Fanfic: Warten
alle Anwesenden den Raum, damit er sich erst einmal etwas beruhigen konnte.
Als er aufwachte, war er alleine.
Bilder fluteten über ihn hinweg, Bilder aus den vergangenen neun Wochen. Details, die er zu vergessen gehofft hatte. Die Schmerzen in seinem Körper hatten nachgelassen, wahrscheinlich bekam er Morphium oder etwas Ähnliches.
Nach einer Weile erinnerte er sich auch dunkel daran, dass er früher am Tag schon einmal wach war. Jemand war in seinem Zimmer gewesen, doch er erinnerte sich nicht an die Gesichter. Er wusste nur noch, dass er Angst hatte.
Angst, verletzt zu werden.
Noch bevor er weiterdenken konnte, öffnete sich leise die Tür.
Wie von der Tarantel gestochen flog Omis Kopf in Richtung Tür und all seine Sinne konzentrierten sich darauf.
Eine Person trat ein.
Und etwas in Omi sagt, dass er sich beruhigen konnte. Etwas an dieser Person schien vertraut. Vielleicht waren es diese auffälligen roten Haare. Vielleicht das blasse Gesicht. Er wusste es nicht. Die Person schloss vorsichtig die Tür hinter sich und trat langsam zu Omi ans Bett. Dieser musterte ihn nur mit einer merkwürdigen Mischung aus Neugier und Gleichgültigkeit.
Aya schluckte.
„Hey...“, sagte er leise, doch in Omis Gesicht zeigte sich keine Veränderung.
Bald schon wurde es ihm langweilig, die Person anzusehen und er drehte den Kopf wieder weg.
Aya runzelte die Strin.
„Wie geht’s dir?“, fragte er und sah Omi weiterhin an, in der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken zu können.
Doch vergebens. Omi hörte seine Stimme nicht einmal.
Das Schweigen war unangenehm für den Rotschopf. Es war, als würde er mit jemand Fremden reden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Aber alles war besser als diese Stille.
„Wir sind so froh, dass du lebst...“, sagte er und berührte Omis Hand leicht.
In diesem Moment schrillten bei dem jungen Weiß sämtliche Alarmglocken auf und mit einer Agilität, die man ihm in seinem Zustand nicht zugetraut hätte, fuhr er herum und schlug Aya mit einem Schrei von sich weg.
Dieser stolperte, überrascht von der heftigen Reaktion, einige Schritte rückwärts und spürte Blut seine Wange hinunterrinnen, wo Omis Fingernägel seine Haut verletzt hatten.
Ungläubig betastete er seine Wunde und starrte Omi fassungslos an.
Dieser wirkte wie ein wildes Tier, dass in eine Ecke gedrängt wurde. Er keuchte heftig und funkelte Aya zornig an.
Im selben Moment ging die Tür auf und der Arzt kam herein. Er brauchte nicht lange, um sie Situation zu überschauen, die Spritze hatte er bereits in seiner Hand.
Er ging auf Omi zu, doch dieser zischte ihn an wie eine Schlange.
Ungerührt fasste er den Blonden am Arm und setzte die Spritze an, als eine faust seinen Kopf hart traf und diesen beinahe gegen die Wand geschleudert hätte. Überrascht ließ der Arzt seinen Arm los und ging einen Schritt zurück. Omi sprang aus dem Bett und ließ somit sämtliche an ihn angeschlossene Gerätschaften ins Wanken kommen. Die Halterung für den Tropf fiel mit einem scheppernden Geräusch zu Boden. Aufgeschreckt von diesem Krach flüchtete Omi sich in eine Ecke des Zimmers.
Durch die unüberhörbare Geräuschkulisse angelockt betraten nun auch Yohji und Ken das Krankenzimmer und wussten vor Fassungslosigkeit nicht, wen sie zuerst anstarren sollten.
Der Arzt hatte sich wieder etwas erholt und rief nach einer Schwester. Sie eilte ebenfalls herein und kam dem Arzt zu Hilfe.
