Fanfic: Der magische Spiegel
fertig?«
»Ich habe alles getan, was ich kann - er ist noch nicht aufgewacht,
aber jetzt schläft er nur noch. Ein paar Tage Ruhe, dann müsste er
wieder in der Lage sein, sich wenigstens hinzusetzen. Er ist sehr
schwach - was auch immer da passiert ist, es hätte ihn fast umgebracht.«
»Aber er ist geheilt.«
Namele sah sie mit wachsamem Blick an. »Soweit Magie ihn heilen kann,
ja. Er ist alt, er ist entkräftet, und daran lässt sich mit heilender
Magie nichts ändern. Er wird nicht in der Lage sein, mit weiteren
Drachen zu kämpfen.«
Alarista wandte sich an Yanth und Jaim. Mit leiser Stimme sagte sie:
»Tragt ihn hier herüber. Dann setzt euch neben mich - wenn ich mit
dem, was ich tun muss, fertig bin, müsst ihr beide mich auffangen.
Danach - und das ist das Wichtigste von allem -, wenn Doghall aufwacht,
und zwar genau in dem Augenblick, in dem er aufwacht, müsst ihr ihm
Hasmal zeigen. Lasst nicht zu, dass er irgendwelche Zeit auf mich
verschwendet. Sagt ihm, er muss den Drachen aufhalten, bevor er Hasmal
tötet.«
»Was willst du tun?«, fragte Yanth.
»Das Einzige, was ich tun kann. Er braucht Jugend und Kraft, um gegen
die Drachen zu kämpfen. Ich werde ihm Jugend geben. Und Kraft.«
Sie hörte, wie die Heilerin scharf die Luft einsog. »Du kannst nicht
…«
»Sei still. Ich kann.« Sie warf Yanth einen durchdringenden Blick zu.
»Du kümmerst dich darum?«
Er nickte. »Das tue ich.«
Zusammen mit zwei Wachposten trugen sie Doghall zu Alarista hinüber,
schoben die protestierende Heilerin beiseite und stützten schließlich
den immer noch bewusstlosen Doghall, sodass er praktisch vor Alarista
saß. Während ihn die Wachen in dieser Position festhielten, trat Yanth
auf Alaristas linke Seite und Jaim auf ihre rechte. Sie hörte Hasmal
noch einmal aufschreien und schauderte.
Halt durch, Has, dachte sie. Halt durch. Es ist Hilfe unterwegs.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und legte beide Hände auf Doghalls
Schultern. Dann hob sie das Kinn, blickte gen Himmel, wo Vodor Imrish
Hof hielt, und befahl mit lauter, klarer Stimme:
»Von meiner Kraft,
Von meinem Blut,
Von meinem Fleisch,
Von meinem Leben
Entbiete ich dir alles, was ich bin,
Alles, was ich habe,
Alles, was Doghall Draclas braucht,
Um ihn wieder zu dem zu machen, der er ist.
Nimm von mir, um ihm zu geben,
Kraft und Blut, Fleisch und Leben,
Auch wenn ich selbst dabei den Tod finde.
Ich biete meine Gabe aus freien Stücken dar
und bitte dich in seinem Namen, mein Geschenk anzunehmen.
Vodor Imrish, höre mich.«
Sie ließ weder etwas von ihrem eigenen Blut fließen, noch ritzte sie
sich die Haut auf. Das war nicht nötig. Ihre beiden Körper berührten
sich - der ihre kräftig und gesund, Doghalls geschwächt und ausgelaugt.
Sie würde ihrem Geschenk keine Grenzen setzen oder mit einem Kreis
die Teile ihrer selbst markieren, die sie zu geben bereit war und
die sie zurückzuhalten wünschte. Was auch immer Vodor Imrish von ihr
nehmen wollte, um es Doghall zu geben, das sollte er bekommen.
Sie wusste, dass sie ihr Opfer vielleicht mit dem Leben bezahlen würde,
dass Doghall, der dem Tod so nahe war, vielleicht mehr von ihr nehmen
würde, als sie geben konnte, ohne zu sterben. Er würde sie vielleicht
ganz in sich aufsaugen. Aber Doghall wusste von Dingen, von denen
sie nichts wusste, und er konnte für sie den Sieg davontragen, wo
es ihr nicht möglich war. Wenn sie starb, würde sie es tun, um die
Drachen zu vernichten und um Hasmal zu retten, und das würde ihr genügen.
Wenn sie starb, würde ihre Seele weiterexistieren, und eines Tages
würde sie Hasmal wiederfinden. In der Zwischenzeit aber würde ihr
Hasmal weiterleben.
Sie spürte, wie das Feuer in ihre Adern floss, wie die göttliche Berührung
die Magie von Matrin in ihr lebendig machte, und sie wusste, dass
Vodor Imrish sie gehört hatte. Einen Moment lang jubilierte sie innerlich,
denn bis zu diesem Augenblick war er für alle Gebete und alles Flehen
taub gewesen. Dann erfüllte das Feuer ihr ganzes Sein, verbrannte
sie von innen heraus und machte sie vollkommen leer. Ihre Welt wurde
dunkel, und sie hörte ein Rauschen in den Ohren. Ihr Mund wurde trocken,
ihr Körper schwer, und ein gewaltiges Gewicht drückte sie nieder,
bis jeder Atemzug ein Kampf war.
