Fanfic: Heute ist nicht mein Tag

Kapitel: Heute ist nicht mein Tag

Heute ist nicht mein Tag




Alf sah mich mit seinem einen gesunden Auge an. Es war braun und besorgt


und fast schon so glasig wie das andere. Mit gerunzelter Stirn versuchte


er das alles auf die Reihe zu kriegen.




»Was - Sie wollen damit sagen, er hat Sie verlassen oder so was?«




»Genau, Alf.«




»So richtig echt? Hat die Fliege gemacht?«




»So scheint es.«




Er kämpfte sichtlich mit diesem Rätsel. »Und - und wie? Kommt er dann


gar nie mehr?«




Mir stockte der Atem bei dieser Bloßstellung der Brutalität meines


Mannes. Ich schluckte. »Nein, Alf, offensichtlich nicht. Totale Fahnenflucht


scheint tatsächlich sein genereller Spielplan zu sein.« Ich schob


mein Kinn vor und quälte mir irgendwie ein Grinsen ab.




Alf kratzte seinen ergrauten alten Kopf, und dann begann der Groschen,


der bei ihm bestenfalls langsam fiel, seinen schneckengleichen Abstieg.


Schließlich plumpste er mit ohrenbetäubendem Knall.




»Ja, da laust mich doch!« Er gaffte mich schockiert an.




Ich leckte mir die Lippen. »Genau.«




Ich überließ ihn mit offenem Mund seinem Schock und drehte mich betont


forsch den beiden anderen Bauarbeitern zu. Die zwei hatten bis jetzt


während dieses gnomenhaften Austausches geschwiegen. Ich vermute,


wohl mehr aus Mitleid und Verlegenheit, als aus Mangel an Verständnis.




Alfs Bruder, Mac, der Vorarbeiter, der Boss und das Gehirn des Teams,


beobachtete mich sehr genau; seine blauen Augen schätzten diese dramatische


Veränderung der Lage ab, während Spiro, der emotionelle junge Grieche


in meinem seltsamen Maurertrio, Schwierigkeiten hatte, sein zitterndes


Kinn unter Kontrolle zu bringen. Sein schwarzer, trauriger Schnurrbart


hing noch schlapper, und seine dunklen Augen füllten sich bedrohlich.


Man muss natürlich erwähnen, dass Spiro schon zum Taschentuch griff,


wenn es nach Regen aussah.




»Er sie verlasst?«, gackerte er ungläubig. »Ihr Mann Sie verlasst?


Allein, hier, mit junge Kind und schreckliches, zusammenfallendes


Haus und schlechtes Abflüsse und Ratten und abblätterndes Putz und


-«, er riss die Augen auf und starrte mich entsetzt an, »so furchtbar


ausschauend?«




»Das Haus, hoffe ich doch, Spiro, nicht ich«, scherzte ich nervös.




Er runzelte die Stirn. »Ti?«




»Ähm, vergessen Sie es. Ja, also, natürlich, Sie haben Recht, das Haus


ist in furchtbarem Zustand, aber wir sind schließlich mitten beim


Neuelektrifizieren und Neuinstallieren, nicht wahr?«, sagte ich fröhlich.


»Wir legen alles frei, Spiro, legen es bloß, bis auf die Knochen.


Es wird noch schlimmer, bevor es besser wird, aber wenn es erst einmal


ausgeschlachtet ist…«




»Sie sind ausgeschlachtet!«, brüllte er. »Ich bin ausgeschlachtet!


Ich kann nicht glauben, was für eine Sorte Mann Sie das antut! Was


für eine Sorte von - von Bestie!« Damit riss er sich seinen Teewärmerhut


vom Kopf und begrub sein Gesicht darin. Ich hatte den plötzlichen


Drang, ihn ihm aus der Hand zu reißen und genau dasselbe zu tun. Stattdessen


tätschelte ich seine Schulter.




»Kommen Sie, Spiro«, murmelte ich. »Sie sind süß, aber so schlimm ist


es nun auch wieder nicht. Alles wird gut werden, ehrlich.« Ich wartete,


während er sich sammelte, sich heftig die Nase in den Hut schnäuzte


und sich diesen dann in ungewöhnlichem Winkel wieder auf den Kopf


klatschte. Seine dunklen Augen blitzten.




»Alle Männer sind Schweine«, informierte er mich unmissverständlich,


schüttelte wütend den Zeigefinger. »Alle Männer.«




Also dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ehrlich gesagt, fand ich


seine Inbrunst ziemlich gut. Vielleicht könnten wir beide unsere verrotzten


Hüte aufsetzen, losziehen und die Schweine gemeinsam umlegen. Spiros


Blut war auf jeden Fall feurig, und wenn es in Wallung geriet, mein


lieber Scholli.




Mac räusperte sich jetzt ostentativ. Er spuckte zielgenau auf den Boden


neben mir.




»Also dann werden Sie das alles hier aufgeben, nicht wahr?«




Ich richtete mich vor meinem Vorarbeiter, dem ewigen Pragmatiker, der


immer sofort zur Sache kam, auf und sah ihm trotzig ins strahlende


Blauauge. Er war nicht viel größer als ich, um die fünfzig, drahtig


und, im Gegensatz zu seinem bärenhaften Bruder Alf, sehr ausgeschlafen,


äußerst helle.




