Fanfic: Erst der Lover, dann das Vergnügen

beschrieben; natürlich, als Moira außer Hörweite war. Ärger


war also vorprogrammiert. Und sie ist noch zu haben. Sie ist die Vorzeige-allein-erziehende-Mutter


der Grundschule. Nicht dass sie so richtig in dieses Konzept passen


würde. Sie hat ein brandneues, winzig kleines Zwei-Zimmer-Häuschen


in der schmucken Neubausiedlung gleich vor dem Dorf. Es hat einen


Türklopfer aus Gusseisen und einen beleuchteten Mini-Steingarten,


und sie parkt ihren pastellfarbenen Kombi in der gepflasterten Auffahrt.


Angeblich war Rhiannon mal mit einem Geschäftsmann aus der Gegend


verheiratet, aber sie hat ihn nach irgendeinem Skandal mit einer Sekretärin


rausgeworfen. Sagt sie. Als ob sie so was tun würde. Sie hat ein Kind,


Angharat, sechs Jahre alt, das zu allem cremefarbene Stricksöckchen


trägt. Caprihosen müssen ihr ein Dorn im Auge sein. Tagsüber arbeitet


Rhiannon zu Hause und an ihrem Netzwerk, in ganz Nord Cardiff ist


sie auf der Jagd nach unter Fünfjährigen, bei denen sie ihre Lesezwerg-Bücherpartys


veranstalten kann. Nachts ist sie natürlich eine Hexe.




Also warum habe ich so eifrig zugestimmt, als sie anbot dazubleiben


und beim Aufräumen zu helfen? War ich verrückt? Bin ich verrückt?


Überhaupt nicht. Nur ein Opfer meiner eigenen Empörung. Ich erinnere


mich noch, dass ich dachte: Verdammt richtig, sie kann ruhig hier


bleiben und zur Abwechslung mal beim Aufräumen helfen. Ich habe die


Nase voll davon, dass sie immer nur auftaucht, wenn andere was für


die Schule organisieren, im Wohnzimmer herumstolziert, damit die Männer


ihr unter den Rock gucken können, und dann am Ende die ganze Unordnung


für die anderen zurücklässt. Vor allem, weil eine Einladung in ihr


Haus immer bedeutete (Bücherparty, klaro): Morgenkaffee (von zehn


bis elf Uhr dreißig) mit nur einer Kekssorte und dem erheblichen Druck,


eine Enzyklopädie auf CD-ROM zu bestellen. Ja, ich kann mich erinnern,


dass ich all das gedacht habe. Ich habe sogar dafür gesorgt, dass


sie Gummihandschuhe bekommen hat.




Wie dumm ich war. Das Aufräumen war nur das Vorspiel.




So, jetzt geht es mit Richards Rückkehr nach Hause weiter. Natürlich


hatte er Rhiannon nach Hause begleiten müssen, eine Sache von insgesamt


vielleicht dreißig Minuten, aber da ich schon ins Bett gegangen war,


habe ich keine genaue Vorstellung, wie lange er weg war. Es war spät,


wir waren müde, und wir hatten alle mehr getrunken, als wir sollten.


Ich war nur wieder hinuntergegangen, weil er außerordentlich lange


zu brauchen schien, um ins Bett zu kommen. Die normale Abfolge von


Geräuschen war ausgeblieben. Kein Schloss, kein Öffnen des Kühlschranks,


kein Klirren von Gläsern, wenn er sich einen Saft eingoss. Kein Klicken


des Lichtschalters oder Rascheln von Papier. Ich hatte nach ihm gerufen,


aber keine Antwort erhalten. Ich ging die Treppe hinunter. Er stand


unten im Flur und starrte auf sein Abbild im Spiegel. Er stand still


wie eine Statue, steif und versteinert.




»Was treibst du da?«




Er zuckte zusammen. »Oh? Ich … ähm … habe dich nicht gehört. Ich …«




»Komm schon, komm ins Bett …«




»Ich setz` mich nur noch eine Weile hin. Ich …« Und da hörte er zu


sprechen auf.




Man nimmt selten etwas so scharf wahr wie eine üble Vorahnung. Der


Mann da unten am Fuß der Treppe sah plötzlich nicht mehr aus wie Richard;


und nichts war so, wie es sein sollte. Obwohl ich schon wusste, dass


Unheil drohte, tappte ich barfuß die Treppe hinunter und folgte ihm


in die Küche.




»Alles in Ordnung?«




»Ja, alles o. k.« Er stand mit dem Gesicht zum Fenster und dem Rücken


zu mir, aber sein Gesichtsausdruck spiegelte sich im Glas. Was ich


da sah, gefiel mir gar nicht.




»Bist du sicher?«, fragte ich.




»Ja!« Leicht aggressiv. »Ich meine, nein. Nein, bin ich nicht.« Dann


drehte er sich um, und ich wusste, er würde mir etwas Schlimmes sagen.




Und genau das tat er. Er sagte mir, dass er gerade mit Rhiannon De


Laney ins Bett gegangen sei, und dass er nicht wüsste, was in ihn


gefahren sei, und dass es das Schlimmste sei, was er je getan hätte,


und dass es ihm Leid täte, und dass er mich liebte, und dass er nicht


wüsste, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte, wenn ich


ihn verlassen würde, und dass er es verdient hätte, wenn ich ihn verlassen


wollte, und dass er verzweifelt hoffte, dass ich ihm vergeben würde.


