatte Beor protestiert und geklagt, als die Ältesten beschlossen
hatten, dass sie nicht länger als Mann und Frau zusammenleben konnten!
Und doch war das Leben mit ihm nie ruhig gewesen. Er hatte das Recht
erworben, sie als seine Gefährtin zu betrachten - an dem Tag, da die
Ältesten zugestimmt hatten, ihn zum Kriegssprecher des Dorfes zu ernennen,
weil er sich im Krieg gegen die Verfluchten so hervorgetan hatte.
Aber ihre eigene Wahl wäre sicher nicht auf ihn gefallen, hätte ihr
das Gesetz, das sie zur Geweihten des Dorfes bestimmt hatte, die Möglichkeit
gegeben, sich selbst einen Partner zu suchen. Auf eine gewisse Weise
war sie daher sogar froh, ihn los zu sein.
Doch im Laufe der Zeit, als immer mehr Tage und Monate verstrichen,
vermisste sie in den Nächten zunehmend die Wärme seines Körpers.
Beor machte eine Bewegung, als wollte er zu ihr gehen, sie einholen,
aber sein Kamerad hielt ihn davon ab, indem er ihm eine Hand auf die
Brust legte. Adica ging weiter allein den Pfad entlang.
Sie erklomm das riesige Hügelgrab, folgte dem Pfad, der sich durch
das Labyrinth aus Erdwällen emporwand. Als Geweihte, die das Dorf
schützte, war sie schon viele Male hier hochgegangen, doch niemals
zuvor hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesem Augenblick.
Es wuchs noch kein frisches Grün auf dem neu errichteten Erdwall, abgesehen
von den Disteln, deren Blätter noch so zart waren, das man sie essen
konnte. Weit unter ihr schwankten hohes Gras und ungeerntetes Korn
wie Wogen im Wind, als jetzt eine Brise aufkam, während sich die Sonne
über das Land der Toten senkte.
Der Boden des leicht bergauf führenden Weges war noch immer weich von
den vielen Baumstämmen, die benutzt worden waren, um die Steine zum
heiligen Steinkreis oben auf dem Hügel zu schaffen. Sie schritt über
einen schmalen Damm zwischen zwei riesigen Erdwällen und trat auf
ein ebenes Feld, das die Steinkrone darstellte. Hier stand der Kreis
der sieben Steine, der während der Lebensspanne von Adicas Lehrerin
errichtet worden war. Und hier, im Osten des Steinkreises, markierten
drei alte Grundmauern eine uralte Siedlung. Ihre Lehrerin hatte ihr
erklärt, dass die umgestürzten Grundmauern zu der Halle der seit langem
verstorbenen Königinnen Pfeilhell, Goldsau und Zahnlos gehört hatten,
deren Magie aus dem großen Leib dieses Tumulus erstanden war und deren
Gebeine und Schätze verborgen im gewölbten Bauch der Erde lagen.
Auf halbem Weg zwischen den irdenen Toren und dem Steinwebstuhl, wo
die im Westen untergehende Sonne ihre letzten Strahlen über die Schwelle
schicken konnte, hatte Adica eine Hütte aus Stöcken und Fellen errichtet.
Auf solch primitive Weise hatte die Menschheit lange Zeit Obdach gefunden,
noch vor der Zeit, da die großen Königinnen und ihre geweihten Frauen
den Südlandbewohnern die Magie der Samen, des Tons und der Bronze
gestohlen hatten, noch bevor die Verfluchten gekommen waren und sie
zu Sklaven und Opfergaben gemacht hatten.
Sie sprach ihre Gebete - sie waren ihr so vertraut, dass sie dabei
nicht einmal nachdenken musste - und verspritzte den letzten Rest
ihres Biers in die vier Himmelsrichtungen: Norden, Osten, Süden und
Westen. Dann lehnte sie ihren Stab gegen den Türsturz aus schlanken
Birkenstöcken und klatschte dreimal die Handgelenke gegeneinander.