Sie wusste, dass sie fiel, aber sie konnte es nicht verhindern. Ihre
Seele zerrte an den Verankerungen ihres Fleisches, gerufen vom Wind
des nahenden Todes. Sie wehrte sich nicht gegen diesen Wind, aber
im letzten Augenblick, als sie schon sicher war, dass sie ihren Körper
zurücklassen würde, durchflutete sie ein Energiestrom und hielt ihre
Seele in ihrem Käfig aus Haut und Knochen fest. Sie war zu schwach,
um sich zu bewegen - zu schwach, um auch nur die Augen zu öffnen -,
aber sie lebte und wusste, dass sie noch ein Weilchen länger leben
würde. Ihr letzter zusammenhängender Gedanke war ein Gebet: dass Doghall
genug von ihr empfangen hatte, um zu tun, was er tun musste; dass
Hasmal durchhalten würde, bis Doghall es geschafft hatte.
Kapitel 2
Doghall Draclas schnellte aus der Bewusstlosigkeit hervor wie ein Ertrinkender,
der sich im allerletzten Augenblick von dem, was ihn unter Wasser
festhält, losreißt und an die Oberfläche hinaufschießt. Er sprang
auf die Beine, ächzend und mit geöffneten Augen, die jedoch für einen
Moment lang blicklos waren.
Eine unbezähmbare Energie ließ seinen Körper beinahe bersten. Er hatte
das Gefühl, als könne er fliegen, als könne er von einem Rand der
bekannten Welt zum anderen laufen, ohne mit den Füßen jemals den Boden
zu berühren, als könne er ganz allein die Gläsernen Türme wieder aufbauen.
Er verspürte einen Hunger, so überwältigend, wie er ihn seit Jahren
nicht mehr gekannt hatte; es verlangte ihn mit der ganzen zwanghaften,
körperlichen Sehnsucht eines jungen Mannes nach geschlechtlicher Vereinigung.
Er sah sich mit weit aufgerissenen Augen um, betrachtete die verschwommenen,
leuchtenden Farben und die Gestalten um sich herum, denen er jedoch
keinen Sinn abringen konnte. Die Stimmen in seinen Ohren waren klar,
erschreckend laut, voller Nuancen und Tiefen, aber ohne eine Bedeutung.
Gerüche drangen an seine Nase, scharf und berauschend und voll. Es
war alles neu, alles seltsam, alles unverständlich, aber wunderbar.
Ich bin wiedergeboren worden, dachte er. Ich bin gestorben und in einem
neuen Körper in die Welt zurückgekehrt. Ich bin wieder ein schreiender
Säugling, und in ein paar Augenblicken oder in ein paar Tagen werde
ich vergessen, dass ich Doghall Draclas bin …
Die Geräusche waren das Erste, das sich in ein verständliches Muster
fügte, das Erste, das seine Illusion zerstörte. »… weiß nicht, ob
sie den Schock überleben wird.«
»Was ist mit ihm? Er sieht so gesund aus wie ein junger Bauer.«
»Doghall? Kannst du uns hören? Kannst du uns sehen?«
»Nichts. Sie hat einen schrecklichen Preis für nichts und wieder nichts
gezahlt.«
Als Nächstes gewann er die Fähigkeit zu sehen zurück. Er war in einem
Zelt … nein, er war in dem Zelt, in dem er und Hasmal den Drachen
ihre Seelen aus dem Körper gezogen hatten. Taumelnd erhob er sich,
einen Soldaten zu beiden Seiten, damit er nicht der Länge nach hinschlug.
Er blickte hinab - Jaim starrte zu ihm empor, Yanth und die Heilerin
Namele beugten sich über eine weißhaarige Frau, die er nicht erkannte.
Er leckte sich die Lippen, und sie fühlten sich … anders an. Dicker,
fester, feuchter. Er spürte noch immer diese wunderbare Energie in
sich, diese Illusion unglaublicher Kraft, dieses unbezwingbare geschlechtliche
Feuer. »Was … ist passiert?«, fragte er und staunte über die neue
Tiefe seiner Stimme, über die Fülle und die Reichweite. Über die Klarheit
der Laute, wenn er sprach, über eine Weichheit in seiner Stimme, wie
er sie seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Seit Jahrzehnten.
Ein erleichtertes Lächeln huschte über Jaims Züge. »Doghall? Bist du
wieder da?«
Doghall nickte. »Ja.«
»Dann haben wir keine Zeit für Erklärungen. Ein Drache hat Hasmal mitsamt
seinem Körper durch die Verbindung zwischen ihnen gezogen. Er foltert
ihn jetzt. Wenn du dem Drachen nicht seine Seele aus dem Körper ziehen
kannst, wird er Hasmal töten. Du hast nicht viel Zeit; Hasmal sieht
ziemlich schlimm aus.«