Gemeinsam überwältigten sie Omi und konnten ihm das Beruhigungsmittel geben.
Die Schwester klebte Aya ein Pflaster auf die Wange, nachdem sie die Wunde desinfiziert hatte und verließ dann den Raum.
Der Arzt musterte die leichenblassen Gesichter der jungen Männer.
„Er wird zur weiteren Behandlung in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Dort ist das Personal für solche Fälle besser ausgebildet. Die Öffnungszeiten sind etwas begrenzter als hier. Unser behandelnder Psychologe ist der Meinung, dass sie drei ihn für die nächsten vier Wochen vorerst nicht besuchen sollten.“
Omi sah aus dem Fenster. Draußen blühten in verschiedenen Farben Stiefmütterchen.
Blumen.
Das erinnerte Omi an irgendwas, also schloss er das Fenster wieder und setzte sich auf sein Bett.
Er hatte keine Lust, sich zu erinnern. Er wollte gar nichts mehr wissen, er wollte nur noch vergessen.
Doch er konnte nicht. Er hatte es so sehr versucht, doch er schaffte es nicht, das alles zu vergessen. Jede Nacht holte ihn seine Vergangenheit wieder ein. Jeder Nacht wachte er schreiend auf und sah sich panisch im Zimmer um. Dann schaltete er alle Lampen ein, die er hatte und setzte sich zitternd auf sein Bett. Dort verbrachte er die ganze Zeit, bis der Morgen anbrach und das Licht der aufgehenden Sonne die Lampen überflüssig machte.
Manchmal zählte er die Minuten bis dahin, doch meistens hatten sich die Bilder aus seinem Traum so in seinem Kopf festgesetzte, als würde er weiterträumen. Obwohl er wach war.
Fünf Wochen waren zu viel, er hielt es nicht mehr aus. Es wurde jede Nacht schlimmer, realer. Das Licht machte er am Abend schon gar nicht mehr aus.
Wenn er wieder aufwachte, war es, als würden sie neben ihm stehen und ihn ansehen.
Als würden sie ihn wieder aufs Neue verletzen.
Das Essen schmeckte ihm nicht mehr, seit er wieder einigermaßen bei Bewusstsein war. Er aß sowieso wenig. Genau so wenig, wie er schlief.
Einmal pro Woche bekam er Besuch.
Drei Männer, die ihm jedes Mal einen Strauß Freesien mitbrachten.
Er hatte keine Ahnung, warum sie das taten. Er wusste auch nicht, wer sie waren. Sie unterhielten sich sehr viel mit ihm und lächelten ihn die ganze Zeit über an.
Aber er verstand nicht, was sie sagten.
Überhaupt waren hier sehr viele Leute, die er nicht kannte.
Eine Gruppe von ihnen trug immer weiße Sachen.
Die anderen sah man selten. Sie waren manchmal draußen.
Sie trugen Sachen, die ganz normal waren.
Aber sie sagten nicht viel.
Die meisten wollten auch nicht gesehen werden.
Deshalb blieben sie in ihren Zimmern.
Wie er selbst.
Manchmal sah er sich in dem großen Haus ein wenig um. An jeder Tür stand etwas. Auch an der Tür seines Zimmers.
~ Tsukiyono, Omi ~
Aber er wusste nicht, was das bedeutete.
Oder warum er dort stand.
Seufzend stand er auf und verließ sein Zimmer. Er ging hinunter in den großen Saal. Dort gab es Essen. Aber man musste dort nichts essen. Wenn man nicht da war, bekam man sein Essen gebracht.
Das war sehr bequem, aber heute war ihm danach, hier zu essen.
Hier war immer irgendjemand. Welche von den anderen, die normale Sachen trugen und welche von den Leuten, die immer nur weiß trugen.
Omi fragte sich manchmal, ob ihnen das nicht zu langweilig war. Aber vielleicht gefiel ihnen Weiß ja.