Die Kupferarmbänder, die ihren Status als Geweihte bezeugten, klirrten
leise, als würde ein letztes Gebet in die Nacht entlassen. Die Sonne
kroch hinter den Horizont. Sie trat über die Türschwelle. Im Innern
des Zeltes zog sie ihr Kleid aus Bändern aus und legte es in eine
stabile Zedernholzkiste, in der sie all ihre Habseligkeiten aufbewahrte.
Schließlich wickelte sie sich in die Felle, die jetzt bei Nacht ihre
einzige Gesellschaft waren.
Einst hatte sie wie die anderen ihres Volkes gelebt, hatte in einem
Haus im Dorf gewohnt und sich in der Gemeinschaft des Dorfes aufgehalten.
Natürlich war ihr Haus mit Zaubersprüchen umgeben gewesen, und niemand
außer ihrem Mann und ihren Mutterleib-Verwandten wäre eingetreten
- aus Angst vor den Mächten, die in den Schatten und den Dachvorsprüngen
lauerten. Aber sie hatte immer noch abends das Gebrüll des Viehs in
den Ställen hören können, oder bei Morgenanbruch die fröhlichen Rufe
der Kinder, die zum Spielen aufstanden. Einem Dorf, in dem eine Geweihte
lebte, pflegten stets Glück und gute Ernten beschieden zu sein.
Seitdem die Geheiligte sie zur Geweihten ernannt hatte, konnte sie
jedoch nicht mehr im Dorf schlafen - aus Angst davor, dass allein
ihre Träume rücksichtslose und böse Geister anlocken könnten. Geister
konnten den Tod riechen; alle wussten das. Also konnten sie auch bei
ihr den Tod riechen. Sie schwärmten dorthin, wo das Schicksal besonders
klar hervortrat.
Der Schatten des Todes hatte sie berührt, und so fürchteten die Dorfbewohner,
dass wer immer sie berühren würde, ebenfalls vom Kuss des Todes vergiftet
werden würde.
Sie sprach das Nachtgebet zur Bleichen Jägerin und lag still da, bis
der Schlaf sie davontrug, doch er brachte keine Entspannung. Sie bewegte
unruhig die Arme und wälzte sich immer wieder herum, träumte davon,
einsam und klein in einem Schwindel erregenden Wind zu stehen, während
der Tod nach ihr griff.
War es möglich, dass das große Weben wirklich Erfolg hatte? Oder würde
alles umsonst sein, trotz allem?
Sie wachte auf, drehte sich in den Schlaffellen herum, dachte an Beor,
den sie einst als ihren Ehemann bezeichnet hatte. Seit sieben Nächten
hatte sie immer wieder den gleichen Traum. Doch was ihr solche Furcht
einflößte, dass sie immer wieder schweißgebadet aufwachte, war nicht
der Tod.
Sie legte ihre Stirn auf die zu Fäusten geballten Hände. »Ich bitte
dich, Fette, die du barmherzig zu deinen Kindern bist, gewähre mir
einen Gefährten. Ich fürchte den Tod nicht, wenn ich den langen Weg
in die Dunkelheit nur nicht allein gehen muss.«
Ein Wind kam auf. Die Zaubersprüche, die sie an die Pfähle gebunden
hatte, erhoben ihre sanften Stimmen. Aus weiter Ferne hörte sie die
bronzenen Blätter des geheiligten Kessels klirren, als die Brise ihn
ergriff. Dann erstarb der Wind. Es war so ruhig, dass sie schon glaubte,
das Atemholen der Sterne hören zu können.
Sie schlüpfte nach draußen. Die kühle Nachtluft strich über ihre Haut.
Über ihr schimmerten die Sterne in all ihrem Glanz. Der zunehmende
Mond war bereits untergegangen. Über ihr blinkten das Schlangenauge
und das Drachenauge, die Boten der Macht. Der Mahlstein ging unter.
War das ein Zeichen? Die untergehende Konstellation, die sich Mahlstein
nannte, würde sie zu Fallenders Heim bringen, und bei Anbruch des
Abends würde der aufgehende Mahlstein sie mit Hilfe der Großzügigen
- der umherschweifenden Tochter der Fetten -, wieder nach Hause holen.
Die Fette sprach oft in Rätseln oder Falschheiten, und vielleicht
war es diesmal auch so. Es gab einen Mann, an den