Das ist so ungefähr die Quintessenz des Ganzen. Es war schwierig,


den genauen Wortlaut zu verstehen, weil ich ihn die ganze Zeit über


anschrie.




Schließlich wurde ich so wütend, dass er fast resignierte. Ich weiß


nicht genau, was er von mir erwartete - hoffen Männer, dass ihre Frauen


sich in solchen Situationen in ihre Mütter verwandeln, ruhig sind,


verständnisvoll und ihnen vielleicht eine schöne Tasse Kakao machen?


Er versuchte, mich zum Schweigen zu bringen und sagte schließlich


streng: »Julia, wir sind doch erwachsen; wir haben Kinder, die oben


schlafen. Jetzt reiß dich bitte ein wenig zusammen.«




Es gab nur wenige Situationen in meinem Leben, in denen ich etwas nach


jemandem werfen wollte. Wir hatten einmal einen Streit, bei dem ein


ganzes englisches Frühstück an der Decke landete. Man konnte die Bohnenspuren


immer noch dort sehen, als wir drei Jahre später auszogen. Aber Richard


hatte es dort hinaufgeworfen, nicht ich. Ich kann mich noch deutlich


erinnern, wie ich die Küche nach etwas Brauchbarem absuchte. Meine


Vase? Zu zerbrechlich. Meine Auflaufform? Zu laut. Die Abwaschschüssel?


Voller Geschirr (ein weiteres Thema). Schließlich entschied ich mich


seltsamerweise für eines meiner Ikea Sitzkissen: leise, unzerbrechlich,


elastisch (also wiederverwendbar), und mit genug Schwung konnte man


damit ganz schön zuschlagen, vor allem mit dem kleinen Metallstückchen


des Reißverschlusses. Ich riss das Kissen vom Stuhl und zielte mit


einem gekonnten linken Haken und aller Kraft, die ich aufbringen konnte,


auf sein Gesicht. Wir hatten jetzt diesen Punkt erreicht, wo in den


Doris Day/Rock Hudson-Filmen aus den vierziger Jahren der Mann (mit


einem süffisanten Grinsen natürlich) die fliegenden Fäuste der Frau


sanft aber energisch packt und sie in einer liebevollen Umarmung an


sich zieht. Aber das hier war das wirkliche Leben, also duckte sich


Richard nur. Und sagte: »Verdammt, Julia, reiß dich zusammen.«




»Nein [zack], tue [zack] ich verdammt noch mal nicht [zack, zack]!«


Kurz danach ging er. Nahm seinen Autoschlüssel, seinen Mantel, sein


Handy, und ohne einen Blick zurück, trottete er die Einfahrt hinunter.




Wie ferngesteuert räumte ich das (schon recht ordentliche) Haus auf.


Einige meiner gründlichsten Aufräumaktionen fanden nach einem verheerenden


Streit statt. Man füllt so die Zeit recht nützlich, die man ansonsten


nur mit sinnlosem Tun verbringen würde, wie zum Beispiel vor einer


Tasse kaltem Kaffee zu sitzen und sich zu fragen »Warum, warum, warum?«


und so etwas. Stattdessen wurden Kissen aufgeschüttelt, Krimskrams


hin und her gerückt und tausend und drei kleine Abfallteilchen - von


Wollfusseln über Kieselsteinchen bis hin zu ganzen Lagen von alten


Pringles-Chips - aus Flur und Wohnzimmer entfernt und in den Küchenmülleimer


geworfen, den ich dann leerte, schrubbte und schließlich mit einem


antibakteriellen Spray wieder stubenrein machte. Ich ließ die Spülmaschine


laufen, stopfte eine halbe Trommel Socken in die Waschmaschine, säuberte


die Skateboards der Kinder mit einer alten Zahnbürste und ging dann


noch ein zweites Mal mit der von Richard darüber. Ich spielte kurz


mit dem Gedanken, eine kleine markige Notiz zu schreiben, die ich


im Kopf schon fast entworfen hatte, ließ ihn dann aber fallen. Er


war gegangen, wie ich ihm befohlen hatte - zurück zu Rhiannon? -,


und dieses Mal wussten wir beide, dass es ernst war.




Ich saß eine gute Stunde in der Küche, unentschlossen, ob ich mich


mit meiner Null-Toleranz-Haltung im Recht fühlte, oder einfach Angst


hatte, dass er sie schon bemerkt hatte. Mein Magen, ganz verunsichert


und verwirrt, zog sich zusammen, während mich Bilder von den beiden


verfolgten. Ein Teil von mir wollte ihn auf dem Handy anrufen und


Frieden schließen. Ein anderer Teil kochte immer noch leise vor sich


hin. Dieser Scheißkerl. Dieser Scheißkerl. Wie konnte er nur so etwas


tun? Um drei Uhr siebenunddreißig gewann der Teil mit dem Scheißkerl


die Oberhand. Ich schloss die Türen, verriegelte alles, was nur ging,


drehte das Licht aus und ging nach oben. Dann warf ich mich aufs Bett,


vergrub mich in die Kissen und weinte zwei Stunden lang recht ausgiebig.


Aber leise, so wie es Erwachsene mit Kindern tun müssen.
Suche
Profil
Gast
Style