Ihm gefiel es nicht.
Es sah zu freundlich aus.
So aufdringlich.
Jemand stellte ihm einen Teller hin und gab ihm Besteck. Eine Weile saß er da und starrte den Teller an. Dann steckte er das Messer ei, stand auf und ging wieder auf das Zimmer, an dessen Tür „Tsukiyono, Omi“ stand.
Er setzte sich auf das Bett und holte das Messer hervor. Das Sonnenlicht brach sich glitzernd auf der Oberfläche. Als er es in einem bestimmten Winkel hielt, spiegelte sein Gesicht sich darin.
Panisch ließ er es auf den Boden fallen.
Wie er das hasste.
Er hasste es, sein Gesicht zu sehen.
Es war schlimm genug, in diesem misshandelten Körper zu stecken.
Da musste er ihn nicht auch noch ansehen.
Nach einiger Zeit hob er das Messer wieder auf. An einem Ende waren kleine Zacken in dem harten Metall.
Vorsichtig setzte er es an seinem Arm an.
Einige Sekunden verharrte er so.
Dann presste er die kalte Klinge so lange auf seine Haut, bis Blut seinen Arm hinuntertropfte.
Keuchend ließ er es erneut fallen und ignorierte die Tränen, die über sein Gesicht flossen. Die Wunde tat furchtbar weh, obwohl sie nicht sehr tief war.
Schließlich brach er weinend auf seinem Bett zusammen. Nichts konnte er hier tun, gar nichts.
Eingesperrt war er hier. Eingesperrt mit Leuten, die er nicht kannte, die ihn nicht kannten.
Jede Nacht erlebte er wieder und wieder all die Grausamkeiten, die ihm angetan wurden. Das war alles, woran er denken konnte. Schmerz, Blut und Tränen. Mehr Begleiter hatte er hier nicht. Und keiner, der ihn verstand, der ihn tröstete.
Und dann so was. Nicht einmal der Tod war ihm vergönnt. Nicht einmal das.
Was war denn sein Leben noch?!
Eine zerbrochene Erinnerung, die langsam verfiel.
Wer wollte so was schon?!
Den ganzen Tag rumsitzen und nachdenken. Nachdenken darüber, wie wertlos alles geworden ist, wie wenig Bedeutung alles hat.
Keinen Sinn, es hatte alles keinen Sinn mehr.
Langsam sickerte das Blut in die Bettdecke.
Lächelnd gab die junge Frau Aya die Hand.
„Kommen sie mit, seine Sachen sind am Empfang.“
Die drei folgten der Dame in weiß in das große Gebäude. Geduldig nahmen sie Platz und lächelten sich gegenseitig an.
Kurz darauf kam ein Mann mit einem Koffer, den er vor sie stellte. Er lächelte ihnen ebenfalls freundlich zu.
„Es geht ihm so gut wie nie. Er hat sich seit drei Wochen nicht mehr verletzt und isst sogar wieder. Mit dem Schlafen hat er noch Probleme und er spricht nicht viel. Aber wir sind sicher, dass es sich bessern wird, sobald er wieder in vertraute Umgebung kommt.“
Wie auf Kommando kam Omi die Treppe runter, geführt von der jungen Frau, die sie eben begrüßt hatte. Er lächelte nicht, als er die drei sah, aber er ging zu ihnen.
„Omi, da bist du ja! Du siehst gut aus!“, Ken war aufgesprungen und zu Omi gerannt. Glücklich umarmte er ihn.
Omi zeigte keine Reaktion sondern stand einfach nur da und ließ es geschehen.
Währenddessen ging die Frau wieder zu Yohji und Aya.
„Wir haben ja schon alles besprochen. Ich brauche hier nur noch ihre Unterschrift.“
Damit überreichte sie ihnen ein Blatt Papier, welches Aya unterschrieb.
„Die Anti-Depressiva haben wir vor einer Woche abgesetzt und sein