»Wie meinen Sie das, Mac?«




»Na ja, jetzt wo alles im Eimer ist, werden Sie doch nicht weitermachen


wollen, oder? Sie werden sich doch diesen ganzen Schlamassel nicht


aufhalsen wollen, nur für Sie und Claudia, oder?«




Er machte eine abfällige Kopfbewegung in Richtung der Baustelle, die


uns einkreiste, die Entschuldigung für eine Küche, in der wir standen,


mit der offenen Balkendecke, die von einer flatternden blauen Plane


geschützt war, dem durchweichten Beton zu unseren Füßen, den verrotteten


Schiebefenstern mit ihren kaputten Kordeln, den Resopal-Einbauten


im Stil der Sechziger - von denen die Hälfte schon von den Wänden


gerissen war, der Rest klammerte sich noch hartnäckig fest - und schließlich


dem großen, klaffenden Loch in der hinteren Wand, auf die Spiro aus


Versehen mit dem Presslufthammer losgegangen war, nachdem er gehört


hatte, dass Griechenland aus dem Weltcup geflogen war. Anschließend


war er so zerknirscht gewesen, dass keiner von uns es fertig brachte,


ihn deshalb zu beschimpfen. Ja, dieser »Schlamassel« war mein Zuhause.




Ich räusperte mich. »Ehrlich gesagt, Mac, genau deshalb hab ich euch


gebeten, eine Pause zu machen und das Werkzeug kurz aus der Hand zu


legen. Die Sache ist nämlich die: Ich bin absolut entschlossen weiterzumachen.«


Ich reckte mich steil zu meiner vollen Größe von einsneunundfünfzig


auf, steckte meine kurzen, dunklen Haare penibel hinter die Ohren


und versuchte krampfhaft, tapferer auszusehen, als ich mich fühlte.


»Absolut entschlossen. Die bloße Tatsache, dass mein Mann es für angemessen


hielt, sich vom Acker zu stehlen, spielt keine Rolle. Was mich betrifft,


wir machen weiter wie geplant. Wir werden die Küche restaurieren,


diese schrecklichen Schränke rausreißen, die Wände neu verputzen,


alle kaputten Fenster ersetzen, die neuen Schränke einbauen und dann,


wenn wir damit fertig sind, werden wir oben anfangen. Okay?«




»Sie ist so tapfer«, flüsterte Spiro mit erstickter Stimme, den Wollhut


wieder im Mund. Ich konnte ihn nicht ansehen. Ich schob mein Kinn


vor, fühlte mich plötzlich wie ein kleiner Churchill.




»Aufgeben?«, jodelte ich. »Du lieber Himmel, nein. Ich habe dieses


Haus erworben mit der alleinigen Absicht, es wieder in seiner früheren


Pracht erstehen zu lassen, und das ist immer noch mein Plan, mein


Traum.« Da schau einer an, jetzt war ich Martin Luther King, aber


ich war nicht mehr aufzuhalten. »Und ich werde auch nicht sparen«,


warnte ich, ließ meine Predigt zu priesterlicher Vollendung anschwellen.


»Ich möchte nicht schludern und Dinge überstreichen, nur um irgendwie


fertig zu werden, damit ich es verhökern kann, denn ich werde es nicht


verhökern! Ich werde darin leben, und ich werde sehr lange Zeit darin


leben und - und wenn mir danach ist, Rokoko im Badezimmer zu haben


oder… oder - Wenn ich…«, ich sah mich hektisch um, »das Gästezimmer


vergolden oder Pavillons im Garten haben will, dann werde ich das


verdammt noch mal machen lassen. Was mich betrifft, ist das immer


noch ein Haus für die Ewigkeit, und ich möchte, dass es wirklich gut


wieder hergestellt wird. Ich möchte die alte Täfelung passend ergänzen,


die Bilderleisten anbringen, die Schnicks und die Schnacks und Was-sonst-Nochs


haben, den ganzen verdammten Zirkus eben. Das große Schlafzimmer muss


völlig erneuert und durchdacht werden…« Ich verstummte, als meine


Stimme bei diesem Satz ins Wackeln geriet.




Um mich herum gab es verlegenes Füßescharren im Dreck und Gesichter,


die sich auf den Boden konzentrierten. Eine Minute später hatte ich


mich wieder im Griff. Ich schluckte energisch.




»Hört zu, Jungs. Ich wollte euch reinen Wein einschenken«, sagte ich


leise. »Ich wollte euch informieren, weil es, wie ich weiß, schon


Gerede gab.« An dieser Stelle richtete ich den Blick auf Mac, »und


ich weiß, dass Sie sich alle gefragt haben, wo der ›Chef‹ ist. Ehrlich


gesagt sind mir die Ideen ausgegangen. Mir sind die Management-Kurse,


die er machen könnte, oder die Firmen-Finanzvorträge, die er besuchen


könnte, oder - Wochenend-Golfturniere, die anscheinend die ganze Woche


dauern, und die Squashturniere und… o Gott, ich hab einfach die Nase


voll vom Lügen. Ständig. Euch belügen, meine Freunde, und alle in


Claudias Schule. Wenn ihr es partout wissen müsst, würde ich am liebsten


eine große Plakatwand mieten und sie vor dem Tor aufstellen mit Mein


Mann hat mich verlassen, okay? drauf.«




Dem folgte kurzes, mitfühlendes Schweigen. Dann spuckte Mac in seine


dreckige Hand und, immer Gentleman, wischte sie an seiner Hose ab.


Ich hatte das
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